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Digitalisierung & KI

Standpunkte Digitale Zivilgesellschaft ist „systemkritisch”

Julia Kloiber & Elisa Lindinger, Superrr Lab
Julia Kloiber & Elisa Lindinger, Superrr Lab Foto: Oliver Ajkovic

Die Krise zeigt, wie abhängig wir von unabhängiger, belastbarer digitaler Infrastruktur sind. Elisa Lindinger und Julia Kloiber von Superrr Lab fordern deshalb, dass der Aufbau eines gemeinwohlorientierten digitalen Ökosystems politische Priorität wird.

von Julia Kloiber und Elisa Lindinger

veröffentlicht am 01.04.2020

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Tagtäglich wird uns derzeit vor Augen geführt, wie schlecht wir in Deutschland auf das echte digitale Leben vorbereitet sind: Das Homeoffice scheitert an der Zahl der sicheren Zugänge ins lokale Netzwerk des Arbeitgebers oder am fehlenden Sicherheitskonzept für Heimarbeit. Digitaler Kontakt mit Behörden ist in Deutschland im Vergleich zu unseren Nachbarländern immer noch die Ausnahme. Auch digitales Lernen ist längst nicht gang und gäbe: Den Schulen fehlt es an digitaler Infrastruktur, kommerzfreien Plattformen und freien Lehrinhalten.

In Zeiten der Krise zeigt sich also die Bedeutung von unabhängigen und belastbaren digitalen Infrastrukturen, die es Menschen, Organisationen und Firmen ermöglichen, ihren alltäglichen Aufgaben nachzukommen. Von den Umstellungen zur Eindämmung von Covid-19 haben bislang vor allem die großen Technologiekonzerne profitiert: Die Verlagerung des Lebens in die digitale Sphäre beschert ihnen größere Marktanteile, Nutzungszahlen und Datensammlungen

Um nicht von ihnen abhängig zu sein, hat ein unabhängiges Bündnis von Organisationen der digitalen Zivilgesellschaft eine Reihe von Empfehlungen entwickelt, um aus der Krise zu lernen und ein aktives digitales Ökosystem zu schaffen, das echte Wahlmöglichkeiten bietet.

Das Internet wird von Ehrenamtlichen am Leben gehalten

Ein weitreichendes Netz an Menschen und Organisationen arbeitet an dezentraler – und damit widerstandsfähiger – digitaler Infrastruktur: Beispielsweise stellen Freifunk-Initiativen freien Zugang zum Internet bereit, andere Projekte entwickeln sichere Kommunikationswege und -werkzeuge und stärken damit den Schutz der Privatsphäre, wenn sich unser Leben zunehmend digital abspielt. Zu den derzeit vielzitierten „systemkritischen Berufen” gehören auch die Tätigkeiten derer, die solche digitale Infrastruktur entwickeln, warten oder bereitstellen. Dafür verdienen sie Anerkennung und Unterstützung. Bisher fehlen niedrigschwellige Förderprogramme, die solchen Projekten zugänglich sind. Deshalb braucht es ganz neue Arten von öffentlicher Förderung sowie Mut und Gestaltungswillen seitens der Politik, um die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Es gilt: Instandhaltung statt Innovation 

Bisher folgt öffentliche Förderung aber dem Mantra der Innovation: Neue Ideen werden unterstützt, etablierte und funktionierende Technologien und ihre Instandhaltung dagegen nicht. Um den Vergleich zu anderen Infrastruktur-Baustellen zu ziehen: Neue Straßen werden gebaut, bestehende aber nicht gewartet. Dieser Mangel an Unterstützung führt dazu, dass kritische Infrastrukturprojekte, beispielsweise gängige Internetprotokolle, häufig von wenigen Freiwilligen ehrenamtlich am Leben gehalten werden, denen es an zeitlichen und finanziellen Ressourcen mangelt. So unterlaufen fatale Fehler, wie die 2014 entdeckte Sicherheitslücke „Heartbleed“ eindrucksvoll gezeigt hat: Ein nicht erkannter Fehler in der Bibliothek OpenSSL führte dazu, dass zahlreiche Webseiten und viel genutzte Onlinedienste über Jahre für Angriffe anfällig waren. 

Expertise der digitalen Zivilgesellschaft für politische Gestaltungsprozesse unabdingbar

Für eine gute Digitalpolitik muss die Expertise der Zivilgesellschaft in politische Gestaltungsprozesse mit einfließen – das muss über die weitgehend folgenlosen Online-Konsultationen der letzten Jahre hinausgehen. Die digitale Zivilgesellschaft treibt seit Jahren wichtige gesellschaftliche Themen wie Dezentralisierung, Datenschutz und Zugang zu Information voran und achtet darauf, dass Grundrechte auch in Zeiten der immer schneller werdenden Digitalisierung erhalten bleiben. Und genau diese werden wir brauchen, um für die nächste Krise besser gerüstet zu sein.  

Am Ende ist eine unabhängige und zuverlässige digitale Infrastruktur nicht nur eine Frage der wirtschaftlichen Souveränität, sondern auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Denn der Zugang zu Wissen und sicheren, widerstandsfähigen digitalen Werkzeugen entscheidet, wer in Zukunft mitgestalten kann und wer abgehängt wird.

Elisa Lindinger und Julia Kloiber sind Gründerinnen des Superrr Lab, einer Non-Profit-Organisation, die neue Technologien erforscht und an einer gerechten und diversen digitalen Zukunft arbeitet. Beide haben den Prototype Fund mit-gegründet und maßgeblich gestaltet. Aktuell forschen sie, unterstützt von der Ford Foundation, zu Open-Source-Infrastruktur und neuen Fördermöglichkeiten.

In den letzten Tagen haben sie gemeinsam mit Organisationen der digitalen Zivilgesellschaft, darunter der Chaos Computer Club, D64, Epicenter.Works, Free Software Foundation Europe, Stiftung Neue Verantwortung, Superrr Lab und Wikimedia, einen Empfehlungskatalog für deren Förderung ausgearbeitet, der heute veröffentlicht wird.

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