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Energie & Klima

Standpunkte Der Planet kommt vor der Industrie

Sebastian Scholz beschreibt in seinem Standpunkt die Gesundheits- und Umweltschäden durch die Braunkohle - und fordert von der nächsten Bundesregierung ein klares Signal Richtung Ausstieg.

von Sebastian Scholz

veröffentlicht am 29.08.2017

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Der Stopp der Verbrennung von Kohle ist nicht nur der Lackmustest für den Klimaschutz. Emissionen aus Kohlerkaftwerken belasten auch zu einem hohen Maße die Gesundheit der Bevölkerung und die Natur und Umwelt. Gesundheits- und Umweltschutz sollte doch eigentlich höchste Priorität bei allen Parteien haben. Tatsächlich versuchen aber gerade die vier Ministerpräsidenten der „Braunkohleländer“ Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt die ab 2021 geltenden EU-Grenzwerte für die extrem giftigen Emissionen von Quecksilber, Stickoxiden und anderen Schadstoffen zu kippen. Sie fordern in einem Brief an die Bundesregierung, dass Deutschland gegen die EU-Kommission klagt, denn die Grenzwerte seien wirtschaftlich nicht darstellbar.


Verantwortungsloser Angriff auf neue EU-Grenzwerte


Die Bundesregierung erwartet ihrerseits von anderen EU-Mitgliedstaaten, einmal vereinbarte EU-Beschlüsse einzuhalten; hier sei nur an die Beschlüsse zur Aufnahme von Flüchtlingskontingenten erinnert. Die neuen Grenzwerte haben die EU-Mitgliedstaaten bereits im April verabschiedet. Zwar bezeichnenderweise gegen die Stimmen der Länder mit den größten Kraftwerks- „Dreckschleudern“ wie Deutschland, Polen und Tschechien, aber mehrheitlich. So ist nun einmal Demokratie. Beschlüsse gelten auch dann, wenn ein bestimmter Industriezweig die Maßnahmen zu teuer findet!


Zudem ist es verantwortungslos, die EU-Grenzwerte anzugreifen, weil beispielsweise die Emissionen von Stickoxiden aus Braunkohlekraftwerken genauso gesundheitsschädlich sind wie die aus Diesel-Pkw. Sie schädigen die Lungen und tragen zu Atemwegserkrankungen bei Kindern und Erwachsenen bei. Stickoxide in der Luft führen außerdem zur Versauerung des Regens und schädigen so Umwelt und Natur. Pflanzen werden geschädigt oder sterben ab, Gewässer werden durch den Säureeintrag belastet. Kohlekraftwerke schädigen so sämtliche Ökosysteme.


Schäden für Umwelt und Gesundheit


Deutsche Kohlekraftwerke emittieren außerdem tonnenweise Quecksilber in die Luft. Mit dem Regen landet dieses Nervengift dann auch in unseren Gewässern, welche flächendeckend bereits starke Belastungen vorweisen. Das Bundesumweltministerium warnt Schwangere und Stillende vor dem Verzerr von heimischen Raubfischen, denn das Quecksilber reichert sich über die Nahrungskette an. Quecksilber ist krebserregend und nervenschädigend, auch Lunge und Leber werden angegriffen. Bei Säuglingen und Kleinkindern kann Quecksilber zu Gehirnschäden führen, denn für das sich entwickelnde zentrale Nervensystem ist es eine der giftigsten Substanzen die es gibt.


Durch verbesserte Säuberung der Kraftwerksabgase könnten Tausende vorzeitige Todesfälle pro Jahr vermieden werden. Die gesundheitlichen Folgekosten würden drastisch sinken, das Gesundheitsnetzwerk HEAL hat Einsparungen in Höhe von über 15 Milliarden Euro pro Jahr errechnet!


Genau wie Diesel-Pkw, können auch Kohlekraftwerke technisch nachgerüstet werden, so dass wenigstens ein Großteil der schädlichen Abgase der Umwelt erspart bleibt. Dazu braucht es aber politische Unterstützung – als Dienstleistung für die Menschen und nicht allein für die Unternehmen. Zu Zeiten des Waldsterbens war es auch möglich, Rauchgasentschwefelungsanlagen konsequent einzusetzen – trotz der Kosten. Damals hatten umweltbewusste Politiker aller großen Parteien das Rückgrat, entschlossen zu handeln und der deutsche Wald musste nicht den Kraftwerken zum Opfer fallen.


Zeit für ein klares Signal für den Ausstieg


Es ist an der Zeit, dass sich die Bundespolitik einschaltet. Denn wenn die Länder ausscheren, kann auch die Bundesregierung die in Paris vereinbarten Klimaschutzziele nicht erreichen. Das ist eine Blamage sondergleichen, denn diesen November kommt die Staatengemeinschaft zur Weltklimakonferenz in Bonn zusammen. Sollte Merkel dann noch regieren, wird sie es sich sicherlich nicht nehmen lassen, sich wieder mal als „Klimakanzlerin“ und Deutschland als Vorreiter in Sachen Klimaschutz zu präsentieren. Das ist aber nur glaubwürdig, wenn Bundeskanzlerin Merkel jetzt klar macht, dass „Planet Earth first“ gilt und nicht „Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen first“. Die Maßnahmen, um die Klimaschutzziele noch zu erreichen, sind bekannt und einfach: Kohlekraftwerke stilllegen, und zwar die dreckigsten sofort! Die Ministerpräsidenten der vier Bundesländer müssen aufhören, die deutsche Klimapolitik zu sabotieren und den Weg frei machen für saubere Alternativen zur Kohle.


Nicht nur im Interesse der Umwelt und der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger, sondern auch im Interesse der in der Braunkohle und in den Kraftwerken Beschäftigten. Strukturwandel braucht Zeit und vorausschauendes Handeln – jetzt!

Sebastian Scholz ist Teamleiter Energie und Klimaschutz beim NABU.

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