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Standpunkte Aktivieren statt alimentieren – Transformation findet auch in ländlichen Regionen statt

Michael Kellner
Michael Kellner ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Foto: Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Foto: BMWK / Susanne Eriksson

Die gleichwertige regionale Entwicklung muss auch künftig als politischer Handlungsauftrag verstanden werden. Ohne gezielte finanzielle Unterstützung vom Bund wird die sozialverträgliche Transformation in den Kohlerevieren scheitern, betont Michael Kellner. Dass das Geld aus dem Sondervermögen Infrastruktur weniger Wirkung in strukturschwachen Regionen entfalten dürfte, wie es der Ökonom Oliver Holtemöller kürzlich nahelegte, dem widerspricht der scheidende Staatssekretär im BMWK entschieden.

von Michael Kellner

veröffentlicht am 09.04.2025

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Infrastrukturinvestitionen aus dem neuen Sondervermögen sollen vorzugsweise in Ballungszentren fließen, da sie dort die größte Wirkung entfalten – so argumentierte der stellvertretende Präsident des Leibniz Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller in einem Interview im Tagesspiegel Background. Zudem bezeichnet er den Strukturwandel als politisch schwer steuerbar.

Dieser Sichtweise widerspreche ich in ihrer Pauschalität ausdrücklich, denn damit würden wir viele Regionen des Landes aufgeben. Das steht meinem Verständnis vom Auftrag des Grundgesetzes entgegen, gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land herzustellen. Vielmehr bin ich überzeugt, dass wir die regionale Vielfalt und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland stärken müssen. Unser Ziel muss sein, Regionen in ihrer Entwicklung zu unterstützen und ihnen Chancen zur Entfaltung zu bieten.

Kohleregionen brauchen eine Perspektive

Nehmen wir die Kohlereviere. Der Bund fördert den Strukturwandel dort mit dem Investitionsgesetz Kohleregionen über 20 Jahre mit rund 40 Milliarden Euro. Der von den Leibnitz Instituten in Halle und Essen erstellte Evaluierungsbericht 2023 hat gezeigt, dass wir uns trotz Defiziten auf einem guten Weg befinden.

Erfolgreiche Projekte wie das Referenzkraftwerk Lausitz, das gestartete Interessenbekundungsverfahren für eine Power-to-Liquid-Demonstrationsanlage und der Bau der größten Windkraftanlage in Schipkau, belegen, dass die Lausitz auch zukünftig Energieregion bleibt.

Das zeigt: Die Unterstützung der Kohlereviere durch den Bund ist nötig, um den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Perspektive zu geben und den Standort sozialverträglich zu transformieren. Und diese Unterstützung funktioniert. Der erwähnte Evaluierungsbericht zeigt eine leicht steigende Beschäftigungsquote in den Regionen und es gibt aktuell eher einen Fachkräftemangel in der Lausitz. Es entsteht also mehr Neues als alte Jobs verloren gehen.

Konvergenz zwischen den Regionen zeigt sich bereits

Dass wir in der Angleichung der regionalen Entwicklung vorangekommen sind, hat auch der erste Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung aus dem vergangenen Jahr gezeigt– von den untersuchten 38 Indikatoren haben sich 27 über die letzten Jahre angenähert. Eine zunehmende Konvergenz gibt es sowohl bei wirtschaftlichen Indikatoren wie dem Bruttoinlandsprodukt und dem kommunalen Steueraufkommen als auch bei klimarelevanten Aspekten wie dem Bodenversiegelungsgrad und dem Anteil der Waldfläche an der Gesamtfläche.

Die Unterschiede zwischen den Regionen Deutschlands sind also mehrheitlich kleiner und nicht größer geworden. Die Fakten widersprechen damit den Thesen von Herrn Holtemöller.

Weshalb sollte die Bundesregierung aber darauf vertrauen, dass strukturschwache Regionen ohne gezielte Unterstützung des Bundes den Anschluss halten? Und warum sollten sie sich vom Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse verabschieden? Die Antwort ist klar: Eine intelligente und nachhaltige Regionalpolitik kann den Strukturwandel aktiv gestalten, Potenziale besser ausschöpfen und somit das gesamte Land stärken.

