Die Krise der Windenergie in Deutschland ist bekannt: Der Ausbau ist fast vollständig eingebrochen. Aber anders als die Diskussion in den Medien suggeriert, liegen die tieferen Gründe nicht primär bei Vogelschutz oder Protesten vor Ort. Vor allem fehlen inzwischen Flächen, die auf absehbare Zeit bebaut werden könnten, sowie eine schlüssige Ausbauplanung im gesamten Bundesgebiet.
Darum ist diese Krise der Windenergie aus unserer Sicht vor allem eine Krise des Rechts, das Bau und Betrieb dieser Grünstromkraftwerke regelt: Während das politische Lippenbekenntnis zu Klimaschutz, Erneuerbaren Energien und grünen Energiespeichern heute so stark wie nie ist, drückt sich die Politik vor einer Reform des juristischen Unterbaus der Energiewende.
Windräder, gerne als „Arbeitspferde der Energiewende“ beschrieben, werden vor den Genehmigungsbehörden und Gerichten genauso eingestuft wie ein privates Moto-Cross-Gelände oder eine Tankstelle: Als eine private Investition, als hätte der Staat kein besonderes Interesse an ihnen.
Keine „ausreichende Energiemenge“ ohne Windkraft
Dabei ist das staatliche Interesse an der Windenergie völlig unstrittig. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt befunden, dass die „ständige Verfügbarkeit ausreichender Energiemengen“ eine „entscheidende Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der gesamten Wirtschaft“ ist. Im fortlaufenden Übergang zu einer klimafreundlichen Stromerzeugung braucht das Land im Jahr 2030 (mindestens 65% Grünstromanteil) eine installierte Windkraftleistung von 75 bis 85 Gigawatt. Gegenüber knapp 55 Gigawatt heute. Für eine vollständig CO2-freie Stromerzeugung – welche die Bundesregierung für 2050 anvisiert, die jedoch zur Erreichung der Paris-Ziele allerspätestens 2040 erreicht sein muss – steigt die notwendige Leistung von Windenergie an Land auf weit über 100 Gigawatt.
An diesen Bedarfszahlen zur Windenergie besteht kein Zweifel, sie begründen unter anderem das „öffentliche Interesse“ an neuen Stromleitungen – deren Ausbau zwar auch stockt, die aber weiter gebaut werden. Sie sollen vor allem Windstrom von Norden nach Süden führen. Aber an den Windkraftwerken selber gibt es juristisch kein „öffentliches Interesse“ und keine Feststellung des Bedarfs. Das führt vor Gericht regelmäßig dazu, dass das lokale Interesse am Freihalten der Landschaft und auch private Einwände neue Anlagen dauerhaft verhindern. Ein klassisches Nimby (Not in my backyard)-Problem also, dem sich der Gesetzgeber endlich stellen muss.
Selbstblockade des Raumordnungsrechts
Es ist dringend notwendig, dass die Politik sich mit dem Planungsrecht für Wind an Land beschäftigt. Das seit den 90er Jahren gewachsene System steckt inzwischen in einer Selbstblockade, die den Zubau selbst in extrem windhöffigen Gebieten verhindert – es wird nämlich nicht nur positiv der Ausbau geplant, sondern der Rest der Fläche weitgehend für die Windkraft ausgeschlossen. Im Planungsrecht wurden so in den letzten Jahrzehnten systemische Widersprüche eingebaut, die um Grundrechte der Betreiber und Flächeneigentümer sowie um die Kompetenzverteilungen zwischen Bund und Ländern oszillieren.
Dadurch sind die zuständigen Ebenen des Planungssystems real nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt in der Lage, ihre Arbeit in Übereinstimmung mit Recht und Gesetz zu machen: Kläger finden praktisch immer Detailfehler in den von Gerichten geforderten „schlüssigen und fehlerfreien gesamträumlichen Planungskonzepten“, die dann den gesamten Plan „abschießen“, wie es im Juristenjargon heißt.
Diese Widersprüche sind innerhalb des Systems nicht mehr auflösbar. Das System ist dem Handlungsdruck nicht angemessen.
