Naturkatastrophen wie Stürme, Überschwemmung, Erdbeben und Waldbrände belegten im weltweiten Ranking des diesjährigen Allianz Risk Barometer den sechsten Platz. Überraschend: Der Klimawandel rangiert sogar nur auf Platz neun. Der jährliche Bericht von Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) identifiziert die Top-Unternehmensrisiken für die nächsten zwölf Monate, basierend auf den Erkenntnissen von mehr als 2700 Risikomanagement-Experten aus 92 Ländern und Territorien.
Sollten diese Risiken nicht prominenter auf dem Radar zu sehen sein? Ohne Zweifel! Stattdessen sind sowohl Naturkatastrophen als auch der Klimawandel in den diesjährigen Top Ten der Risiken um einen beziehungsweise zwei Plätze im gefallen, was hauptsächlich im Aufstieg der Covid-19-Pandemie auf Platz zwei des Rankings begründet sein dürfte.
Und auch wenn die Bekämpfung des Klimawandels zumindest auf der vor kurzem zu Ende gegangenen Münchner Sicherheitskonferenz gleichranging mit Covid-19 im Zentrum der Diskussionen stand, wird die Pandemie wahrscheinlich noch über das Jahr 2021 hinaus im Fokus der Unternehmen bleiben – zumindest so lange bis die Menschheit zu einer neuen Normalität zurückkehren kann.
Verwundern tut diese Einordnung der Risikomanager aber nicht. Im Vergleich zu Covid-19 ist der Klimawandel „eine Katastrophe in Zeitlupe“, so der Oxford-Professor Raymond Pierrehumbert – mit vielen Ursachen und Auswirkungen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Folgen des Klimawandels im Vergleich zur Pandemie für den Einzelnen noch immer sehr weit weg sind.
Wer sich heute ohne Maske in die U-Bahn setzt, riskiert, die Folgen von Covid-19 am eigenen Leib zu spüren. Wer dagegen mit seinem alten Diesel-Pkw zum Sonntagsausflug an den See fährt, wird nicht sofort mit den Konsequenzen des Klimawandels konfrontiert sein. Die Unmittelbarkeit unserer Versäumnisse und Fehler ist beim Klimawandel also nicht vorhanden. Und gerade deshalb neigen wir dazu, sie gerne zu ignorieren.
Dabei sind die Folgen des Klimawandels längst sichtbar – und nicht mehr aufzuhalten. Die verheerenden Winterstürme im Süden der USA und in Teilen auch die extremen Wettereignisse in Norddeutschland vor einigen Wochen haben uns gezeigt, wie schlecht viele Unternehmen auf die zunehmend extremen Wettereignisse eingestellt sind. Unterdessen eilen die Temperaturen von Rekord zu Rekord: Alle der letzten sechs Jahre gehörten zu den wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Im Jahr 2019 erlebten wir extreme Hitze in Europa, massive Waldbrände im Polarkreis selbst in zuvor als feuer-resistent geltenden Gebieten sowie eine Rekordschmelze des grönländischen Eisschilds.
In Deutschland wird vor allem der Umbau der Wirtschaft gefürchtet
Verheerende Waldbrände in Kalifornien und Australien und die rekordverdächtige Anzahl von Tropenstürmen im Atlantik gehörten zu den Naturkatastrophen, die es 2020 trotz Corona in die Schlagzeilen geschafft haben. Keine vorherige atlantische Hurrikan-Saison hat so viele benannte Stürme (30) hervorgebracht, von denen sich 13 zu Hurrikanen ausgewachsen haben.
Auch wenn in der jüngsten Vergangenheit zum Glück weniger Erdbeben oder Tsunamis zu beobachten waren, verursachten Naturkatastrophen 2020 weltweit rund 80 Milliarden US-Dollar an versicherten Schäden. Ein Anstieg um mehr als 40 Prozent gegenüber 2019, hauptsächlich verursacht durch Extremwetterereignisse wie Gewitter mit Tornados, Überschwemmungen, Hagel und eben Waldbrände und getrieben durch eine höhere Akkumulation von Sachwerten.
