Als im Januar die Frist für die Grundsteuererklärung endete, fehlte jede dritte Erklärung – obwohl sie schon um drei Monate verlängert wurde. Bürgerinnen und Bürger ärgerten sich massiv darüber, dem Staat Daten liefern zu müssen, die er doch längst hatte. Über ein halbes Jahr lang warteten Studenten und Fachschüler darauf, ihre 200-Euro-„Soforthilfe“ für Energiekosten beantragen zu können. So lange brauchten Bund und Länder, die digitale Plattform und Bearbeitungsprozesse dafür aufzusetzen.
Grundsteuer und Soforthilfe offenbaren, wie schwerfällig der Digitaltanker Deutschland noch immer ist. Zwar sind die erforderlichen Daten oftmals schon erfasst, liegen aber auf dezentralen Datenbanken verstreut. Es fehlen notwendige Schnittstellen und durchgehend digitale Prozesse. Also müssen die Bürgerinnen und Bürger weiterhin einspringen, und ihre Dokumente von A nach B tragen oder – wie bei der Grundsteuer – die eigentlich bekannten Daten an die Verwaltung übermitteln.
Das wird wahrscheinlich nicht das letzte Mal gewesen sein. Die Ampel-Koalition bremst das Herzstück der Verwaltungsmodernisierung, die Registermodernisierung, mit der fortdauernden Uneinigkeit zur Verwendung der Steuer-ID weiter aus. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) ist bei weitem noch nicht umgesetzt – trotz eines übergreifenden Kraftaktes von Bund und Ländern in den vergangenen Jahren. Von den 575 im Gesetz definierten Verwaltungsleistungen standen Ende 2022 nur ein Bruchteil – 33 Verwaltungsleistungen – digital und flächendeckend zur Verfügung. Die Gründe sind systemimmanent: Fragmentierte Zuständigkeiten und schwierige Abstimmungen im föderalen Gefüge. Umso mehr kommt dem OZG 2.0, auf das nun alle warten, eine große Bedeutung zu, um ausreichend Durchschlagskraft für eine digitale und serviceorientierte Verwaltung zu entwickeln.
Bisher kennen wir nur geleakte Vorentwürfe des neuen Gesetzes. Um es klar zu sagen: Diese überzeugen nicht, denn die Vorschläge sind zu zögerlich und wenig durchschlagfähig. Dabei haben Länder und Kommunen sowie der Normenkontrollrat längst klar definiert, was es braucht, um ein funktionierendes System der Verwaltungsdigitalisierung zu bauen.
1. Treibende Kraft mit schlagkräftiger Mannschaft und verlässlichem Budget
Für die Verwaltungsdigitalisierung sind eine treibende politische Kraft sowie ressortübergreifende und effektive Strukturen notwendig. Die treibende Kraft muss die Bundesinnenministerin Faeser sein – doch die schiebt das Thema vor sich her und hat es versäumt, eine neue Koordination zwischen den relevanten Akteuren auf allen Ebenen – Bund, Ländern und Kommunen – anzustoßen und Mechanismen wie Qualitätssicherung, Wissenstransfer und agile Methoden in Gang zu setzen.
Auch finanzielle Anreize wären wichtig. Denn gelingen wird die für das OZG 2.0 und die Registermodernisierung notwendige Planung, Koordination und Umsetzung nur mit mehr Fachkräften und deren systematisch entwickelten Digitalisierungskompetenzen sowie verlässlichen Budgets auf allen Ebenen. Auch darauf muss man sich verständigen. Viel Hoffnung habe ich dabei nicht. Denn dass Digitalisierung bei dieser Regierung keine Priorität hat, wurde bereits in den Haushaltsverhandlungen 2023 deutlich. Das im Koalitionsvertrag versprochene Digitalbudget blieb Wunschdenken. Und hätten die Länder Ministerin Faeser nicht daran erinnert, dass sie die Mittel für die Umsetzung des OZG aus dem Konjunkturpaket sichern muss, sie wären pfutsch gewesen.
