Seit vielen Monaten taucht das Telekommunikations-Netzausbau-Beschleunigungs-Gesetz (TK-Nabeg) auf der Agenda für die Kabinettssitzungen der Bundesregierung auf, um dann kurz vor der Sitzung wieder von der Tagesordnung entfernt zu werden. Dieses Ritual ließ sich fast ein Jahr beobachten, am heutigen Mittwoch wird das Gesetz nun wirklich ins Kabinett gehen (siehe auch „Wie viel bringt dieses „überragend“ dem schnellen Netzausbau?“).
Hintergrund für diese Hängepartie ist die Auseinandersetzung des Bundesumwelt- (BMUV) mit dem Bundesdigitalministerium (BMDV) über ein einziges, aber doch sehr gewichtiges Wort. Es geht um das Wort „überragend“. Was ist an diesem Wort so herausfordernd, dass sich BMDV und BMUV so lange nicht einig werden konnten? Dafür lohnt sich ein kurzer Exkurs in den Energiesektor.
Das TK-Nabeg knüpft nicht nur begrifflich an das Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (Nabeg) an. In Paragraf 1 Nabeg ist geregelt: „Die Errichtung und der Betrieb sowie die Änderung von Stromleitungen, die in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallen, einschließlich der für den Betrieb notwendigen Anlagen, liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit.“
Basierend auf dieser für die Stromleitungen geltenden Regelung hat man dann in Paragraf 2 Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) insgesamt für Anlagen der erneuerbaren Energien zum Beispiel Windkraftanlagen das überragende öffentliche Interesse gesetzlich geregelt. In der Praxis hat sich danach sehr deutlich gezeigt, dass eine massive Beschleunigung bei den erneuerbaren Energien eingetreten ist. Kurz: Der vom Bundeskanzler geprägte Begriff der „Deutschlandgeschwindigkeit“ findet seinen wesentlichsten Ankerpunkt in genau dieser Regelung.
Deutliche Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien
Gerade in den naturschutzrechtlich geschützten Gebieten konnte eine deutliche Beschleunigung und Erleichterung der Zulassung erreicht werden. Im Ergebnis werden in Deutschland aktuell jeden Tag mehr als 30 Fußballfelder an Solarenergie hinzugebaut und, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), drei bis vier Windanlagen pro Tag errichtet.
Das sind Zahlen, die sich sehen lassen können. In allen Fällen, in denen gesetzlich eine abwägende Einzelfallentscheidung zu treffen ist, ist durch das überragende öffentliche Interesse bereits eine Grundentscheidung für das Vorhaben getroffen. Und genau darin steckt die Magie für diese guten Ausbauzahlen im Energiesektor.
Zurück zum Telekommunikationssektor: Im TK-Nabeg sollte nach dem Willen des BMDV, in Anknüpfung an die Erfolgsgeschichte aus dem Energiebereich, für Mobilfunkanlagen und Glasfaserleitungen das überragende öffentliche Interesse gesetzlich festgelegt werden. Das BMUV sah das allerdings anders und setzte sich gegen das BMDV durch. So gilt das überragende öffentliche Interesse bezüglich des Naturschutzes nur für den Mobilfunk. Und auch nur dann, wenn mit dem Mast ein Funkloch geschlossen wird.
Ursprünglich schlug das BMUV sogar vor, es sei doch ausreichend zu regeln, dass Mobilfunk im öffentlichen Interesse liegt, also ohne das Wort „überragend“. Einer solchen Regelung bedarf es aber nicht, da dies nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits die bestehende Rechtslage ist. Mit dem einfachen öffentlichen Interesse würde man aus dem Netzausbau-Beschleunigungs-Gesetz also ein „weiter so“ Gesetz machen. Darauf wartet die Branche nicht.
Braucht es die strategische Umweltprüfung?
Ein weiteres Argument des BMUV ist, dass die gesetzliche Regelung des überragenden öffentlichen Interesses sogar zu einer Verzögerung führen würde, da für Mobilfunkanlagen in diesem Falle eine strategische Umweltprüfung durchzuführen sei. Auch dies überzeugt nicht. Umweltprüfungen sind ein Instrument zur Beurteilung der Umweltauswirkungen, die von bestimmten Projekten ausgehen. Welche Projekte das sind, ist in den Anhängen zum Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG) genau festgelegt.
