Vor einigen Wochen sickerte durch, dass im Bundeswirtschaftsministerium eine trendige Namenssuche eingesetzt hat. Wenn sich andere Minister mit plakativen Gesetzesnamen wie „Starke-Familien-Gesetz“ oder „Geordnete-Rückführung-Gesetz“ profilieren können, muss es doch auch einen catchy Gesetzesnamen geben, unter dem die – Achtung, langweilig! – „10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)“ in den sozialen Medien trenden kann! Die Beamten im Wirtschaftsministerium kamen auf den eher trägen Namen „GWB-Digitalisierungs-Novelle“. Im Kartellrechtsblog der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, D’Kart, setzte sich in einer Abstimmung ein anderer Vorschlag durch: „Weitreichende-Wohlfahrt-durch-wirklich-wirksamen-Wettbewerb-im-World-Wide-Web-Gesetz“. W7 – das sagt natürlich mehr über die Erwartungshaltung der Kartellrechts-Community als über den Inhalt des Entwurfs, der in den kommenden Tagen vorgestellt werden soll.
Zähmung der „Tech-Titanen“?
In der Sache geht es um neue kartellrechtliche Regeln, mit denen die Wettbewerbshüter, allen voran das Bundeskartellamt, die „Tech-Titanen“ zähmen soll. Das sind vor allem Google, Amazon, Facebook, Apple (kurz: GAFA). Dass eine Einhegung ihrer wirtschaftlichen Macht mit den derzeitigen Regeln schwierig ist, hatte das Bundeskartellamt gerade erst im Facebook-Verfahren erlebt: Eine Aufsehen erregende Verfügung der Bonner Behörde gegen das Netzwerk ist vom Oberlandesgericht Düsseldorf vorerst gestoppt worden. Eigentlich kann Peter Altmaier nur verlieren, wenn der Gesetzentwurf veröffentlicht wird.
Dafür gibt es drei Gründe: Erstens sind die Spielräume des deutschen Gesetzgebers durch das vorrangige europäische Recht beschränkt. Zweitens wissen die Stakeholder, die im Ministerium gehört werden, selbst nicht so recht, was sie eigentlich wollen: Die GAFAs würden sie zwar gern an die Kette legen. Das darf aber andererseits nicht dazu führen, dass deutsche Start-ups schlechtere Chancen haben oder die neuen B2B-Plattformen der Industrie kaputtreguliert werden. Drittens steht das Kartellrecht unter Beobachtung der Netzaktivisten, Datenschützer und Freunde von Sascha Lobo. Deren Anliegen sind oft berechtigt und aller Likes wert. Fraglich ist aber, ob sie gerade im Kartellrecht richtig aufgehoben sind – Wettbewerbspolitik war immer dann am stärksten, wenn sie nicht durch außerwettbewerbliche Ziele überfrachtet wurde.
Bei „W7” wird sich der Erfolg an fünf Punkten entscheiden:
1. Welche Möglichkeiten schafft das Kartellrecht für vereinfachten Zugang zu Daten?
Für viele Apps und Industrieanwendungen ist das eine Schlüsselfrage, etwa wenn es um Wartungsdaten von Maschinen geht oder das Smart Home.
2. Wie wird die Missbrauchsaufsicht für die GAFAs gestärkt?
Momentan leiden die Verfahren darunter, dass stets erst mühsam die Marktbeherrschung nachgewiesen werden muss. Zudem fehlen moderne Beispielstatbestände im Gesetz, was als Missbrauch von Marktmacht anzusehen ist.
3. Wie lässt sich das Kartellrecht schneller machen?
Einstweilige Maßnahmen sind zwar kein Allheilmittel, könnten aber einfacher zu gestalten sein als bisher.
4. Findet sich ein Mittel gegen die sogenannten „killer acquisitions“?
Damit sind Fusionen gemeint, bei denen finanzkräftige Unternehmen Start-ups aufkaufen, die ihnen künftig Wettbewerb machen könnten. Dass Facebook WhatsApp und Instagram vom Markt wegkaufen konnte, gilt als Warnung. Doch Skepsis ist angebracht: Die Exit-Option GAFA ist für viele innovative Unternehmen ein wichtiger Anreiz.
5. Wird das Bundeskartellamt erweiterte Zuständigkeiten für Verbraucherschutz bekommen?
Bislang gibt es in Deutschland keine Behörde dafür. Gerade im Digitalbereich ist es aber für private Kläger wie die Verbraucherzentralen schwierig, unfaire Handelspraktiken aufzudecken und gegen diese vorzugehen. Ein Verfahren gegen Amazon durch alle Instanzen muss man sich auch erst einmal leisten können. Das Bundeskartellamt würde sich die Sache zutrauen. Aber ist eine Verbraucherschutzbehörde für die Digitalwirtschaft – und sei es im ökonomisch klugen Bundeskartellamt – politisch vermittelbar?
Die Novelle des Kartellrechts hat hohen Symbolwert. Ob sich die Praxis groß verändert, falls ein pionierartiges Gesetz verabschiedet wird, ist eine ganz andere Frage. Die Durchsetzung des Rechts wird ein mühsames Geschäft bleiben. Da müssen Sachverhalte ermittelt, Beweise zusammengetragen, Schriftsätze ausgetauscht, rechtliches Gehör gewährt und wohlabgewogene Entscheidungen getroffen werden. Diese gehen dann, siehe Facebook, durch mehrere Instanzen, bis nach guter Weile das Recht, oder das, was der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs dafür hält, sich durchsetzt. Die Mühsal des Rechts wirkt in einer fiebrigen Klick-Welt natürlich anachronistisch. Insofern ist es gut, wenn durch W7 etwas mehr Druck in die Verfahren kommt. Aber es ist auch nicht ganz schlecht, dass auch danach für wilden Regulierungsaktionismus kein Platz sein wird.
Rupprecht Podszun ist Direktor des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht und forscht zu Kartell- und Wettbewerbsrecht, mit Fokus auf die Medien- und Internetbranche.