Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit und wird das Leben künftiger Generationen prägen. Aber darin liegt auch eine Chance, denn nie zuvor standen wir Menschen vor einem so großen Problem, das wir nur gemeinsam lösen können – globale Kooperation ist das Gebot der Stunde. Artikel 6 des Pariser Abkommens bildet die Grundlage für eine regelbasierte Zusammenarbeit beim Erreichen der Klimaziele. Während der Klimakonferenz COP25 in Madrid müssen die Regeln dafür so gestaltet werden, dass nur tatsächlich erbrachte Emissionsminderungen angerechnet werden können; alte Fehler aus dem Kyoto-Protokoll gilt es zu vermeiden.
Die Idee ist simpel: Für das Klima ist es völlig egal, wo auf der Welt welche Tonne CO2 ausgestoßen wird – einzig und allein die Gesamtmenge ist relevant. Doch während es bei der Klimawirkung keinerlei regionale Unterschiede gibt, sind die Differenzen bei den Vermeidungskosten erheblich. Daher ist es für den Klimaschutz sinnvoll, wenn Regionen mit hohen Vermeidungskosten und viel Kapital dort in klimafreundliche Technologien investieren, wo geringere Vermeidungskosten herrschen, aber wenig Kapital vorhanden ist. So wird aus jedem Euro das Maximum für den Klimaschutz herausgeholt. Und davon profitieren alle Beteiligten.
Vergangene Woche hat Ann-Kathrin Schneider vom BUND in ihrem Standpunkt die Befürchtung geäußert, Artikel 6 könne dazu führen, dass Länder wie Deutschland ihre Emissionen nicht mehr selbst senken, sondern sich durch Emissionsminderungen in anderen Teilen der Welt quasi freikaufen, wenn sie ihre Ziele verfehlen. Doch bevor das Pariser Abkommen infrage gestellt wird – was sie damit letztlich tut –, lohnt sich ein genauer Blick in den Vertragstext.
Nicht niedrigere, sondern höhere Ambitionen
Artikel 6 ist nämlich keine Notlösung, die bei verfehlten Zielen greift, sondern zielt explizit darauf ab, zum Erreichen der Ziele beizutragen. Die internationale Kooperation, die Artikel 6 des Pariser Abkommens ermöglicht, eröffnet auch nicht die Möglichkeit, eigene Ambitionen zu senken. Im Gegenteil: Im Vertragstext heißt es wörtlich, dass sich einzelne Vertragsparteien „für eine freiwillige Zusammenarbeit bei der Umsetzung ihrer national festgelegten Beiträge entscheiden, um sich für ihre Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen höhere Ambitionen setzen zu können“.
Wer der klimapolitischen Realität ins Auge schaut, muss anerkennen, dass die Ambitionen der Industrienationen ohne Artikel 6 einfach niedriger ausfallen werden. Ein Beispiel: Wenn die EU bis 2030 eine Senkung der Emissionen um bis zu 50 Prozent für möglich hält, wäre es ohne Artikel 6 strategisch klug, im kommenden Jahr im nationalen Klimabeitrag (NDC) eine Minderung von 45 Prozent zu beschließen, damit noch ein gewisser Spielraum besteht. Denn letztlich ist es besser, das Ziel zu übertreffen, als daran zu scheitern.
Würde sich die EU hingegen beispielsweise auf 60 Prozent Minderung festlegen und dabei ermöglichen, dass bis zu 15 Prozent durch Artikel 6-Maßnahmen erbracht werden, liegen die eigenen Ambitionen ebenfalls bei mindestens 45 Prozent, die Klimaschutzwirkung wird jedoch insgesamt deutlich größer. Naiv ist dagegen die Vorstellung, dass die 60 Prozent auch ohne Artikel 6 als Ziel ausgegeben würden. Klimaziele sollten schließlich nicht in Wünsch-Dir-Was-Überbietungswettbewerben formuliert werden, sondern mit Blick auf die Realität.
Details entscheiden über Gedeih und Verderb
Denn utopische Ziele produzieren nur Verlierer: Sie werden entweder verfehlt oder können nur mit harten Einschnitten bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erreicht werden. Dadurch werden dann Investitionen in die Entwicklung klimafreundlicher Technologien gehemmt und die sozialen Folgen lassen Klimaschutz so bedrohlich erscheinen, dass politische Mehrheiten dafür nicht mehr zu haben sind. Außerdem droht Carbon Leakage, wodurch nationale Ziele am Ende nicht zwangsläufig auch dem Klimaschutz nutzen.
Damit einzelne Vertragspartner ihre Bilanzen nicht schönrechnen können, muss nun im Endspurt in Madrid ein robustes Regelwerk verhandelt und beschlossen werden. Die technischen Details werden letztlich über Gedeih oder Verderb der internationalen Zusammenarbeit entscheiden. Vor allem muss sichergestellt werden, dass jede eingesparte Tonne CO2 nur einmal angerechnet wird. Ebenso steht die Frage im Raum, wie wir wir künftig mit Projekten aus dem Clean Development Mechanism (CDM) oder dem Programm Joint Implementatition (JI) des Kyoto-Protokolls umgehen. Weil das Monitoring dort nicht funktioniert hat, sollten künftig keine alten Zertifikate aus Projekten anerkannt werden, die nach den Kyoto-Regeln ratifiziert wurden.
Andererseits brauchen wir eine Lösung für noch laufende Projekte, die ihren Nutzen tatsächlich erbracht haben. Diese müssen, nach erneuter Ratifizierung, auch weiterhin angerechnet werden können – andernfalls würden diejenigen bestraft, deren Projekte bislang schon den in Aussicht gestellten Beitrag zum Klimaschutz geleistet haben. Schließlich geht es nicht um Ideologie, sondern um Emissionsminderungen.
Fehler von Kyoto nicht wiederholen
In jedem Fall muss eine transparente Überwachung der Projekte durch eine unabhängige internationale Institution sichergestellt sein. Das Reporting muss, genauso wie das Global Stocktake Reporting, auf standardisierten Messgrößen und Verfahren basieren. Zu klären ist außerdem, ob und wie Artikel 6 von nicht-staatlichen Akteuren, etwa in Corsis, dem geplanten weltweiten Emissionshandel der UN-Luftfahrtorganisation, genutzt werden kann. Auch hier sind Doppelanrechnungen zu vermeiden.
Zu guter Letzt muss auf der COP25 sichergestellt werden, dass dem Klimaschutz nicht andere wichtige Ziele zum Opfer fallen. Die Achtung der Menschenrechte oder die Umweltintegrität der Projekte dürfen nicht verhandelbar sein. Idealerweise werden also alle Maßnahmen, die aus Artikel 6 folgen, mit sogenannten Safeguards und Grievance Mechanisms ausgestattet, also mit standardisierten Überprüfungen auf soziale und ökologische Folgen. Denn die Fehler von Kyoto dürfen sich nicht wiederholen.