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Digitalisierung & KI

Standpunkte Europas Verteidigung braucht mehr Innovation

Benjamin Wolba, Organisator des European Defense Tech Hackathon
Benjamin Wolba, Organisator des European Defense Tech Hackathon Foto: Foto: privat

Deutschland muss bei den Innovationen im Verteidigungsbereich umdenken – und zwar rasch und radikal, findet Benjamin Wolba. Er veranstaltet ab heute wieder einen dreitägigen Hackathon in München, parallel zur Sicherheitskonferenz, und sieht dieses Format als notwendig, um auch „bottom-up“ Verteidigungsinnovationen zu finden. Es müsse Alternativen zu überteuerten Großaufträgen an Einzelanbieter geben, fordert Wolba im Standpunkt.

von Benjamin Wolba

veröffentlicht am 13.02.2025

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Mehr als 1000 Tage sind vergangen, seit Bundeskanzler Olaf Scholz die Zeitenwende ausrief. Doch wo ist sie geblieben? Christian Schweppes Buch „Zeiten ohne Wende“ bringt es auf den Punkt: Flugzeuge, die nicht fliegen. Panzer, die nicht fahren. Soldaten, die nicht genug Munition haben. Während andere Nationen in moderne Verteidigungstechnologien investieren, hält Deutschland an ineffizienten Strukturen fest.

Dabei ist eine echte Wende längst überfällig. Der Drohnenkrieg in der Ukraine hat die moderne Kriegsführung grundlegend verändert: Günstige Drohnen attackieren millionenschwere Waffensysteme und untergraben die klassische militärische Kostenrechnung. Werden Drohnen aktuell noch vor allem durch Piloten per First-Person View (FPV) manuell gesteuert, werden sie schon bald in Schwärmen agieren und autonom Ziele angreifen können.

Und Deutschland? Die Bundeswehr testet DJI-Drohnen aus China, während die Niederlande bereits 400 Millionen Euro in die Entwicklung eigener Systeme mit der Ukraine investieren. Laut Bundeswehr gibt es Stand Oktober 2024 keinen Plan für das Testen von FPV-Kampfdrohnen.

Dabei herrscht in Deutschland kein Stillstand: Die Initiative kommt etwa von Donaustahl, das die modulare Maus-Drohne entwickelt hat, oder Highcat, das Aufklärungsdrohnen produziert. Beide beliefern ukrainische Truppen schon mit hunderten Drohnen. Aber von staatlicher Seite werden Drohnen noch immer nicht als Beschaffungsschwerpunkt gesehen – das ist fatal und geht an der Realität vorbei.

Verteidigungsinnovation in Europa

Es gibt grundsätzlich keinen Mangel an innovativen Lösungen in Deutschland und Europa – wohl aber an Strukturen, die sie voranbringen. Die Beschaffungsbürokratie in Koblenz wird es nicht richten. Die Sprind (Bundesagentur für Sprunginnovationen) verfolgt bislang nur zivile Projekte. Die Cyberagentur ist auf die ferne Zukunft ausgerichtet. Der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr startet Innovationsprojekte zu Problemen, die von der Truppe gemeldet werden. Doch genau hier liegt das Problem: Die Bundeswehr befindet sich gerade nicht im Krieg. Und was nicht gemeldet wird, wird nicht behandelt – selbst wenn es sicherheitsstrategisch dringend erforderlich wäre.

Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass sich die Lage kontinuierlich verändert, und Innovation nicht nur auf zentraler Ebene durch Großeinkauf funktioniert, sondern auch durch Integration von Programmierern, Ingenieuren und Mechanikern überall in der Truppe. Russland und die Ukraine entwickeln im Wettlauf ständig neue Lösungen – und dadurch offenbaren sich wiederum ständig neue Probleme. Ein starres System kann mit dieser Dynamik nicht Schritt halten.

Wie es besser geht, zeigt aber genau die Ukraine selbst. Die Regierung hat 2023 mit „Brave1“ eine Plattform für Verteidigungsinnovation geschaffen, die im engen Austausch mit Soldaten an der Front akute Probleme identifiziert und gezielt nach Lösungen sucht. Diese werden dann direkt getestet – zunächst auf eigenem Testgelände, und schließlich unter realen Einsatzbedingungen an der Front. So entstehen Prototypen, die in kürzester Zeit, oft nach nur einer Woche, zu einsatzfähigen Produkten weiterentwickelt werden – robust, praxisnah und kriegstauglich.

