Auf einmal kann es nicht schnell genug gehen. Die Ziele zum Windenergie-Ausbau in Deutschland beziehungsweise in der EU überschlagen sich regelrecht. Im EEG-Entwurf sind für Wind an Land Ausbauvolumina von fünf Gigawatt im kommenden Jahr und acht beziehungsweise zehn GW in den Folgejahren vorgesehen. Die installierte Gesamtleistung soll bis 2030 auf 115 GW verdoppelt werden. EU-weit soll die Onshore Windenergie im gleichen Zeitraum um rund 200 GW wachsen auf 374 GW installierte Leistung.
Vor dem Hintergrund hoher internationaler Abhängigkeiten, unterbrochener Lieferketten und sich ausweitender Sanktionsspiralen sind sich alle politischen Akteure ob der Dringlichkeit des Ausbaus der Renewables einig. Endlich soll die herausragende Rolle der erneuerbaren Energien für die Gesellschaft nun auch gesetzlich gewürdigt werden: Die Errichtung und der Betrieb der EE-Anlagen „liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit“, heißt es im EEG-Entwurf.
Ruinöser Wettbewerb hat Hersteller geschwächt
Die Einsicht kommt bei manchem reichlich spät. Zehn Jahre lang waren die erneuerbaren Energien in Deutschland ins Hintertreffen geraten, zunächst die Solarenergie, dann auch die Windenergie. Beide Technologien wurden jahrelang einem politisch getriebenen, ruinösen Wettbewerb um die günstigste Kilowattstunde unterworfen. Im Ergebnis entstanden bei Photovoltaik-Modulen Importabhängigkeiten, die noch größer sein dürften als diejenigen bei Gas und Öl.
Windenergieanlagen lassen sich zwar bislang noch weitgehend komplett in der EU herstellen, doch auch hier führte der Kostendruck zu einem Lieferketten-Exodus in außereuropäische „Best cost countries“ und brachte hiesige Hersteller und Zulieferer an den Rand der wirtschaftlichen Existenz. Und das – nebenbei bemerkt – bereits lange bevor Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg zu explodierenden Rohstoffkosten, gestörten Lieferketten, gravierenden Transport- und Logistikengpässen und weiteren Belastungen führten.
Die „Eröffnungsbilanz“ des neuen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck zeigte deutlich den Kern des Problems: Je eine jahrelange Ausbau-Delle erstreckt sich über Solar und Wind, die sich auf gut und gern 100 GW nicht realisierte Leistung summieren – und die nun nachgeholt, ja überkompensiert werden müssen. Die Wirtschaftspolitik der Merkel-Ära war von dem Gedanken berauscht, grüne Energie – bevorzugt Wasserstoff – in beliebiger Menge irgendwo auf der Welt einkaufen zu können. Erdgas sollte als „Brücke“ dienen, die zunächst fossil, dann CO2-frei und am Ende gänzlich grün sein sollte. Die Importabhängigkeit allein von russischem Erdgas wurde binnen eines Jahrzehnts von knapp einem Drittel (2011) auf mehr als die Hälfte (2021) hochgejazzt. Ein verhängnisvoller Irrweg, vor dem viele Expert:innen warnten, aber kein Gehör fanden.
Neue Wertschätzung für heimische Wertschöpfung
Erst seit Klimakatastrophe, Corona-Pandemie und Putins Krieg zur Dreifach-Krise kulminierten, rückte binnen weniger Wochen ins kollektive Bewusstsein, dass Energiesouveränität eine strategische Frage der europäischen und nationalen Sicherheit ist. Die Abhängigkeiten von Importen – seien es Lieferketten, Produkte oder Energieträger – treten mit all ihren Risiken zu Tage. Auf einmal erhalten heimische Wertschöpfungsketten einen ganz neuen Stellenwert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck konstatiert das Scheitern des langjährigen Trends zu immer mehr Markt und Globalisierung: „Diese Entwicklung ist eindeutig am Ende.“ Er wirbt nun für den Aufbau einer „Resilienzinfrastruktur“ und ein gezieltes Zurückholen der Produktion kritischer Komponenten.
Das Kostensenkungspotenzial der Erneuerbaren hat als Leitmotiv deutscher Energiepolitik ausgedient. Ohnehin sind Sonne und Wind mittlerweile die wettbewerbsfähigsten Energiequellen überhaupt. An sonnigen oder stürmischen Tagen bekommt man den Strom an der Börse quasi geschenkt. Die Rekordpreise der jüngsten Zeit fielen hingegen stets mit hoher fossiler Stromproduktion zusammen. Kein Wunder, dass Elektroauto-Hersteller, große Serverfarmen, energieintensive Chemieunternehmen und Batteriezellproduzenten neue Standorte dort ansiedeln, wo grüner Strom günstig produziert werden kann. Schließlich sind deren Produkte nur dann wirklich nachhaltig, wenn sie mit erneuerbaren Energien hergestellt werden.
Angesichts der aktuellen Krisen wird offensichtlich, dass Energiesouveränität und heimische Produktion von Energieerzeugungsanlagen ihren eigenen volkswirtschaftlichen Wert haben. Weitere Kostensenkungen der Erneuerbaren wirken kontraindikativ, wenn sie am Ende nur durch Verluste bei den Anlagenherstellern und weitere Verlagerung der Zuliefererkette in ferne Billiglohnländer realisiert werden können. Europa kann und muss seine Wertschöpfungsketten wieder unabhängiger gestalten.
Diese Unabhängigkeit gilt es durch eine strategische Industriepolitik seitens der EU und der Bundesregierung zu schützen und zu festigen. Als Basis braucht es dazu einen starken Heimatmarkt und stabile heimische Produktionskapazitäten. Nur dann können europäische Unternehmen wichtige und kritische Technologien in Europa entwickeln beziehungsweise halten und als Hersteller zu alter Stärke zurückkehren.
Beschleunigung erfordert zusätzliche Projekte
Zugleich muss bei der Produktion von Windenergieanlagen der Turbo gezündet werden. Doch in der andauernden Krise können die Hersteller nicht mit massiver Produktionssteigerung in Vorleistung gehen. Eine Lagerhaltung von Rohstoffen und Vormaterialien für Windenergieanlagen oder gar deren Produktion „auf Halde“ sind durch den Kostensenkungsdruck der vergangenen Jahre unmöglich geworden. Die Rohstoffpreisentwicklung und unkalkulierbare Risiken in der Liefer- und Transportkette haben maßgebliche Auswirkungen auf der Kostenseite, die fair über die Wertschöpfungskette verteilt werden müssen.
Für eine erfolgreiche Beschleunigung des Windenergie-Ausbaus sind schnelle Genehmigungsverfahren und konkrete zusätzliche Projekte unvermeidlich. Mit einem zügigen, planbaren Bestelleingang und rascher Projektrealisierung lassen sich Risiken in der Produktion am besten begrenzen. Unabwendbare Mehrkosten müssen indes in die Anlagen eingepreist oder staatlich abgesichert werden, etwa durch eine Koppelung der gesetzlichen Vergütung an relevante Rohstoffpreis-Indizes.
Ein schneller Ausbau der Erneuerbaren ebenso wie technologische Innovation sind die Garanten für Unabhängigkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie. Beide erfordern jedoch eine wirtschaftliche Stärke der heimischen Windindustrie, die den schnellen Ramp-up gewährleisten muss und dabei Innovationstreiber bleiben will.