Bei der Smart County Convention in Berlin wird in diesen Tagen über die digitale Zukunft des Staates in all seinen Facetten diskutiert. Wie digital, wie innovativ, wie modern ist Deutschland, seine Behörden, seine Kommunen, seine Stadtwerke?
Über kaum ein anderes Thema kann man so trefflich streiten und dabei trotzdem im Unklaren bleiben wie bei dem Thema „Digitalisierung“. Klar: Alle halten sie für relevant und zwingend notwendig. Niemand, der etwas auf sich hält, arbeitet heute mehr ohne Begriffe wie „Cloud“, „Chatbot“ oder „Dashboard“ in den Mund zu nehmen. Aber ist das Arbeiten mit diesen Instrumenten bereits ein Zeichen für eine gelungene Digitalisierung?
Digitalisierung braucht Struktur und Regeln
Unstrittig ist, dass in der Welt von heute mehr und mehr Dinge des täglichen Lebens nur noch digital stattfinden. U-Bahn-Tickets werden mehrheitlich per App gekauft. Die digitale Beantragung eines Personalausweises gilt mittlerweile als selbstverständlich. Und spätestens dann, wenn man versucht, sich mit Papier und Stift für einen neuen Job zu bewerben, stellt man fest, dass es bereits heute Bereiche gibt, in denen man ohne digitalen Zugang aufgeschmissen ist.
Für all diese öffentlich sichtbaren digitalen Anwendungsfälle braucht es aber im Hintergrund eine klare Struktur. Es braucht klare Regeln, woher die Daten kommen, wie sie übermittelt werden, wie und wo sie gespeichert und verarbeitet werden und über welche Kanäle sie bereitgestellt werden. Diese Struktur besteht derzeit in Deutschland jedoch kaum. Natürlich gibt die Datenschutzgrundverordnung (DSVGO) Leitplanken. Aber es gibt eine große Unsicherheit darüber, wie gerade kommunale Daten genutzt werden sollen. Große internationale IT-Konzerne rangeln um Marktanteile an diesem Zukunftsmarkt, der sowohl Monopolrenditen als auch enormes Wachstum verspricht.
Kommunale Daseinsvorsorge schafft Zusammenhalt
Das darf so nicht sein! Der deutsche Staat hat eine klare Verpflichtung seinen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber. Nämlich Leistungen und Güter zur Verfügung zu stellen, die für ein sinnvolles menschliches Dasein benötigt werden. Dazu gehört seit jeher die Grundversorgung mit Energie und Wasser, die Entsorgung der Abwässer und des Abfalls, die Unterhaltung eines öffentlichen Personennahverkehrs, besondere Telekommunikations- und Finanzdienstleistungen, öffentlich-rechtliche Medien oder auch die Bereitstellung eines grundlegenden Schul- und Bildungssystems. All dies fällt unter den Begriff „Daseinsvorsorge“ und wirkt auf den ersten Blick nicht wirklich sexy.
Dahinter verbirgt sich aber nicht weniger als die staatliche Legitimierung. Gelang es einem Staat in den vergangenen Dekaden eine stabile und erfolgreiche Erbringung dieser (Daseinsvorsorge-)Leistungen zu sichern, dann konnte er hieraus Legitimierung und Akzeptanz in der Bevölkerung generieren. Denn das Leben der Bürgerinnen und Bürger spielt sich in den Kommunen vor Ort ab. Hier entscheidet sich auch, wie sie den Staat und seine Handlungsfähigkeit wahrnehmen. Kommunen und ihre Daseinsvorsorge sind die Grundlage unserer gesellschaftlichen Ordnung und unseres Zusammenhalts. Und sie bilden damit auch einen relevanten Teil des Fundaments unserer Demokratie. Ob wir als Gesellschaft gut durch Krisen kommen, ob jemand abgehängt ist oder sich zumindest so fühlt, hängt maßgeblich von der kommunalen Daseinsvorsorge vor Ort ab. Bei Nicht- oder Schlechterfüllung drohen (humanitäre) Krisen oder dass das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Staats sowie langfristig in den Staat selbst erodiert. Die Aufgabe, für das Dasein seiner Bürger Sorge zu tragen, die sogenannte „Daseinsvorsorge“, ist daher für einen Staat eine grundlegende Verpflichtung, wobei er in der Art der Erfüllung weitestgehend unbeschränkt ist.
Schaut man auf heute, so stellt man fest: Für ein menschliches Dasein braucht es allmählich eine digitale Grundversorgung. Es gibt daher eine neue – von vielen noch unbeachtete - staatliche Aufgabe: die digitale Daseinsvorsorge. Es braucht digitale Infrastrukturen, Dienstleistungen und Güter, die eine nachhaltige gesellschaftliche Teilhabe, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und digitale Souveränität ermöglichen.
