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Standpunkte USA vs. EU: Ein digitaler Sturm zieht auf

Wolfgang Kleinwächter, Emeritierter Professor für Internationale Kommunikationspolitik und Regulierung der Universität Aarhus Foto: Promo
Wolfgang Kleinwächter, Emeritierter Professor für Internationale Kommunikationspolitik und Regulierung der Universität Aarhus Foto: Promo Foto: Promo

Die Welt ist jetzt mehr denn je von einer harmonisierten globalen digitalen Rechtsordnung entfernt: Das zeigen die Drohgebärden der US-Regierung deutlich. Europas digitaler Zukunft stehen stürmische Zeiten bevor, schreibt Wolfgang Kleinwächter in seinem Standpunkt.

von Wolfgang Kleinwächter

veröffentlicht am 03.03.2025

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Schlittert Europa in einen digitalen Krieg mit den USA? Am Samstag, den 21. Februar 2025 unterzeichnete US-Präsident Trump ein Memorandum mit dem sperrigen Titel „Verteidigung amerikanischer Unternehmen und Innovatoren vor Erpressung und ungerechtfertigten Bußgeldern und Strafen in Übersee“. Das Memorandum verpflichtet unter anderem das Wirtschaftsministerium und den Handelsbeauftragten zu untersuchen, inwieweit Regularien anderer Länder Freiheiten amerikanischer Internetunternehmen – also Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft, X, Open AI & Co. – einschränken, und wie die USA dagegen vorgehen sollten.

Da die EU die umfangreichsten Regularien für die digitale Welt erlassen hat und in den vergangenen Jahren Bußgelder in Millionenhöhe gegen US-amerikanische Tech Riesen verhängt hat, kann man das Memorandum durchaus als eine digitale Kriegserklärung verstehen. Dementsprechend klingen die verwendeten Formulierungen in dem Memorandum ziemlich robust. „Anstatt ihre eigenen Arbeitnehmer und Volkswirtschaften zu stärken, haben ausländische Regierungen zunehmend extraterritoriale Befugnisse über amerikanische Unternehmen im Technologiesektor ausgeübt, die den Erfolg dieser Unternehmen behindern und sich Einnahmen aneignen, die zum Wohlergehen unserer Nation beitragen sollten, nicht zu ihrem“, heißt es in dem Dokument. Amerikas Tech-Unternehmen würden in anderen Ländern, demnach auch in der EU, „ausgeplündert“.

Digitale Souveränität durch Regulierung?

In der Tat ist das Agieren der großen Tech-Unternehmen für viele Länder, nicht nur in Europa, ein sowohl politisches als auch wirtschaftliches Problem geworden. Immer mehr Staaten fürchten um ihre digitale Unabhängigkeit und Souveränität. Die Daten ihrer Bürger, das „Öl des 21. Jahrhunderts“, werden zur Gewinnquelle amerikanischer und zunehmend auch chinesischer Unternehmen, die aber ihrerseits wenig zur Stärkung der nationalen Wirtschaft beitragen.

Die Einführung einer weltweiten Digitalsteuer, die mehr als zehn Jahre lang in der OECD verhandelt wurde, war eine der Reaktionen. Unternehmen sollen dort einen Mindeststeuersatz zahlen, wo sie Gewinne machen. Die Regelung soll im Sommer 2025 in Kraft treten. Datenschutz war ein weiteres Problem. Und mit der wachsenden Rolle von sozialen Netzwerken machten sich immer mehr Länder auf den Weg, um über eine Plattform Regulierung nachzudenken, die auch die Unterbindung der Verbreitung von illegalen Inhalten einschloss.

Die Europäische Union ging dabei seit Jahren voran. Mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gelang der EU 2016 ein erster großer Wurf. Alle Welt sprach vom Brüssel Effekt. Die europäische Datenschutzverordnung wurde zur Quelle zahlreicher nationaler Gesetze. Immer mehr Länder äußerten ein Unbehagen über die Dominanz der amerikanischen und der aufstrebenden chinesischen (Huawei, Alibaba, Temu, TikTok, Baidu, DeepSeek etc.) Tech-Giganten. Bereits beim Internet Governance Forum (IGF) 2018 in Paris hielt der französische Präsident Emanuel Macron eine große Internet-Rede, wo er einen auf rechtsstaatlichen Prinzipien basierenden europäischen Weg ins Digitalzeitalter forderte, der sich vom autokratischen chinesischen und vom rein marktwirtschaftlichen kalifornischen Internet unterscheidet.