2. Klare Architektur und mehr Fokus auf Standards und Schnittstellen
Das OZG 2.0 verspricht eine Vereinheitlichung wichtiger digitaler Angebote. Für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen soll es anstatt verschiedener Nutzerkonten der Länder ein einziges Bundeskonto in Verbindung mit einer Bund-ID geben. Zudem sollen sogenannte elektronische Antragsassistenten eingeführt werden. Doch damit allein ist es nicht getan. Die Notwendigkeit einer einheitlichen Standardisierung ist längst keine neue Erkenntnis mehr, doch der Bund berücksichtigt weder grundlegende Standards für den Datenaustausch, noch werden die Länder und Kommunen im Nachfolgegesetz auf eine entsprechende Standardisierung verpflichtet.
Der Bund müsste hierfür gleichwohl einheitliche Architektur- und Standardisierungsvorgaben machen sowie Basisinfrastrukturkomponenten zur Verfügung stellen. Das OZG 2.0 sollte daher klar definieren, welche Aufgaben es gibt, wer für welche Leistungen verantwortlich ist, sowie wer in diesem Prozess entscheidet und steuert. Wichtig wäre, die Fitko als Koordinierungs- und Vernetzungsstelle zu stärken, damit sie schnell und effektiv Standards durchsetzen kann.
3. Ziele und Meilensteine
Das vorgeschlagene OZG 2.0 drückt nicht aufs Tempo – im Gegenteil. Es setzt keine verbindlichen Meilensteine und Umsetzungsfristen mehr – hat die Fortschrittskoalition die Verwaltungsdigitalisierung etwa schon aufgegeben? Ein OZG 2.0 braucht diese Meilensteine ebenso wie die Registermodernisierung, die seit 1,5 Jahren liegen gelassen wird.
4. Once-Only und Ende-zu-Ende-Digitalisierung
Um die Chancen der Digitalisierung wirklich zu nutzen, reicht kein digitales Antragsformular, sondern es braucht einen effizienten Prozess von der Antragstellung vom Sofa aus bis zur digitalen Erfassung und Verarbeitung in der Behörde. Doch im Moment bleiben die digitalen Prozesse auf halber Strecke stecken, die Verwaltungsmitarbeiter im Backend haben noch zu wenig davon. Ziel eines OZG 2.0 müsste eine Ende-zu-Ende-Digitalisierung sein, die das Once-Only-Prinzip konsequent umsetzt. Die Basis ist bereits geschaffen: Mit dem Registermodernisierungsgesetz soll der Datenaustauch zwischen Behörden möglich gemacht werden.
Doch die Unstimmigkeiten zum schon 2021 von Bundestag und Bundesrat beschlossenen rechtlichen Rahmen verzögern die Registermodernisierung weiterhin. Das ist absurd, denn fast alle europäischen Staaten setzen auf die Architektur, die 2021 in unserem Gesetz festgelegt wurde. Beide Prozesse – Registermodernisierung und OZG 2.0 – müssen jetzt, besser heute als morgen, klug miteinander verzahnt und vorangetrieben werden. Die Voraussetzungen dafür sind bereits geschaffen worden. Damit lassen sich künftig solche Miseren wie zur Grundsteuererklärung verhindern, weil Daten von Bürgerinnen und Bürgern nicht immer wieder neu abgefragt werden müssen.
Wer die Verwaltungsdigitalisierung weiter verschleppt, zieht nicht nur den Unmut der Bürger auf sich. Deutschland fällt auch als Wirtschafts- und Innovationsstandort im internationalen Vergleich immer weiter zurück. Gerade einer Bundesinnenministerin müsste klar sein, dass dadurch die Handlungsfähigkeit und Krisenfestigkeit unseres Landes auf dem Spiel steht. Spätestens nach Corona wurde offenbart, dass die Digitalisierung kein Nischenthema, sondern ein Überlebensthema ist. Mit dem OZG 2.0 müsste die Verwaltungsmodernisierung an Fahrt gewinnen, doch dafür muss dieser Gesetzesentwurf der Ampel erst noch eine Werkstattrunde drehen.
Nadine Schön ist stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.