Moratorien aus Notwehr gegen schlechte Gesetze
In Ihrer Not beschließen immer mehr Bundesländer und Landkreise Moratorien: Nichts wird mehr gebaut, bis wir unsere Regionalpläne endlich fertig haben. Das dauert Jahre: In Schleswig-Holstein werden seit 2012 fast keine Windräder mehr gebaut. In vielen Regionen Brandenburgs gelten Moratorien seit 2019 – Ende offen. Und um Cuxhaven, einer der windhöffigsten Region Deutschlands, führt aktuell der „Abschuss“ eines Raumordnungsplans zu einem Moratorium bis 2023. Mindestens.
Bei Stromleitungen ist das anders. Der Staat hat in der Frage der Energieverteilung notwendigerweise ein „öffentliches Interesse“ angemeldet und regelt den Ausbau nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und weiteren Fachgesetzen selbst – ohne relevante lokale Planungskompetenzen. Genauso hält er es bei Infrastrukturvorhaben, wie etwa bei Fernstraßen (FStrG), Wasserstraßen (WaStrG) oder Eisenbahnen (AEG).
Das fehlt der Windenergie an Land (anders als auch bei Offshore). Darum ist sie gegenüber dem Bau von Infrastruktur wie Schienen, Straßen oder Stromnetzen strukturell diskriminiert. Führt man sich die drohende Ökostromlücke aber noch einmal vor Augen, begründet diese auch die rechtliche Schlussfolgerung, dass es sich hierbei nicht um eine rein unternehmerische oder privatwirtschaftliche Investitionsentscheidung handelt, sondern um ein echtes öffentliches Interesse am Ausbau Erneuerbarer Energien und insbesondere der Windkraft.
Im WindG setzt der Bund den Rahmen
Ein Windenergie-an-Land-Gesetz müsste genau wie das Fachplanungsrecht etwa des Leitungsbaus den großen Rahmen aufzeigen und klar machen, welche Stellen für Genehmigungen zuständig sind und wie Genehmigungen einheitlich in Deutschland erteilt oder verwehrt werden. Genehmigungen würden nicht teurer oder langsamer, und Mensch und Natur nicht schlechter gestellt.
Das Gesetz müsste festschreiben, dass in Deutschland so viele Windräder gebaut werden müssen und sollen, wie es dem Öffentlichen Interesse (Klimaschutzziele und Ausbausziele) entspricht. Dabei könnte der Bund Leistungs- oder Flächenziele – zum Beispiel die heute von einigen Ländern schon festgesetzten zwei Prozent der Landesfläche - zugrunde legen. Oder im Lichte neuer Strombedarfsprognosen und neuer Auswertungen zur Anlagentechnik jeweils angepasste Werte.
Der Gesetzgeber könnte auch direkt den Strombedarf zur Basis machen. Gutachten (wie der Berliner Thinktank Agora Energiewende zuletzt dokumentiert hat) rechnen damit, dass Deutschland auch im Jahr 2030 oder 2040 mindestens 600 bis 650 Terawattstunden (TWh) Strom verbrauchen wird. Greenpeace Energy erwartet wegen des Strombedarfs für Mobilität, Wärme und Industrie sogar mehr als 900 TWh jährlich.
Dieser Strom soll auch nach den Plänen der Bundesregierung schrittweise zu 55, 65 und im Jahr 2050 dann zu 90 bis 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Daraus lässt sich ableiten, welchen Anteil daran die Windenergie an Land erbringen muss. Und wie viel installierte Leistung dementsprechend benötigt wird. Der Gesetzgeber muss hier endlich Farbe bekennen, oder bald eingestehen, dass er die eigenen Klimaziele (etwa aus dem Bundesklimaschutzgesetz) nicht wird erreichen können.
Analogien bei Offshore-Wind
Auf See hat der Gesetzgeber den Paradigmenwechsel längst vollzogen. Hier legt der Staat die Gebiete fest, in denen Windräder auf See nach seinen Vorgaben – festgelegt in den Bundesfachplänen – errichtet werden dürfen. Dabei vergibt der Staat die Lizenzen nach seinen Präferenzen, hier etwa an den günstigsten Stromerzeuger.