2019 wurde Ursula von der Leyen EU-Kommissionspräsidentin. Einer ihrer Lieblingsätze zur Digitalisierung war, dass Europa nicht zum „Digital Rule Taker“ werden dürfe, sondern sich als „Digital Rule Maker“ profilieren müsse. Europa müsse das „digitale Gesetzbuch“ des 21. Jahrhunderts schreiben.

Fünf Jahre später ist das gelungen. Seit 2020 wurden mehr als ein Dutzend Gesetze zur Regelung des digitalen Raums mit mehr als 1500 Textseiten verabschiedet: Digital Service Act (DSA), Digital Market Act (DMA), Digital Resilience Act (DRA), Nis-2 für Cybersicherheit, Media Freedom Act (MFA), Data Governance Act (DGA) und vieles mehr. 2024 kam der „EU AI Act“, die weltweit umfangreichste Regulierung zu künstlicher Intelligenz dazu.

Als Anu Bradford 2023 ihr Buch Digital Empires: The Global Battle to Regulate Technology bei Oxford University Press veröffentlichte, identifizierte sie drei digitale Großmächte: USA, China und die EU. Alle drei hätten aber sehr unterschiedliche Governance-Modelle für den Cyberspace und erst die Zukunft würde zeigen, welches Modell nachhaltig erfolgreich sei.

Recht vs. Marktmacht?

Das Problem der EU ist, dass Europa nun zwar eine hochentwickelte Rechtsordnung hat, Chinesen und Amerikaner aber in den Bereichen Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Online-Handel, digitale Plattformen und künstliche Intelligenz dem Rest der Welt enteilt sind und die globalen Märkte dominieren. Diesen Vorsprung aufzuholen, indem man einen fairen Wettbewerbsrahmen für alle schafft, hat jedoch bislang nur bedingt Erfolg.

Während sich die Chinesen in den vergangenen Jahren jene Punkte aus den europäischen Rechtsvorschriften herauspickten, die in ihr autokratisches System passten, gingen die Amerikaner mehr und mehr auf Konfrontationskurs. Das verschärfte sich, insbesondere nachdem die sehr energische ehemalige EU-Kommissarin Margarete Vestager Bußgelder in Millionenhöhe an US-amerikanische Internet-Unternehmen verhängte, weil sie sich nicht an die europäischen Vorschriften hielten.

Der Versuch, über die Etablierung eines „EU-US Trade and Technology Council (TTC)“ unter der Biden-Administration einen Kanal zur Konfliktlösung zu schaffen, lief trotz guten Willens beiderseits des Atlantiks letztlich ins Leere. Das Erste, was die Trump Administration kassierte, war die „Executive Order (EO)“ von Präsident Biden zu Künstlicher Intelligenz. Diese EO unterschied sich zwar von der EU-Regulierung zu KI, eröffnete aber Spielräume für ein koordiniertes Vorgehen.

Mit dem Antritt der Trump Administration ist das aber Schnee von gestern. Die Welt ist jetzt mehr denn je von einer harmonisierten globalen digitalen Rechtsordnung entfernt. Trump setzt bei „America First“ primär auf die amerikanischen Tech Konzerne. Und die sehen europäische Regulierungen als eine unakzeptable Beeinträchtigung ihres Aktionsradius.

In seinem Februar-Memorandum argumentiert Trump nun, dass ausländische Rechtsvorschriften „den grenzüberschreitenden Datenverkehr einschränken, von amerikanischen Streaming-Diensten verlangen, dass sie lokale Produktionen finanzieren, und Netznutzungs- und Internetabschlussgebühren erheben.“ Das sei unakzeptabel.

