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Digitalisierung & KI

Standpunkte Es braucht eine einheitliche Strategie für ein vernetztes Europa

Christian Maasem, Partner und Head of Hyperconnectivity bei Detecon International
Christian Maasem, Partner und Head of Hyperconnectivity bei Detecon International Foto: Detecon 2024

Trotz einiger Bemühungen wurde auf EU-Ebene der Einstieg in die 5G-Technologie teilweise verpatzt, findet Christian Maasem vom Unternehmensberater Detecon International. Im Standpunkt schreibt er, was künftig verbessert werden muss, um die hochgesteckten europäischen Ziele bei der Konnektivität zu erreichen.

von Christian Maasem

veröffentlicht am 06.06.2024

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Anfang des Jahres hat die Europäische Kommission 5G- und Konnektivitätsprojekte in der EU mit einem Gesamtvolumen von 252 Millionen Euro bewilligt. Das große Ziel: Europa bis 2030 zum am besten vernetzten Kontinent der Welt machen. Ein ehrgeiziger Plan, der ein entschlossenes und innovatives Vorgehen der EU erfordert.

Denn die Investitionen in die Zukunft der Konnektivität sind von entscheidender Bedeutung, insbesondere angesichts des teilweise verpatzten Einstiegs in die 5G-Technologie. Hier wurde die Industrie erst spät einbezogen und beginnt erst jetzt zu verstehen, welchen Nutzen ein mobiles Industrienetz bietet. Mit dem Nachfolger 6G besteht die Chance, es besser zu machen und von Anfang an mit konkreten Anwendungen und Business Cases in der Industrie durchzustarten.

Dazu bedarf es einheitlicher regulatorischer Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern sowie einer übergreifenden Strategie und Standardisierung, welche Infrastruktur und Technologien die europäische Industrie genau benötigt. Dies erfordert innovative Konzepte, die nicht nur technologisch, sondern auch wirtschaftlich tragfähig und nachhaltig sind. Wenn Europa aber weiterhin in diesem Tempo weitermacht, wird das große Ziel der ganzheitlichen Konnektivität, die mit der 5G-Vision angestrebt wird, nur schwer zu erreichen sein.

Konnektivität wird in der EU als „Commodity“ betrachtet

Die EU steht in Sachen Konnektivität immer noch vor großen Herausforderungen: Während die Technologieanbieter eifrig an einer sinnhaften und nachhaltigen Einführung von 5G- und 6G-Netzen arbeiten, betrachten viele Industrieunternehmen Konnektivität weiterhin als austauschbare Ware, die lediglich funktionieren soll.

Dabei sind ihnen Aspekte wie Zuverlässigkeit, Zugänglichkeit und Sicherheit wichtiger als die genaue technische Ausführung. Langfristig ist es jedoch erforderlich, Technologien gemäß den Anforderungen der Industrie zu entwickeln und zu standardisieren, anstatt sich ausschließlich auf das Streben der Hersteller nach neuen technischen Möglichkeiten und Funktionen zu konzentrieren. Nur so lassen sich übertragbare Use Cases entwickeln und leistungsfähige Lösungen implementieren, die auf der produktiven Seite brauchbare Ergebnisse liefern, ohne dabei übermäßig komplex zu werden. Dabei können so auch Aspekte in den Vordergrund rücken, die für die Anbieter möglicherweise von geringerer Bedeutung sind, Anwendern aber essenziell erscheinen.

Aktuell fehlt es jedoch an einer umfassenden Strategie, die darlegt, welche Technologien zu welchem Zweck verknüpft werden sollen, um ganzheitliche Digitalisierungs-Use Cases zu ermöglichen. Die unterschiedlichen Akteure – wie Unternehmen, Netzbetreiber und Behörden – schieben sich derweil gegenseitig die Verantwortung zu, wenn es um die Erfüllung von Anforderungen und den konkreten Handlungsbedarf geht. Hier bedarf es in Zukunft auch für das 6G-Netz einer besseren Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure und eines stärkeren Bewusstseins für die Bedeutung der Konnektivität.

