Das Positive vorab: eine Arbeitsgruppe der Justizminister hat sich zwei Jahre lang mit den hierzulande zunehmend florierenden digitalen Rechtsdienstleistungen beschäftigt. Sie ist nun zu dem Schluss gekommen, dass Internetportale, die etwa bei Flugverspätungen oder illegalen Mieterhöhungen rechtliche Ansprüche einfordern, gut sind für die Verbraucher.
Allerdings will man, dass solche Legal-Tech-Portale von Anwälten geführt werden. Stark vereinfacht bedeutet das: Statt Start-ups zu erlauben, was Anwälte tun, will man Anwälten erlauben, was Start-ups tun. Konkret schlägt das Papier vor, dass Anwälte auch Erfolgshonorare nehmen und Kapital von Investoren einsammeln dürfen. Gleichzeitig macht man sich dafür stark, dass auch außergerichtliche Rechtsdienstleistungen nur von Anwälten angeboten werden dürfen. Das sogenannte „Anwaltsmonopol“ soll nicht aufgeweicht werden. Warum sind diese Vorschläge schlecht für die deutsche Legal-Tech-Szene, insbesondere im europäischen Kontext?
Vorschlag zu Fremdkapital ist nicht ausreichend
Legal-Tech-Unternehmen brauchen Risikokapital, um in Technologie und Marketing zu investieren. Bisher durften Kanzleien aber keine Investorengelder aufnehmen. Dieses sogenannte Fremdbesitzverbot soll nun aufgeweicht werden, allerdings nur teilweise. Das hätte zur Folge, dass eine Legal-Tech-Kanzlei zwar Geld von extern aufnehmen kann, nicht aber an ein anderes Unternehmen verkauft oder gar an die Börse gebracht werden darf. Ohne die Möglichkeit eines sogenannten „Exits“ oder eines Börsengangs, bei dem frühe Investoren ihr Kapital durch den Verkauf wieder hereinholen, wird aber kaum jemand Wagniskapital zur Verfügung stellen. Das gilt sowohl für nationale Investoren als auch für internationale. Unter den von den Justizministern vorgeschlagenen Voraussetzungen würde es für Anwaltskanzleien vermutlich recht schwer sein, Wagniskapital für Technologieentwicklung und Wachstum einzusammeln.
Anwaltsmonopol bleibt bestehen: Das wird Start-ups behindern
Am Anwaltsmonopol wollen die Justizminister festhalten: Außergerichtliche Rechtsdienstleistungen sollen den Anwälten vorbehalten sein. Dazu zählen unter anderem eine telefonische Rechtsberatung oder einfach nur das Einfordern eines rechtlichen Anspruchs per „Brief“, wie es im ersten Schritt die Verbraucherportale wie wenigermiete.de oder Flightright.de handhaben.
Nach Artikel 12 des Grundgesetzes bedarf es aber sehr guter Gründe, die Berufsfreiheit auf diese Art und Weise einzuschränken. Welche Gründe dies sein sollen, nennt das Papier der Justizminister nicht. Nicht umsonst aber hat das Bundesverfassungsgericht das Anwaltsmonopol insbesondere hinsichtlich der Tätigkeit von Inkassounternehmen bereits mehrfach aufgeweicht (BVerfG 2002, BVerfG 2004). Und nicht umsonst dürfen in zahlreichen anderen EU-Ländern wie Niederlande, Belgien, Finnland und Schweden außergerichtliche Rechtsdienstleistungen von Personen erbracht werden, die keine Anwälte sind.
Justizminister überlassen Rechtspolitik den Richtern
Viele Legal Techs sind nur als Inkasso-Unternehmen zugelassen. Das erlaubt ihnen beispielsweise, Wagniskapital aufzunehmen und gleichzeitig bestimmte Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Allerdings stammen die betreffenden Paragrafen im Rechtsdienstleistungsgesetz für Inkasso-Unternehmen aus dem Vorinternetzeitalter. Gegner der Legal Techs versuchen daher in Frage zu stellen, ob diese Gesetze in der aktuellen Form auch für Online-Dienstleister gelten.
Zu diesen Gegnern gehören nicht nur Teile der Anwaltslobby, sondern auch große Unternehmen, denen die digitale Durchsetzung von Verbraucherrechten ungelegen kommt. Zu nennen wären hier beispielsweise börsennotierte Wohnungsunternehmen, denen die Mietpreisbremse ein Dorn im Auge ist, oder große Automobilhersteller, die sich gegen Ansprüche aus der Dieselaffäre wehren. Allein das Start-up myright hat diesbezüglich tausende Forderungen gegenüber Volkswagen eingesammelt. Es geht um viel Geld, also werden alle möglichen Anstrengungen unternommen, das Geschäftsmodell der Legal Techs auszuhebeln.
Konkret stellen die Unternehmen in Frage, ob die Online-Portale ihre Dienstleistung als Inkassodienstleistungen überhaupt erbringen dürfen. Ein entsprechendes Verfahren dazu befindet sich aktuell beim Bundesgerichtshof. Und was sagen die Justizminister dazu? Nicht viel. Statt eine Klarstellung im Gesetzestext vorzuschlagen, warten sie auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Oktober. Sollte Politik nicht den Anspruch haben, selbst zu gestalten, statt Richtern die Rechtspolitik zu übergeben?
Vertut Deutschland seine Chance?
Wie so oft, wenn es um Digitalisierung geht, hört man in Deutschland allen voran die Stimmen der Bedenkenträger und Besitzstandswahrer. Anders als in den Bereichen Gesundheit und Finanzdienstleistungen, in denen Deutschland in Sachen Digitalisierung und Start-ups europaweit und international schnell weit zurücklag, floriert die Gründerkultur für Legal-Tech-Start-ups noch. Wenn dieses Pflänzchen nicht gleich im Keim wieder erstickt werden soll, muss schnell ein konstruktiver Rechtsrahmen her. Dafür würde es bereits reichen, nur eine der drei angesprochenen Rechtsfragen Start-up-freundlich zu gestalten:
- Das Fremdbesitzverbot für Anwälte wird vollständig abgeschafft, sodass Legal-Tech-Kanzleien, genauso wie alle anderen Unternehmen auch, den Besitzer wechseln können und somit interessant für Wagniskapital werden.
- Außergerichtliche Dienstleistungen dürfen auch von Nicht-Anwälten erbracht werden, so wie es in vielen EU-Ländern bereits möglich ist.
- Das Rechtsdienstleistungsgesetz wird so angepasst wird, dass die digitale Rechtsdurchsetzung von Inkassounternehmen erlaubt wird.
Der Beschluss der Justizminister führten keine dieser drei Möglichkeiten konsequent aus. Sie haben zwar erkannt, dass digitale Rechtsdurchsetzung gut und wichtig ist und sie geben an, Legal Tech unterstützen zu wollen. Setzte man die Vorschläge aber so um, wie sie im Beschlusspapier stehen, dann würde das dem Standort Deutschland für Legal Techs eher schaden als nützen.
Daniel Halmer ist Rechtsanwalt und Gründer des Legal Techs wenigermiete.de, das jetzt zu LexFox gehört.