Solche Maßnahmen, heißt es bei Trump, „verletzen die amerikanische Souveränität und verlagern amerikanische Arbeitsplätze ins Ausland, schränken die globale Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen ein und erhöhen die amerikanischen Betriebskosten, während sie unsere sensiblen Informationen potenziell feindseligen ausländischen Aufsichtsbehörden preisgeben.“ Und er fügt hinzu: „Meine Regierung wird nicht zulassen, dass amerikanische Unternehmen gescheiterte ausländische Volkswirtschaften durch erpresserische Geldstrafen und Steuern stützen. Amerikas Wirtschaft wird keine Einnahmequelle für Länder sein, die es versäumt haben, ihren eigenen wirtschaftlichen Erfolg zu kultivieren.“

Die digitale Zwickmühle der EU-Kommission

Ein solches Vorgehen bringt die EU in eine komplizierte Lage. Was Trump hier fordert, ist im Grunde eine Aussetzung der Anwendung europäischer Rechtsvorschriften auf amerikanische Tech-Unternehmen. Ein in fünf Jahren aufgebautes digitales Regulierungsgebäude wird in seinen Grundfesten erschüttert. Beim KI-Gipfel in Paris am 10. Februar 2025 hatte sich US- Vizepräsident J.D. Vance gegen jedwede Regulierung von Künstlicher Intelligenz gewandt. Vier Tage später lehnte er bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) jedwede Plattformregulierung ab.

Das Dilemma der EU besteht nun darin, dass auch europäischen Internetunternehmen unter der Vielzahl der digitalen Regularien stöhnen. Um die Details des europäischen Digital Rulebooks“ mit seinen mehr als 1500 Seiten zu verinnerlichen, braucht es ganze Rechtsabteilungen. Schon aus Kostengründen können viele klein- und mittelständige Unternehmen, die das Rückgrat der europäischen Digitalwirtschaft ausmachen, sich diese nicht leisten.

Die neue für Digitalpolitik zuständige EU-Kommissarin Henna Virkkunen versprach bei ihrer ersten Anhörung im Europäischen Parlament im Oktober 2024, die Regulierungswut einzudampfen und an einer Vereinfachung der bestehenden Regularien zu arbeiten. Die EU-Parlamentarier forderten jedoch gleichfalls von Virkkunen eine konsequente Anwendung der Regularien gegenüber amerikanischen Unternehmen, um die europäische digitale Souveränität zu stärken.

Aus dieser Zwickmühle wieder herauszukommen, ist nicht einfach. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz taktierte Virkkunen. Auf die Frage, ob die von J.D. Vance geforderte „De-Regulation“ und ihre „Simplification of Regulation“ konvergieren könnte, antworte sie ausweichend. Man sei dabei, die bestehende EU-Rechtsvorschriften von Dopplungen und Widersprüchlichkeiten zu bereinigen. De-Regulierung der digitalen Sphäre sei aber kein Thema für die EU. Auch auf die Frage der jetzt aus dem Bundestag ausgeschiedenen Linken-Abgeordneten Anke Domscheit-Berg, ob die bereits eingeleiteten Verfahren gegen Facebook, X und Google fortgesetzt werden, antwortete sie unklar.

Klare Sprache kommt dagegen aus dem Weißen Haus. „Ausländische Regierungen werden zur Rechenschaft gezogen, wenn sie Schritte unternehmen, um US-Unternehmen zur Herausgabe ihres geistigen Eigentums zu zwingen. Regularien, die amerikanischen Unternehmen vorschreiben, wie sie mit Verbrauchern in der Europäischen Union interagieren, wie der Digital Markets Act und der Digital Services Act, werden von der Regierung unter die Lupe genommen.“

Das klingt ein bisschen wie Erpressung. Wird das Recht des Stärkeren die Stärke des Rechts übertrumpfen? Als sich im 19. Jahrhundert Großmächte in die Haare bekamen, formulierte der französische Philosoph Jean Baptiste Lacordaire einen Grundsatz, der bis heute eigentlich wenig an Bedeutung verloren hat. „Zwischen dem Starken und dem Schwachen, zwischen dem Reichen und dem Armen, zwischen dem Herrn und dem Sklaven“, argumentierte Lacordaire, „ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Recht, das befreit“. Europas digitaler Zukunft stehen stürmische Zeiten bevor.

Wolfgang Kleinwächter ist emeritierter Professor für Internetpolitik und Regulierung an der Universität Aarhus. Der Kommunikationswissenschaftler ist Internet-Governance-Experte und Mitglied des IGF.

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