Es handelt sich dabei um Vorhaben, die aufgrund ihrer Größe und Eigenart geeignet sind, schädliche Umweltauswirkungen zu erzeugen. Mobilfunkanlagen sind in diesen Katalogen nicht aufgelistet, weil die Umweltauswirkungen von ihnen sehr begrenzt sind. Insofern sind Mobilfunkanlagen nicht umweltprüfungspflichtig und sie werden es auch dann nicht, wenn im TKG ein überragendes öffentliches Interesse geregelt wird.
Wir stehen also vor der kuriosen Situation, dass die neu geplante 365 Meter XXL-Windkraftanlage in Brandenburg (Zum Vergleich: Der Berliner Fernsehturm als höchstes Gebäude Deutschlands hat eine Höhe von 368 Metern.) im überragenden öffentlichen Interesse steht, der benachbarte 30 bis 60 Meter hohe Mobilfunkmast diesen rechtlichen Status aber nicht erhält. Dabei sind beide für die Transformation unseres Landes von entscheidender Bedeutung.
Ausbauziele sind nur mit geänderten Voraussetzungen realistisch
Auch die Bundesnetzagentur hat im gerade veröffentlichten Konsultationsentwurf zur Verlängerung der Mobilfunkfrequenzen im Low- und Midband-Bereich das öffentliche Interesse an einer flächendeckenden Mobilfunkversorgung als sehr hoch bewertet, in dem sie den Netzbetreibern das Versorgungsziel von 99,5 Prozent der Fläche der Bundesrepublik aufgeben will. Die Auflagen umfassen umfassende Ziele für Kreis- und Landesstraßen. Kurzum: Es muss sehr viel gebaut werden.
Die angedachten Versorgungsauflagen wurden dabei in dem Kontext erdacht, dass es mit dem TK-Nabeg deutliche Erleichterungen für die ausbauenden Unternehmen gibt. Das Erreichen der Auflagen hängt ganz entscheidend davon ab, ob die gesetzlichen Rahmenbedingungen einen einfacheren Ausbau ermöglichen und Klarheit bringen. Das ergibt sich schon mit dem bloßen Blick auf folgende Zahlen:
37,5 Prozent der Fläche der Bundesrepublik Deutschland sind naturschutzrechtlich geschützte Gebiete und 6,5 Prozent sind besonders streng geschützte Naturschutzgebiete. Gerade für die Errichtung von Mobilfunkanlagen in diesen Gebieten kann das TK-Nabeg mit überragendem öffentlichem Interesse einen massiven Unterschied machen.
Gigabitgrundbuch trägt zur Effizienzsteigerung bei
Aber das Gesetz wird nicht nur wegen dieser rechtlichen Begrifflichkeit gebraucht. Auch das im Gesetz weiterentwickelte Gigabitgrundbuch ist ein wichtiger Baustein dafür, dass wir an Tempo gewinnen und die vielzitierte Deutschlandgeschwindigkeit auch im Ausbau der digitalen Infrastruktur unseres Landes einzieht. Mit dem Gigabitgrundbuch ergibt sich die Chance, den Recherche- und Abstimmungsaufwand perspektivisch massiv zu senken – eine Effizienzsteigerung, die wir in Zeiten des Fachkräftemangels und steigender Zielvorgaben dringend brauchen.
Mit Blick auf die vom BMUV vorgetragenen Argumente bleibt gelegentlich die Frage, ob alle Teile der Politik wirklich verstanden haben, vor welchen Aufgaben wir stehen. Mit Begründungen und Abwehrhaltungen, die oft nicht mal dem ersten Blick standhalten, kommen wir nicht weiter und führen auch keine ernsthafte Debatte miteinander. Dabei sind die Branche und auch Kräfte innerhalb der Koalition bemüht, einen Kompromiss zu erringen.
Es liegt an der Bundesregierung und im zweiten Schritt an den Abgeordneten im Deutschen Bundestag sowie den Ländern im Bundesrat, in Deutschland die Rahmenbedingungen zu schaffen, die wir brauchen, um die Gigabitgesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes aufbauen zu können. Dazu ist eine klare Priorisierung notwendig – wie wichtig ist uns die digitale Infrastruktur? Und genau diese Priorisierung nimmt das überragende öffentliche Interesse vor.
Peer Kollecker ist Leiter Public Affairs und Virtuelles Portfolio beim Funkturmunternehmen DFMG Deutsche Funkturm. Er ist seit 2002 in wechselnden Positionen für die DFMG tätig.