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Standpunkte IT-Sicherheit: Erst ein Konzept, dann Gesetze

Ulrich Kelber und Nils Bergemann, BfDI
Ulrich Kelber und Nils Bergemann, BfDI Foto: BfDI

Bei digitalen Sicherheitsgesetzen könne ein „Viel hilft viel“ nicht funktionieren, schreiben Ulrich Kelber und Nils Bergemann. Was häufig fehle, sei vielmehr ein schlüssiges Gesamtkonzept.

von Ulrich Kelber und Nils Bergemann

veröffentlicht am 15.01.2020

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Derzeit werden zahlreiche Forderungen erhoben, Sicherheitsgesetze zu erweitern. Anlass sind insbesondere die aktuell diskutierten rechtsextremistischen Straftaten. Doch schon in der Vergangenheit erhielten die Sicherheitsbehörden immer mehr Befugnisse. Dahinter stand selten ein Gesamtkonzept. Vielmehr reagiert die Politik vor allem auf Einzelanlässe. Doch wer Sicherheit will, muss seinen Blick erweitern.

Wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen würde der Gesetzgebung eine Atempause gut tun: Wir brauchen ein Sicherheitsgesetz-Moratorium. Denn ebenso wie E-Scooter nicht die mangelhafte Infrastruktur im öffentlichen Nahverkehr verbessern können, werden immer mehr Sicherheitsgesetze die grundsätzlichen Probleme unserer Inneren Sicherheit nicht lösen. Ein Beispiel ist das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität.

Überwachungs-Gesamtrechnung nötig

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber auferlegt, den Stand der eigenen Gesetzgebung regelmäßig zu beobachten. Es sollen vor allem neue Vorschriften für eine flächendeckende vorsorgliche Speicherung von Daten verhindert werden. Dies darf auch nicht versehentlich durch die Verkettung verschiedenster Vorschriften geschehen. Dazu wäre eine regelmäßige „Überwachungs-Gesamtrechnung“ nötig, wie es Alexander Roßnagel, Professor an der Universität Kassel, treffend beschreibt. Eine solche Überwachungs-Gesamtrechnung ist bislang noch nie durchgeführt worden. Eine wissenschaftliche Untersuchung von unabhängiger Stelle wäre angebracht.

Bevor der Gesetzgeber über neue Befugnisse nachdenkt, muss er prüfen, ob die Behörden die vorhandenen Befugnisse genügend ausgeschöpft haben – und zwar nicht nur die Bundesbehörden. Denn Sicherheit wird vor Ort gemacht. Wenn Bürgerinnen und Bürger in Not sind, dann hilft die Polizeiwache um die Ecke. Neue Befugnisse für die Datenverarbeitung helfen nicht weiter, wenn diese viel Personal binden. Denn so bleiben weniger Beamte für Ermittlungsarbeit, Gefahrenabwehr und Präsenz vor Ort.

Am besten ist es natürlich, wenn Kriminalität gar nicht erst entsteht. Prävention, Bildung und Sozialarbeit sind entscheidend. Vielleicht hat manche Lehrerin oder mancher Lehrer Kriminalität besser und nachhaltiger verhindert, als viele Staatsanwälte. Für die Politik ist es natürlich einfacher, ein neues Gesetz zu machen. Einfache Lösungen helfen aber nicht gegen komplizierte Probleme. Wer Sicherheit will, muss alles in den Blick nehmen – nicht nur neues Personal für Bundesbehörden und neue Gesetze.

Von richtigen Daten zum falschen Verdacht

Schon jetzt ergeben sich unzählige technische Möglichkeiten, das Leben und die Entscheidungen einzelner Menschen mit Hilfe von Daten zu beeinflussen. Deshalb sind Maschinen, die in der Zukunft entscheiden, ob jemand ein Verdächtiger ist oder nicht, zumindest technisch gesehen nicht mehr unvorstellbar. Wenn die Daten zu einem falschen Verdacht führen, kann dies den Status eines Menschen im gesellschaftlichen Leben nachhaltig verändern oder zerstören.

Sich zu begrenzen ist gerade das Wesen des Rechtsstaates. Es muss deshalb klar definiert sein, welchen Personenkreis die Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste überhaupt und für wie lange erfassen dürfen. Je weniger „nah“ eine Person mit einer konkreten Straftat oder Gefahr im Zusammenhang steht, desto weniger darf sie gespeichert werden.

So regeln etwa die Nachrichtendienstgesetze nur sehr ungenau, welche Maßnahmen gegen welchen Personenkreis eingesetzt werden dürfen. Die Nachrichtendienste dürfen derzeit aufgrund der weit gefassten Rechtsvorschriften auch Personen überwachen, die überhaupt nicht wissen, dass sie für extremistische Zwecke missbraucht werden. Die Rechtsprechung hat dafür sogar einen eigenen Begriff geprägt: der „nützliche Idiot“.

Unschuldsvermutung heißt: Datenschutz

Für polizeiliche Dateien ist es ein Kernanliegen des Datenschutzes, die Unschuldsvermutung stärker zur Geltung zu bringen. Bislang müssen Daten erst gelöscht werden, wenn die Unschuld tatsächlich erwiesen ist. Wird jemand nur aus „Mangel an Beweisen“ freigesprochen, bedeutet das in der Regel: Die Daten werden weiter gespeichert. Jeder der freigesprochen wird, sollte aber die Chance haben, nicht nur aus einem Ermittlungsverfahren, sondern auch aus polizeilichen Dateien wieder herauszukommen.

Entscheidend ist auch Transparenz. Nur wenn ich weiß, was über mich gespeichert wird, kann ich vor einem Gericht dagegen klagen. Wenn Sicherheitsbehörden heimlich ermitteln, sind starke Kontrollbefugnisse unabdingbar. Bislang kann der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) nur gegenüber dem Bundeskriminalamt verbindliche Vorgaben anordnen. Für den Bundesnachrichtendienst hat es die Bundesregierung dem BfDI zuletzt sogar erschwert, seine Kritik überhaupt mitzuteilen. An den Bundestagsinnenausschuss darf er sich mittlerweile hierzu gar nicht mehr wenden.

Ein Sicherheitsgesetz-Moratorium, eine gründliche Bestandsaufnahme und eine starke Aufsicht wären deshalb der richtige Weg – wer Sicherheit und Grundrechte will, muss zuerst für Überblick sorgen.

Ulrich Kelber (SPD) ist Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI).

Nils Bergemann ist Referent im Referat „Bundeskriminalamt und Strafverfolgung“ von Kelbers Behörde.

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