Die Industrie muss zu einer treibenden Kraft werden

Um eine länderübergreifende Konnektivitätsstrategie voranzutreiben, ist vor allem eine aktive Rolle der Industrie erforderlich. Dafür muss die EU verstärkt die Markttransparenz fördern und Industrieunternehmen frühzeitig in die Entwicklung und Standardisierung neuer Technologien einbinden. Dies kann etwa durch die Einführung entsprechender Richtlinien und Programme geschehen, die darauf abzielen, den Markt für Telekommunikationsdienste übersichtlicher zu gestalten und mit anderen relevanten Technologiebereichen zu verzahnen.

So lassen sich bei der Entwicklung frühzeitig relevante Use Cases und Anforderungen berücksichtigen. Marktgerechte Technologien stärken wiederum die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Telekommunikationsbranche. Sie fördern die Entwicklung neuer Technologien und Dienstleistungen, da sie auf Abnehmer treffen, die selbst an deren Entwicklung mitgewirkt haben.

Auch bei den Förderprogrammen des Staatenverbundes gibt es noch Luft nach oben. Die EU unterstützt derzeit zwar viele einzelne Konnektivitätsprojekte, diese dauern jedoch oft zu lange, um einen spürbaren Effekt zu erzielen. Insbesondere, wenn Projekte oder Förderungen nach drei Jahren auslaufen, fehlt es Unternehmen oft an einem langfristigen Businessplan, um einen nachhaltigen Mehrwert aus den Projekten zu generieren und mit den hohen Betriebskosten umzugehen.

Daher sind künftig effizienter gestaltete Prozesse und Zyklen notwendig, die es ambitionierten Unternehmen ermöglichen, schneller aus Projekten zu lernen und die Industrie stärker einzubinden. Nur so können die Akteure agiler auf die sich verändernden Anforderungen der Digitalisierung reagieren und Innovationen im Bereich der Konnektivität schneller umsetzen. Um diesen Transfer voranzutreiben, ist eine noch stärkere Unterstützung durch die EU unerlässlich.

Mehr Interoperabilität ist gefragt

Doch die Verantwortung, Digitalisierung und Konnektivität voranzubringen, liegt nicht allein bei der EU. Auch die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten muss weiter optimiert werden. Vor allem multinationale Firmen sehen sich in jedem Land mit anderen Voraussetzungen und rechtlichen Rahmenbedingungen konfrontiert.

Konkret heißt das: Was in einem Land gilt, muss nicht zwangsläufig auch in einem anderen gelten. Das gefährdet auf lange Sicht die Effizienz und Wirksamkeit von grenzüberschreitender Geschäftsaktivitäten sowie die Entwicklung einheitlicher Standards und Technologien. Für die Umsetzung entsprechender Gesetze und transnationaler Regularien müssen sich die einzelnen Länder gemeinsam engagieren und stärker miteinander kooperieren. Ohne diese Zusammenarbeit wird es schwierig sein, die Herausforderungen des digitalen Zeitalters im Alleingang zu bewältigen.

Visionen für ein vernetztes Europa müssen allen Beteiligten klar sein

Um echte Mehrwerte zu schaffen und innovative Ideen in der Praxis umzusetzen ist es wichtig, dass alle beteiligten Akteure begreifen, dass Konnektivität ein entscheidender Motor für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Europäischen Union ist. Dafür müssen die Länder aktiv an einheitlichen Regulierungen sowie Standardisierungen mitwirken und die Grenzen der Vernetzung klar definieren – ohne dabei die eigentlichen Anwender der verschiedenen Industrien und Domänen außen vor zu lassen. Auch die EU muss ihre Rolle als Enabler wahrnehmen und ein interoperables Telekommunikationsumfeld schaffen, das andere relevante Technologien einschließt, die für vollständige Use Cases benötigt werden. Nur so lässt sich die Komplexität des Marktes reduzieren und in tragfähige 5G- und 6G-Projekte zu investieren.

Christian Maasem ist Partner bei der Detecon International GmbH und Head of Hyperconnectivity. Er leitete die Fachgruppe Informationstechnologiemanagement und die Innovation Labs am FIR an der RWTH Aachen.

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