Youtube ist ein Phänomen. Auf der 2005 mit einem 18-Sekunden-Video vor einem Elefantengehege gestarteten Videoplattform entfaltet sich die komplette Bandbreite menschlicher Kreativität. Hier kann man lachen, weinen, sich aufregen oder sich verlieben. Es gibt Katzenvideos, Helene-Fischer-Videos, CDU-Zerstörungs-Videos oder Neonazi-Botschaften. Die Wiedergabedauer von Youtube-Videos liegt inzwischen bei über einer Milliarde Stunden – pro Tag. Eine Einzelperson würde mehr als 114.000 Jahre brauchen, um sich das alles anzugucken.
Neue Spielregeln für YouTube, Vimeo, Facebook & Co.
Umso verständlicher, dass wir uns über die Spielregeln dieser gigantischen Informations- und Unterhaltungsmaschine verständigen müssen. Und deswegen ist es gut, dass die Bundesregierung nun eine EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) in deutsches Recht umsetzt. Über eine geplante Änderung des Telemediengesetzes (TMG) erhalten Video-Plattformen wie YouTube, Vimeo oder Facebook künftig genauere Vorgaben, wie sie mit umstrittenen Inhalten umgehen sollen.
Das ist im Prinzip richtig. Doch der aktuelle Regierungsentwurf stellt einen Rückschritt dar. Die Chance Inhalts- und Meinungsvielfalt besser zu schützen, wurde wider besseren Wissens vertan. Denn im Gegensatz zum ursprünglichen Entwurf sollen Nutzer nun keine Möglichkeit mehr haben auf Beschwerden zu reagieren, bevor ihre Inhalte gesperrt oder gelöscht werden. Ebenso gestrichen hat die schwarz-rote Bundesregierung eine zunächst vorgesehene Pflicht der Plattformen, ungerechtfertigt entfernte Inhalte wieder hochzuladen (auch „Put-back“ genannt). Ganz nach dem Motto: Sperren ja, vorher Nachfragen nein. Die Gefahr ungerechtfertigter oder willkürlicher Löschungen von legalen Nutzerinhalten kriegt man so definitiv nicht in den Griff.
Kein gutes Zeichen für Urheberrechtsumsetzung
Das ist umso fataler, da die Gesetzesänderung als Blaupause für anstehende Gesetzesvorhaben, wie die bevorstehende Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie, dienen könnte. Vor dem Ziel, möglichst einheitliche Beschwerde- und Abhilfeverfahren für die Nutzer zu gewährleisten, unabhängig ob Verstöße gegen Jugendschutz, Urheberrecht oder Hassrede in Rede stehen, sind das keine guten Nachrichten.
Die Vielfalt von Inhalten und Meinungen ist ein hohes Gut. Beim Versuch, sie zu regeln, ist Behutsamkeit angezeigt. Eigentlich konnte man davon ausgehen, dass Schwarz-Rot dies verstanden hatte. Denn als der Gesetzesentwurf vor einem Jahr entstand, hatten über einhunderttausend Menschen deutschlandweit gegen eine Reform des Urheberrechts protestiert. Sie kritisierten eine unnötige Einschränkung der Meinungsfreiheit, warnten vor Willkür und den sogenannten Uploadfiltern. Damals gelobte die Politik Besserung. Nun, nachdem die Protestrufe verklungen und die Demonstranten von den Straßen verschwunden sind, kassiert sie die zunächst im Referentenentwurf geplanten Verbesserungen still und heimlich wieder ein.
Besonders deutlich wird das beim Lesen der Gesetzesbegründung. Dort war zunächst davon die Rede, mit einem „Put-back“ ein „Overblocking“, also ein übermäßiges Sperren und Löschen, zu verhindern. In der aktuellen Gesetzesbegründung taucht das Wort „Overblocking“ nicht mal mehr auf.
Das ist aus Nutzersicht befremdlich und auch vollkommen unnötig. Beschwerdemöglichkeiten bevor der Inhalt gesperrt wird und put-back sind technisch machbar und wären für Nutzer eine deutliche Verbesserung. Klar würde das Plattformen wie Youtube auch etwas mehr abverlangen. In Anbetracht der betroffenen Schutzgüter wären Ressourcen und Mitarbeiter jedoch bestens investiert. Das Rad muss hierfür nicht neu erfunden werden. Die richtigen Vorschläge hat die Bundesregierung dafür ursprünglich schon selbst gemacht. Diese sollten vom Bundestag im parlamentarischen Verfahren wieder aufgegriffen werden.
Die Volljuristin Lina Ehrig leitet seit 2013 das Team Digitales und Medien beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Schwerpunkte des Teams sind u.a. Herausforderungen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz sowie Datenschutz-, Urheber- und Telekommunikationsrecht. Der VZBV veröffentlicht heute eine Stellungnahme zum Thema des Beitrags.