Deutschland und die Europäische Union (EU) müssen die Rahmenbedingungen für den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) aktiv mitgestalten. Nur so lässt sich sicherstellen, dass wir eine vertrauenswürdige KI nutzen können, die unsere gemeinsamen europäischen Werte wahrt.
Der zum 1. August in Kraft getretene Artificial Intelligence Act – kurz AI Act – als weltweit erster Rechtsrahmen für KI spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Er hat Auswirkungen über Europa hinaus: Wer innerhalb der EU ein KI-System anbieten oder einsetzen will, muss sich mit seinem Produkt an den AI Act halten.
Deshalb ist dieser auch für Unternehmen außerhalb der EU relevant, da der große europäische Markt immenses Geschäftspotenzial auch für die Anbieter von KI bietet. Um den AI Act konkret auszugestalten, setzt die EU auf die privatwirtschaftlich getragene Normung und Standardisierung.
Denn der Gesetzgeber beschränkt sich darauf, die grundlegenden Anforderungen und Schutzziele an KI zu formulieren. Diese im Normungsprozess technisch zu konkretisieren, ist wiederum Aufgabe der europäischen und nationalen Normungsorganisationen wie des Deutschen Instituts für Normung (DIN). Die Inhalte der Normen werden bei DIN von Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlichen Hand und Zivilgesellschaft erarbeitet. So wird sichergestellt, dass die Anforderungen praxistauglich und umsetzbar sind.
Wir brauchen sichere und vertrauenswürdige KI
Normen und Standards sind insbesondere im Bereich der Hochrisiko-Anwendungen elementar: Sie legen beispielsweise die Sicherheitsanforderungen fest, die KI-Systeme erfüllen müssen, bevor sie auf den Markt kommen – etwa Anforderungen an Transparenz, Genauigkeit, Erklärbarkeit oder Qualität.
Normen und Standards können so entscheidend zum Schutz vor Verzerrung, Diskriminierung oder Manipulation durch KI beitragen. Ein gutes Beispiel ist die ISO/IEC 42001: Diese legt die Anforderungen an ein KI-Managementsystem fest. So wie sich die ISO 9001 zum weitverbreiteten Schlüsselstandard im Qualitätsmanagement entwickelt hat, könnte die ISO/IEC 42001 dieselbe Rolle im Bereich der KI einnehmen. Natürlich gilt: Normen und Standards sind Empfehlungen und Leitlinien, aber nicht gesetzlich verpflichtend. Sie geben Unternehmen jedoch hilfreiche Werkzeuge an die Hand.
Normung ist ein strategisches Mittel
Deutschland gestaltet die Normungsarbeit zur KI als starker Player aktiv mit, auf Augenhöhe mit China und den USA. Allerdings werden die Entwicklungen rund um die normative Umsetzung des europäischen AI Act in China und den USA sehr aufmerksam beobachtet.
Wir dürfen das positive Momentum nicht verspielen, welches wir durch die frühzeitige Erarbeitung einer nationalen Normungsroadmap im Auftrag der Bundesregierung entwickelt haben. Unsere internationalen Mitbewerber haben längst erkannt, dass Normung ein strategisches Mittel ist, um ihre nationalen Interessen durchzusetzen. Insbesondere chinesische und amerikanische Unternehmen versuchen mittlerweile Einfluss auf europäische Standards zu nehmen, indem sie zunehmend internationale Normungsgremien insbesondere im Bereich neuer Technologien besetzen.
Mein Eindruck ist: Obwohl die deutsche Wirtschaft in der KI-Normung mit Expertinnen und Experten aktuell gut vertreten ist, mangelt es im Gegensatz zu klassischen Normungsfragen gerade bei Zukunftsthemen an Unternehmen, die sich mit Ihren Experten in Normungs- und Standardisierungsgremien engagieren. Zu viele scheuen sich noch, Zeit und Aufwand zu investieren, das gilt ebenso beim Thema KI.
Dabei steigt der Druck seitens des Marktes nach und nach – KI-Zertifikate werden künftig gefragt sein. Es ist deshalb wichtig, dass die deutsche Industrie präsent ist und über ein aktives Mitwirken in den nationalen Normungsgremien internationale KI-Standards aktiv mitgestaltet. Ein Fokus muss dabei auf kleinen und mittelständischen Unternehmen liegen.
Von der DIN SPEC zur ISO-Norm
Viele sinnvolle Normungsprojekte wurden bereits erfolgreich auf den Weg gebracht. Und sie schaffen es mitunter bis zum internationalen Standard,
Nur ein Beispiel: Mit der DIN SPEC 92005 wurde ein nationaler Standard zur Quantifizierung von Unsicherheiten im Maschinellen Lernen initiiert. Nach der Veröffentlichung wird dieser nun auf internationaler Ebene diskutiert – mit dem Ziel ihn zu einem internationalen ISO/IEC-Standard zu entwickeln. Das zeigt, welche Wirkung Normungsarbeit entfalten kann.
Viele weitere wichtige Bedarfe an Normen und Standards hat die Deutsche Normungsroadmap KI aufgezeigt, erarbeitet von mehr als 570 Fachleuten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik.
Aktuelle Entwicklungen wie ChatGPT, das auf generativer KI basiert, muss Normung zeitnah begleiten. Erste Projekte, die die bestehenden ISO/IEC-Standards 22989 und 23053 um Konzepte für generative KI erweitern, sind deshalb bereits in Arbeit. Diskutiert werden zudem Ideen zum Watermarking: Wie lassen sich erzeugte KI-Inhalte mit einer Art Wasserzeichen markieren? Auch Anforderungen an Tests und Validierungen von KI-Systemen sind Themen für künftige Normungsarbeit.
Nur mit gemeinsamen Engagement lässt sich Markt nachhaltig mitgestalten
Um die sichere Anwendung von KI zu fördern ist es wichtig die Rahmenbedingungen durch Normen und Standards aktiv mitzugestalten. Dafür braucht es das gemeinsame Engagement aller Stakeholder. Nur so können wir den Markt im Sinne der deutschen und europäischen Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig mitgestalten und exakt die Rahmenbedingungen für KI setzen, die uns wichtig sind. Wer in der Normung mitwirken will, kann sich jederzeit an das DIN wenden. Als einflussreiches und aktives Mitglied der
Internationale Organisation für Normung (ISO) ist DIN das deutsche Tor zur internationalen Normung, mit der Deutsche Kommission Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (DKE) als deutschem Vertreter in der elektrotechnischen Normung bei der International Electrotechnical Commission.
DIN erarbeitet in nationalen Spiegelgremien eine abgestimmte deutsche Position, entsendet deutsche Fachleute in die internationalen Normenausschüsse der ISO und vertritt so unsere nationalen Interessen in europäischen und internationalen Normungsprojekten.
Christoph Winterhalter ist Vorstandschef des Deutschen Instituts für Normung (DIN).