Der Klimawandel bedroht die Erde – und schafft auch spezifische Risiken für Unternehmen. Laut den Befragten des Allianz Risk Barometers sind die physischen Verluste das größte Risiko, das der Klimawandel für Unternehmen weltweit darstellt, gefolgt von den Auswirkungen auf Lieferketten und Betriebsabläufe. In Deutschland fürchten sich Unternehmen dagegen weniger vor Sachschäden, sondern vor allem vor den potenziellen Auswirkungen auf Absatzmärkte, etwa durch den Wandel zur Elektromobilität oder neue Emissionsvorschriften.
Aus vielfältigen Gründen sind Unternehmen daher aufgefordert, ihre Strategien und Geschäftsmodelle hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaft neu auszurichten. Sie müssen die Übergangsrisiken und -chancen im Zusammenhang mit Markt- und Technologieverschiebungen, Reputationsfragen, politischen und rechtlichen Änderungen oder physischen Risiken bewerten.
So gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die den Druck auf Unternehmen erhöhen, sich klimabewusst zu verhalten: Immer mehr engagierte Mitarbeiter, die wissen wollen, dass ihr Arbeitgeber das Richtige für die Umwelt tut; institutionelle Investoren wie Pensionsfonds und Vermögensverwalter, die auf konkrete Maßnahmen zum Schutz des Klimas drängen, wie zum Beispiel CO2-Reduktionsziele oder den Ausstieg aus der Kohleindustrie; Aktionärsgruppen, die sicherstellen, dass Klimathemen bei Hauptversammlungen im Vordergrund stehen; und potenzielle Geldgeber, die detailliertere Informationen über klimabezogene Strategien als je zuvor suchen.
Die Klima-Compliance wird erheblichen Druck entfalten
Unternehmen, insbesondere aus Sektoren mit hohem Kohlenstoffausstoß, müssen sich auch auf schärfere Regulierung und Gesetze einstellen – eine klimafreundliche Geschäftsstrategie wird dann schnell eine Frage der Compliance. Politische Änderungen, neue Steuersysteme, wachsende Berichtsanforderungen und Nachhaltigkeitsmetriken sind zu beachten und erfüllen.
In Großbritannien gibt es beispielsweise Pläne, die Offenlegung von klimabezogenen Finanzrisiken für eine ganze Reihe von Unternehmen bis 2025 verpflichtend zu machen. Unternehmen müssen sich also vorbereiten und sich schnell anpassen können – am besten proaktiv, solange noch freie Gestaltungsspielräume bestehen. Denn auch der Aktivismus für den Klimawandel wird immer ausgefeilter und professioneller. Die gemeinnützige Anwaltskanzlei ClientEarth zum Beispiel hat sich einen Namen damit gemacht, die Gesetzgebung zu nutzen, um Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen. Im September 2020 errang sie einen großen Sieg, indem sie die Schließung eines riesigen Kohlekraftwerks in Polen erzwang.
Auch die Bedrohung durch Gerichtsverfahren entwickelt sich weiter. In mehr als 30 Ländern wurden bereits Klagen gegen „Carbon Majors“ angestrengt, die meisten davon in den USA. In Deutschland wurden von Umweltverbänden erste Klimaklagen beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.
Sie richten sich jedoch nicht gegen einzelne Unternehmen, sondern die Bundesregierung, die mit dem Ende 2019 verabschiedeten Klimaschutzgesetz nicht genug gegen die Klimakrise tue und damit ihrem im Grundgesetz verankerten Schutzauftrag nicht nachkomme. Folglich sollte der Klimawandel nicht nur als Reputationsrisiko, sondern auch als Rechts- und Governance-Risiko eingestuft werden. Die Vorstände der Unternehmen haben im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht die wichtige Aufgabe, eine solide unternehmerische Klimaverantwortung sicherzustellen.
Jedes Unternehmen muss jetzt seine Rolle,
Position und Geschwindigkeit hinsichtlich des Klima-Kurses bestimmen. Managerinnen und Manager sind gut
beraten, unternehmensspezifische Klimarisiken und -chancen zu identifizieren
und so eine Klimastrategie
entwickeln, die mit geeigneten Investitionen in neue Fähigkeiten und
Technologien umgesetzt werden kann. So können Unternehmen den klimafreundlichen
Wandel entscheidend vorantreiben. Auch wenn die Pandemie auch in diesem Jahr
weiterhin Aufmerksamkeit fordert: Der Klimaschutz bringt Zauderer schnell in Bedrängnis – und damit auch
jene, die die konkreten Risiken für ihr Unternehmen immer noch unterschätzen.