Dabei geht es nicht darum, nicht wettbewerbsfähige Strukturen zu konservieren oder, wie Herr Holtemöller suggeriert, „die eine oder andere Brücke zu bauen, über die später niemand mehr fahren wird“. Vielmehr müssen wir strukturelle Nachteile ausgleichen und Regionen gezielt in die Lage versetzen, sich erfolgreich zu behaupten – ganz egal ob ländlich oder städtisch geprägt. Deutschlands Stärke ist eben genau die Vielfalt der Regionen.

Ländliche strukturschwache Regionen als Energieproduzenten der Zukunft

Der Ausbau der erneuerbaren Energien kann zu einem entscheidenden Treiber für Wertschöpfung in den strukturschwachen Regionen werden – gerade im ländlichen Raum. Denn der Hochlauf der Erneuerbaren findet ganz überwiegend im ländlichen Raum statt – ländliche Räume haben sich aufgemacht, die „Energieproduzenten der Zukunft“ zu werden.

Deshalb war es entscheidend, dass wir in dieser Legislaturperiode die Regelungen zur finanziellen Beteiligung von Standortkommunen deutlich verbessert haben. Das erhöht die Akzeptanz für den Ausbau der Erneuerbaren vor Ort. Gerade in Brandenburg merke ich, wie kleine Kommunen außerhalb des Speckgürtels von den Abgaben profitieren.

Ein klares Programm für starke Regionen

Gerade jetzt ist es daher entscheidend, eine der größten Stärken Deutschlands – seine dezentrale Struktur – nicht zu verspielen, sondern aktiv zu gestalten.

Der regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik auf kommunaler, aber auch auf Landes- und Bundesebene wird dabei weiterhin eine herausgehobene Rolle zukommen, da sie den Bürgerinnen und Bürgern, Beschäftigten und Unternehmen eine Perspektive geben kann. In der 20. Legislaturperiode haben wir als Bundesregierung unter der Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz die Weichen für eine räumlich ausgewogene wirtschaftliche Entwicklung gestellt, die positiv auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt, faire Chancen für alle und eine stabile und wehrhafte Demokratie ausstrahlen kann.

So haben wir beispielsweise gemeinsam mit den Ländern das wichtigste regionalpolitische Instrument Deutschlands, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) reformiert, vor allem durch eine Anpassung der Ziele, von Interventionslogik und Möglichkeiten der Investitionsförderung in strukturschwachen Regionen. Dadurch wurden zahlreiche Investitionen unter anderem in den Bereichen Transformation und die Förderung von Energieinfrastrukturen angestoßen, die ohne die GRW nicht stattfinden würden.

Wie erfolgreich die Reform des Programms war, wird auch deutlich, wenn man den Mittelabfluss betrachtet. Erstmals in der 55-jährigen Programmgeschichte wurden 2024 mehr als 100 Prozent des Soll-Werts erreicht – und das trotz der allgemeinen wirtschaftlichen Investitionszurückhaltung. Das zeigt: Auch in strukturschwachen Regionen gibt es – anders als Herr Holtemöller argumentiert – genügend Ideen für Projekte.

Die Ergebnisse einer Evaluation von Kolleginnen und Kollegen von Professor Holtemöller aus dem IWH aus dem Jahr 2024 hat erneut die positive Wirkung der GRW auf Investitionen, Einkommen und Beschäftigung unterstrichen.

Den Kurs halten: Strukturschwache Regionen brauchen Investitionen

Mit den Mitteln des Sondervermögens Infrastruktur werden in der kommenden Legislaturperiode neue Spielräume gegeben sein, um die Standortnachteile strukturschwacher Regionen auszugleichen. Ein gezieltes GRW-Sonderprogramm könnte hier zum Beispiel einen entscheidenden Beitrag leisten.

Ein solches Programm würde:

  • bestehende Strukturen nutzen und schnell umsetzbar sein,
  • bereits in diesem Jahr zusätzliche Investitionen ermöglichen,
  • eine breite Palette an förderfähigen Investitionen abdecken, von Hafen- und Energieinfrastrukturen über Technologiezentren bis hin zu Bildungs- und Daseinsvorsorgeeinrichtungen.

Das Sonderprogramm könnte folglich dazu beitragen, dass Deutschland weiterhin ein starkes Land mit starken Regionen ist.

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