Ernüchternd vor diesem Hintergrund ist nur, dass Deutschland in Bezug auf die Digitalisierung des Staates seinen eigenen Ansprüchen hinterherläuft und regelmäßig hintere Ränge in internationalen Vergleichen belegt. Dies betrifft insbesondere den Zugang zu digitalen staatlichen Dienstleistungen. Dieses Problem erstreckt sich aber auch auf nahezu alle anderen Bereiche der digitalen Daseinsvorsorge. Bisherige Initiativen auf Bundesebene sind augenscheinlich nicht ausreichend erfolgreich gewesen. Es wird deutlich, dass ein rein top-down orientierter Ansatz bei der Digitalisierung nicht ausreichend Wirkung entfalten konnte und ein aktiveres Engagement der Kommunen erforderlich ist.
Was heißt das nun? Haben wir den Kampf um die digitale Souveränität unseres Staates, unserer Städte und Regionen bereits verloren und müssen uns damit abfinden, bald als ein digitales „Dritte-Welt-Land“ abgehängt zu sein?
Keineswegs. Überall in Deutschland gibt es herausstechende Initiativen, die zeigen, wie sich ein digitales Rahmenwerk entwickeln könnte. VomM-Login als digitale Single-Sign-In-Lösung in München über die Urban-Data-Plattform in Lübeck. Von der Stadt-AppBliggitin Wuppertal bis zur digitalen Energieleitplanung in Freiburg.
Was es für eine gelungene digitale Daseinsvorsorge braucht
Für kommunale Unternehmen ist klar, dass wir für unser Land mit seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung und seiner sozialen Marktwirtschaft ein eigenes Konzept der digitalen Daseinsvorsorge brauchen. Wir wollen weder autokratische Digital- oder Smart-City-Konzepte aus Asien oder dem Nahen Osten kopieren, noch wollen wir uns am US-amerikanischen Digital-Kapitalismus mit Tendenz zu Monopolen orientieren. Wir brauchen ein Konzept der digitalen Daseinsvorsorge, dass unsere Stärken berücksichtigt:
Digitalisierung nicht um jeden Preis, sondern im Einklang mit höchstem Datenschutz. Mit dem klaren Ziel, die Lebensqualität für kommende Generationen zu sichern. Bottom-Up-Ansatz, aber mit maximalem Anspruch an Interoperabilitäten / Kompatibilitäten der IT-Systeme. Demokratische Legitimierung: Als Angebot für die Bürgerinnen und Bürger und Einladung zum Mitmachen und Mitgestalten, ohne Zwang, mit Anreizen und höchsten Ansprüchen an die Nutzerfreundlichkeit.
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) hat mit der Gründung der Task Force „Digitale Daseinsvorsorge“ einen wichtigen Schritt vollzogen, um Kompetenzen zu bündeln und Strukturen zu schaffen. Kommunale Unternehmen stehen bereit, ihren Beitrag zum Erfolg der digitalen Zeitenwende durch digitale Daseinsvorsorge zu leisten. Das können sie allerdings nicht allein.
Die digitale Zeitenwende braucht jetzt klare rechtliche Rahmenbedingungen, bundesweite Rahmenkonzepte und übergreifende Austauschformate, damit aus dem deutschen Modell der „digitalen Daseinsvorsorge“ ein Standortvorteil und kein -nachteil wird. Es braucht jetzt keine „German Angst“, sondern Mut und konkrete Maßnahmen.
Jens Meier führt als CEO seit dem 1. Januar 2023 die Stadtwerke Lübeck Gruppe. Zuvor war er Sprecher der Geschäftsführung in der Stadtwerke Lübeck GmbH. In die Zeit seiner Geschäftsführung bei den Stadtwerken Lübeck fällt die Initiierung des Vereins Energiecluster Digitales Lübeck. Er ist Vorsitzender der Task Force Digitale Daseinsvorsorge im Verband kommunaler Unternehmen.
Ingbert Liebing leitete als hauptamtlicher Bürgermeister von 1996 bis 2005 die Verwaltung der Gemeinde Sylt-Ost. Von 2005 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und von 2013-2017, vor dem Wechsel in die Landesregierung Schleswig-Holstein, kommunalpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 2013 wurde er zum Bundesvorsitzenden der kommunalpolitischen Vereinigung von CDU und CSU gewählt. 2017 erfolgte die Ernennung zum Staatssekretär und Bevollmächtigten des Landes Schleswig-Holstein beim Bund. Seit 1. April 2020 ist Liebing Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen e. V. (VKU).