Brave1 ist längst nicht die einzige Struktur, wie Lösungen Endnutzer finden können – einzelne Einheiten innerhalb des Militärs, der Sicherheits- und Nachrichtendienste, und der Polizei verfügen auch über eigene Budgets, um Lösungen zu testen. Fragt sich noch, woher die Lösungen in Europa beziehungsweise. Deutschland kommen? Ein Weg, der sich als besonders effektiv herausgestellt hat, sind „Defense Tech Hackathons.“

Hackathons stammen ursprünglich aus der Tech- und Start-up-Szene. Dort treffen sich Entwickler, um innerhalb eines Wochenendes gemeinsam Softwareprototypen zu entwickeln oder neue KI-Anwendungen zu entwerfen. Defense Tech Hackathons funktionieren ähnlich – doch hier geht es nicht um die nächste Social-Media-App, sondern um Lösungen für drängende Sicherheitsprobleme, die potenziell Leben retten können.

Ein neues Netzwerk für Verteidigungsinnovation

Die Zeitenwende entsteht nicht nur „top-down“ durch politische Entscheidungen, sondern auchbottom-up“, durch praktische Innovation und indem Leute anpacken und Lösungen entwickeln.

Ende Juni 2024 organisierte ich zusammen mit Jonatan Luther-Bergquist und vielen weiteren Unterstützern einen der ersten und damals größten Defense Tech Hackathons Europas – mit 150 Teilnehmern, Hackern, Mentoren und Besuchern aus ganz Europa, der Ukraine, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten. Die Resonanz war überwältigend. Nur Tage nach dem Event erreichten uns Anfragen: Wann findet der nächste Hackathon statt?

Unsere Antwort war der European Defense Tech Hub (EDTH) – ein europaweites Netzwerk, mit der Mission, mehr Talente für den Verteidigungsbereich zu gewinnen, Innovation zu beschleunigen, und den Transfer von Innovation in konkrete Anwendungen zu fördern, um die wirklich wichtigen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen: Drohnenabwehr statt Dating-Apps!

Ein „Do Tank“ statt „Thinktank“

Während auf Konferenzen schon viel über Probleme und Herausforderungen diskutiert wird, sind Hackathons wie der unsere bewusst angelegt, um mehr Menschen zum Tun zu bewegen – „Do Tank“ statt „Thinktank“.

Denn bahnbrechende Innovation entsteht durch iteratives Bauen, Testen, Neudefinieren und wieder Umbauen, nicht durch langwierige Anforderungsanalysen und Einkaufsprozesse. Genau wie in der Ukraine, nur bevor der Angreifer im Land ist. Es geht auch nicht nur um die Projekte an sich, sondern um die Fähigkeit als Gesellschaft, schnell und effizient unsere besten Technologieentwickler zum Einsatz zu bringen.

Dabei lassen sich kritische Herausforderungen im Verteidigungsbereich häufig nicht allein durch ein Software-Update lösen. Software und KI sind entscheidende Bausteine, etwa zur Drohnenerkennung, doch letztlich braucht es Hardware, um Drohnen tatsächlich abzuwehren. Heute ist die schnelle Entwicklung eines Hardwareprototyps durch additives Fertigen und günstige Halbleiter, Sensoren und Drohnen vergleichsweise einfach möglich.

Beschaffung neu denken

Um das zu erreichen, müssen wir auch weitere strukturelle Baustellen angehen, um echte Fortschritte zu erzielen – vor allem beim Thema Beschaffung:

Ein Teil des staatlichen Budgets sollte in skalierbare, neuartige Systeme investiert werden – vielleicht einen Panzer weniger und stattdessen tausende Drohnen anschaffen, inklusive Ausbildung der Soldaten und Reservisten im Bereich Reparatur, Umgang und Einsatztaktik.

Überteuerte Großaufträge an einzelne Hersteller sollten durch die Einführung von Ausschreibungen abgelöst werden, die es ermöglichen, von mehreren Anbietern einzukaufen. Statt teurer Einzelverträge könnte der Staat beispielsweise ausschreiben: Wir kaufen eine Million Drohnen bis 2026. Dies würde Unternehmen Planungssicherheit geben und den Innovationsdruck erhöhen.

Wie ein solches Modell erfolgreich funktionieren kann, zeigt die „Drone Capability Coalition“ aus Großbritannien und Lettland. Diese Länder haben Anfang 2024 eine Ausschreibung gestartet, bei der sich Unternehmen um die Produktion von FPV-Drohnen für die Ukraine bewerben konnten. Der Wettbewerb sorgte für schnellere und kosteneffizientere Beschaffung. Deutschland ist Teil der Koalition, aber könnte solch ein Modell auch zur eigenen Beschaffung übernehmen.

Die Zeitenwende erreichen wir nicht durch Reden, sondern durch Taten. Europa hat keine Zeit mehr zu verlieren!

Benjamin Wolba organisiert den European Defense Tech Hackathon, der von 13. bis 16. Februar 2025 in München stattfindet. Zudem schreibt er seinen Blog „Future of Computing“ und ist als Investmentpartner für Lunar Ventures tätig.

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