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Digitalisierung & KI

Standpunkte Wie wir Europas Tech-Kompass richtig ausrichten können

Leonardo Quattrucci, Senior Fellow, und Max Reddel, Advanced AI Director beim Centre for Future Generations
Leonardo Quattrucci, Senior Fellow, und Max Reddel, Advanced AI Director beim Centre for Future Generations

Europa verzettelt sich in zu vielen Projekten, für die es zu wenig Geld hat. Der Deepseek-Schock zeigt: Im KI-Sektor gibt es für Europa noch eine Menge Platz. Wir müssen nur unsere Ressourcen konzentrieren, fordern Leonardo Quattrucci und Max Reddel vom Centre for Future Generations im Standpunkt.

von Leonardo Quattrucci und Max Reddel

veröffentlicht am 11.02.2025

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Es gibt ein altes Märchen, in dem eine Schildkröte ein Rennen gegen einen Hasen gewinnt. Aber wie kann eine langsame Schildkröte ihren schnellen Gegner überholen? Die Antwort: Mit einer klaren und konsequenten Strategie. Das Märchen von Äsop könnte für Europas Politiker:innen in ihrem Streben nach Wettbewerbsfähigkeit nicht relevanter sein.

Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, die „Innovationslücke“ zu den Vereinigten Staaten und China zu schließen und damit „nachhaltigen Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit“ zu erreichen. Dafür hat die Europäische Kommission Mario Draghis Bericht in einen Kompass umgewandelt und eine lange Liste an Strategien und Maßnahmen angekündigt, um Europas Fähigkeiten in Spitzentechnologien wie fortgeschrittener Künstlicher Intelligenz und Quantentechnologie zu stärken.

Viel zu wenig Geld

Für diese großen Strategien muss sie begrenzte Mittel mit ehrgeizigen Zielen in Einklang bringen. Trotzdem versucht die EU, sich mit Schwergewichten zu messen. Da gibt es zum Beispiel die KI-Fabriken: Eine Initiative, die Europas Netzwerk an Supercomputern für Forscher:innen und Start-ups verfügbar machen soll. 2,1 Milliarden Euro an Investitionen fließen in die Fabriken, um die Entwicklung von KI-Modellen auf dem ganzen Kontinent zu beschleunigen.

Das kann man mit Stargate vergleichen, dem 500-Milliarden-Dollar-Projekt für KI, das Präsident Trump zusammen mit den CEOs von Open AI, Nvidia und Oracle angekündigt hat. China hat darauf mit einer Eine-Billion-Yuan-Ankündigung reagiert, um „besonders umfassende finanzielle Unterstützung für die Entwicklung der KI-Industriekette bereitzustellen“.

Bei diesen Investitionssummen spielt Europa nicht nur in einer anderen Liga, sondern einen ganz anderen Sport. Wie die Dinge gerade stehen, sollten die KI-Fabriken eher als Mittel gesehen werden, um Forscher:innen und Universitäten Zugang zu wettbewerbsfähigen Werkzeugen zu geben und so die Forschung zu beschleunigen, statt als direkte Antwort auf Stargate. Die Europäische Union hat heutzutage nicht die Tech-Giganten, die nötig wären, um solche privaten Projekte aufrechtzuerhalten.

Lehren aus Deepseek

Eine Woche nach der Stargate-Ankündigung hat allerdings der chinesische KI-Neuling Deepseek die Tech-Aktien zum Absturz gebracht, indem er ein leistungsstarkes Modell zu einem Bruchteil der Kosten von Open AIs ChatGPT veröffentlichte. Für manche war das der Sputnik-Moment der KI; andere waren skeptisch; und für wieder andere war es bloß eine Marktkorrektur. Unabhängig von diesen Voraussagen hat der Deepseek-Schock zwei Dinge klargemacht.

Erstens ist der KI-Sektor immer noch ein offener Raum für verschiedene Akteure und unterschiedliche Ansätze. Das sollte ein klarer Aufruf sein, besonders für die vielen Pessimisten, die beklagen, die EU hätte mal wieder eine Chance verpasst: Das Spiel ist noch lange nicht zu Ende.

