Es geht hoch her in der deutschen Medienpolitik: Endspurt beim Medienstaatsvertrag, Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern bei der Zuständigkeit unterschiedlicher Medienformen und -kanäle, und auch die Zahl digitaler Fake News um Covid-19 steigen weiter. Mittendrin: Wolfgang Kreißig, seit Jahresbeginn Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM). Kreißig, der ebenfalls Präsident der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg ist, koordiniert in der DLM mit seinen Kollegen die Praxis der deutschen Medienregulierung – vom Radio übers Fernsehen bis in das Internet.
Neue Regulierung: Detailfragen noch ungeklärt
Erst im vergangenen Dezember hatten sich die Ministerpräsidenten der Länder auf den Medienstaatsvertrag (MStV) geeinigt, das Digital-Update der deutschen Mediengesetze. „Ein großer und auch ein wichtiger Schritt“, wertet Kreißig. Bis zum 27. April liegt das Regelwerk nun noch zur Notifizierung bei der EU, im Anschluss unterzeichnen die Ministerpräsidenten im Corona-sicheren Umlaufverfahren, bis zum Herbst sollen dann die Landesparlamente den MStV ratifizieren.
Doch bis dahin liegt es nun an Landesmedienanstalten wie der von Kreißig, die diversen Detail-Hürden zu überwinden. Denn zwischen den Vorgaben des MStV und dessen konkreter Umsetzung klafft noch eine große Lücke: Facebook und Twitter zu verpflichten, zukünftig ihre Sortier-Algorithmen transparent zu machen und journalistische Inhalte nicht zu diskriminieren, mag als Vorgabe im Gesetzestext ein großer Schritt sein. Aber was genau diese neue Form der Transparenz umfassen soll, das müssen die Medienanstalten erst noch in Satzungen ausbuchstabieren: Muss der Quellcode von Algorithmen offengelegt werden? Oder geht es nur um grobe Bewertungs-Kategorien, auf deren Grundlage die Algorithmen aufbauen?
Zweifel an technischer Expertise
Derzeit koordinieren die Medienanstalten in verschiedenen Arbeitsgruppen die Satzungserstellung. „Ziel ist, bis zu den Sommerferien Entwürfe zu haben, mit denen wir arbeiten können“, sagt Kreißig. Aktuell stehe zunächst „eine Art Sachverhalts-Aufklärungsphase“ an. Denn die neuen digitalen Regulierungsaufgaben seien „ein Bereich, in dem wir Neuland betreten“.
Bevor man neue Regeln entwerfen könne, müsse man zunächst das nötige technische Detailwissen erwerben – „auch im Austausch mit der Branche“. Dort schwingt bisweilen die Sorge mit, die Medienanstalten verstünden gar nicht recht, was sie eigentlich regulieren wollen. Zu den fertigen Satzungsentwürfen sei im Anschluss jedenfalls eine förmliche Anhörung geplant, „um den Betroffen die Möglichkeit zu geben, Stellung zu nehmen“, so Kreißig.
Bund will mitmischen
Zwar fällt die Medienregulierung klar in den Aufgabenbereich der Bundesländer, dennoch nimmt auch der Bund in seiner Gesetzgebung verstärkt Online-Medien in den Blick. Das betrachtet Kreißig mit Skepsis: „Da frage ich mich: Ist der Bund denn tatsächlich erfolgreicher damit?“ Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) etwa nehme vor allem große Anbieter ab zwei Millionen Nutzer in den Blick. Die jedoch hätten ohnehin Interesse daran, die Vorgaben der Politik zu erfüllen. „Was uns aber auch Sorgen bereitet, sind Angebote, die sich gerade nicht an die Regeln halten wollen, deren Inhalte etwa illegal sind oder zumindest nicht frei verfügbar sein sollten.“
Ob NetzDG, Jugendschutz oder Gesetzesentwürfe gegen Hassrede im Internet: Dem Vorwurf, die Länder hätten das Engagement des Bundes selbst verschuldet, weil sie zu lange in diesem Bereich untätig geblieben seien, tritt Kreißig entgegen: „Sicherlich hätten die Länder an manchen Stellen schneller sein können. Gerade im Bezug auf Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt sind wir hier aber in einem sensiblen Bereich. Je mehr staatliche Akteure man um die Inhalte herum postiert, desto mehr setzt man dabei eine staatsferne Aufsicht aufs Spiel.“ In anderen Worten: Der Bund bringe ein wohl-ausbalanciertes System durcheinander.
Mit neuen Regeln effektiver gegen Desinformation
Mit dem Medienstaatsvertrag bekämen die Landesmedienanstalten außerdem bald neue Möglichkeiten, auch online die medienrechtlichen Vorgaben effektiver durchzusetzen, etwa was journalistische Sorgfaltspflichten angeht. So könne Desinformation besser entgegengetreten werden, sagt Kreißig: „Das Problem hat man erkannt und in den Medienstaatsvertrag auch eine entsprechende Regelung aufgenommen. Fake News sind ja kein neues Phänomen. Jetzt in der Corona-Krise spielt seriöse Information aber eine besonders große Rolle; Falschmeldungen, die verunsichern, verbreiten sich aktuell sehr schnell.“
In zwei bis drei Jahren gelte es dann, die neuen Vorschriften zu prüfen, schlägt Kreißig vor: „Wie hat sich die Regulierung bewährt? Und dann müssen wir gegebenenfalls auch den Mut haben, zu sagen: Nein, das ist noch nicht genug – wir brauchen weitere Regeln.“ Auch die Frage nach zusätzlichen Ressourcen sollten sich die Medienanstalten erst nach ersten Erfahrungen stellen: „Ich bin kein Freund davon, noch vor Inkrafttreten des Medienstaatsvertrags schon zu sagen, dass wir die neuen Aufgaben mit unseren aktuellen Mitteln nicht stemmen können.“
Kurzfristig heißt auch für die Landesmedienanstalten die Herausforderung: Corona. Dieser Tage werde deutlich, dass der Rundfunk eine „systemisch-wichtige kritische Infrastruktur“ sei, so Kreißig. Gleichzeitig bräche den Privatsendern ihre Einnahmen in Form von Werbeeinnahmen weg: „Wir hören da von enormen Einbußen, in Einzelfällen bis zu 90 Prozent.“
Um in diesen Tagen die Teilnahme an regelmäßigen Kulturveranstaltungen und Gottesdiensten zumindest per Livestream zu ermöglichen, wolle man die gegebenenfalls nötigen Rundfunkzulassungen unkompliziert erteilen, verspricht Kreißig.
Derzeit hat sich die DLM darauf geeinigt, das normale Zulassungsverfahren bis zum 31. August ruhen zu lassen und an dessen Stelle ein vereinfachtes Anzeigeverfahren anzubieten. Dort wo also die obersten Medienaufseher vor ein paar Jahren noch mit Online-Anbietern und Hobby-Streamern über gesetzliche Pflichten gestritten haben, werden jetzt pragmatische Ausnahmen gefunden – nicht nur für den Heiligen Geist.