Sowenig wie das Fachplanungsrecht für Fernstraßen auf einen Feldweg angewendet wird, so wenig stellt ein Windenergie-Gesetz natürlich auf eine Einzelanlage ab. Das Gesetz muss lediglich den rechtlichen Rahmen für größere Windparks schaffen – etwa ab 15 Megawatt, was rund drei modernen Anlagen entspricht. Und es muss die notwendigen Vorgaben für die Berücksichtigung der Raumordnungsplanung nach den Raumordnungsgesetzen der Länder machen.
Die am besten geeigneten Standorte festlegen
Wählt man einen Bedarfsplan entsprechend dem Flächensicherungsverfahren der Offshore- Windenergie, könnte ein Verfahren zur Flächensuche für einzelne Bundesländer oder das gesamte Bundesgebiet abstrakt auf Grundlage vorhandener Winddaten und ausgewählter Ausschlussflächen erfolgen. Möglich wäre es auch, eine „gesetzliche Bedarfsfeststellung“ bei besonders großen Flächenarealen wie ehemaligen Braunkohletagebaugebieten oder Militärstandorten zu treffen. Das Raumordnungsgesetz (§ 17 Abs. 3 ROG) bietet dem Bund schon ohne Gesetzesänderung eine mögliche rechtliche Grundlage.
Alternativ zu Flächenvorgaben könnte der Bund auch einen Bedarf an Windenergie-Leistung pro Bundesland ermitteln. Dann entfiele die raumbezogene Flächensuche. Und die Raumordnungspläne der Länder hätten sich an den Vorgaben zu orientieren.
Reicht der politische Wille für mehr Klimaschutz?
Was lässt sich gegen ein neues Regime und ein eigenes Windenergie-an Land-Gesetz einwenden? Das Genehmigungsverfahren wäre nicht aufwändiger als heute. Natur- und Artenschutz würden dadurch nicht geschwächt. Populationen würden erhalten und Ausgleichsmaßnahmen getroffen werden. Der Schutz von Mensch und Natur wäre weiter durch das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) gesichert.
Die Herausforderungen liegen eher im Politischen: Gemeinden und regionale Planungsträger müssten Rechte abgeben, eventuell auch die Länder. Manche Befugnisse würden zum Bund wandern, (etwa zu Planfeststellungsabteilungen der Ministerien). Ein solches Gesetz wäre im Bundesrat zustimmungspflichtig. Denn die Länder müssten auf einen Teil ihrer Rechte verzichten. Das ist ein langwieriger Prozess.
Geänderte Raumordnung für schnellen Erfolg
Doch die Zeit drängt. Darum fordern wir die Bundesregierung auf, als ad-hoc-Maßnahme ihre Möglichkeiten aus dem Raumordnungsgesetz (§ 17 Abs. 3 ROG) zu nutzen. Einem solchen „Grundsatz der Raumordnung“ müsste danach im gesamten Bundesgebiet etwa ein Anteil von zwei Prozent der Landesfläche für die Windenergie zur Verfügung gestellt.
Auch hat der Bund die Möglichkeit, das Strukturstärkungsgesetz für Kohleregionen, vorgelegt erstmals im Frühjahr 2019 aber immer noch nicht als Gesetz beschlossen, zu nutzen. Der „Aufbau starker Energieregionen“ sieht auch den Ausbau von erneuerbaren Energien in ehemaligen Tagebauregionen vor, der gemeinsam von Bürger*innen und Kommunen getragen, lokale Wertschöpfung generieren würde.
Mittelfristig entheben solche ad-hoc-Maßnahmen die Bundesregierung aber nicht der Pflicht, die heute völlig verfahrene Raumordnungsplanung durch ein eigenes Fachgesetz für die Windenergie an Land neu zu ordnen. Sonst wird uns die `Flächenlücke´ der Windenergie daran hindern, unsere Erneuerbaren- und Klimaschutzziele erreichen zu können.
Dr. Roda Verheyen ist Anwältin und Partnerin der Kanzlei „Rechtsanwälte Günther“ in Hamburg; Marcel Keiffenheim leitet den Bereich Politik und Kommunikation bei Greenpeace Energy