Zweitens spielt die Rechenleistung immer noch eine unverhältnismäßig große Rolle. Was die übertriebenen Schlagzeilen über Deepseek übersehen, ist, dass mehr Effizienz plus Überfluss an Rechenleistung die echte Wette auf einen exponentiellen Vorteil – nicht das eine oder das andere. Wenn Exportkontrollen Deepseek nicht daran hindern würden, mehr Rechenleistung zu nutzen, würden sie das tun. Der CEO von Deepseek hat es selbst gesagt: „Geld war für uns nie das Problem, Verbote auf Lieferungen von fortschrittlichen Chips sind das Problem.“

Jetzt erst recht

Die Überraschung aus China sollte nicht Trägheit hervorrufen, sondern Tatendrang. Sparsamere Wege, KI zu skalieren, können zusammen mit reichlicher Rechenleistung eine Chance sein, in Sachen technologischer Wettbewerbsfähigkeit weit voranzukommen. Außerdem ist KI ein langes, exponentielles Spiel, und kurzfristige Vorteile müssen nicht lang anhalten – fragen Sie nur Open AI.

Die Investitionslandschaft für die Infrastruktur der Zukunft ist gerade um einiges interessanter geworden.

Für die EU heißt das: Es ist an der Zeit für alles oder nichts. Draghis Aufruf wurde schon oft wiederholt, und wir vom Centre for Future Generations unterstützen ihn. Unserer Meinung nach zählt aber die Art, wie man alle Möglichkeiten einsetzt, genauso sehr, wie das man es tut.

Das Problem mit dem neuen Kompass für Wettbewerbsfähigkeit der Kommission ist, dass er ein altes Modell der Technologiepolitik neu verpackt. Er verwechselt seinen „Norden“ damit, europäische Tech-Riesen als idealisierte Rivalen für die amerikanischen Giganten zu schaffen. Dabei geht er aber nicht auf die völlig verschiedenen Marktumstände ein. Die EU sollte mit den Versuchen aufhören, in einem fragmentierten Binnenmarkt eigene Tech-Champions heranzuzüchten, wenn die Mitgliedstaaten nicht willens sind, mit einem Stargate-Leven an Ressourcen mitzuhalten.

Was ist der Plan und wer macht mit?

Die europäischen Bemühungen, Cloud-Hyperscaler zu entwickeln, sind gescheitert, weil die Größe und der Umfang der investierten Gelder, Talente und Erfahrungen in keinem Verhältnis zur Aufgabe standen – und das liegt daran, dass Brüssel nicht annähernd über so viel zentralisierte Macht verfügt wie Washington oder Peking.

Der Kompass zur Wettbewerbsfähigkeit enthält mehrere sich überlappende Strategien und Maßnahmen, mit verschiedenen Abschnitten für KI, Quanten- und Biotechnologie. Aber was ist die übergeordnete Deep Tech-Strategie der EU? Und, noch wichtiger, werden die Mitgliedstaaten sie unterstützen?

Moonshots statt Gießkanne

Um ihren Tech-Kompass zu reparieren, sollte die EU ihre wichtigsten Orientierungspunkte festlegen und dann an ihnen festhalten. Kompromisse bringen keine Innovation hervor. Top-Down-Initiativen wie das CERN für KI sollten keine Fußnote in offiziellen Kommuniqués sein, sondern ein Katalysator für EU-Mittel, die momentan zu dünn verteilt sind. Was China und Amerika gemeinsam haben, ist, dass Innovation Größe und Konzentration von Geld, Talent und Technologie braucht.

Mit ihren begrenzten Mitteln und großen Zielen sollte die EU von einer Logik der vielen Gießkannenprojekte zu großen Moonshots übergehen. Erfolg sollte nicht an der Zahl von Strategien und Weißbüchern gemessen werden, sondern an der Zahl von Investor:innen, die sich in den nächsten fünf Jahren dafür entscheiden, auf Europa zu setzen, oder nach der Zahl an Unternehmern, die den Binnenmarkt als Gelegenheit sehen, gerechte und wettbewerbsfähige Technologie zu schaffen.

Wenn man die Schildkröte in einem Rennen ist, kann man nicht gewinnen, indem man wie ein Hase springt. Stattdessen sollte man sein eigenes Innovationsmodell aufbauen, statt zu versuchen, andere einzuholen. Es ist an der Zeit für Europa, seine eigene Innovationsstrategie festzulegen, statt Märchen aus China und den USA hinterherzulaufen.

Leonardo Quattrucci ist Senior Fellow beim Centre for Future Generations und Adjunct Professor bei der Sciences Po-Universität. Davor arbeitete er bei Amazon Web Services und beim Europan Political Strategy Center.

Max Reddel ist Advanced AI Director beim Centre for Future Generations und leitendes Mitglied des Talos Networks. Vorher war er beim Odyssean Institute und der Giordano Bruno Foundation Switzerland.

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