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Energie & Klima

Standpunkte Alle anpacken für jährlich 10.000 Megawatt Windkraft

Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe
Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe Foto: Deutsche Umwelthilfe

Am morgigen Mittwoch wird der Windgipfel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) stattfinden. Wie zuvor beim PV-Gipfel sollen bei dem Treffen Eckpunkte einer Strategie entwickelt werden. Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe, begrüßt den Gipfel und sieht das BMWK damit auf dem richtigen Kurs. Schlecht sei aber, dass Offshore außen vor bleibe.

von Constantin Zerger

veröffentlicht am 21.03.2023

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Wäre die Windenergie in Deutschland ein Patient, sie läge halbtot auf der Intensivstation. Nach 16 Jahre Palliativbehandlung braucht sie nach ihrem Zusammenbruch 2019 endlich eine Therapie, die die Ursachen des Übels anpackt. 2022 gab es immerhin einen Nettozubau von 2,1 Gigawatt, das Doppelte im Vergleich zum Tiefpunkt 2019 mit 958 Megawatt. Die Bundesregierung und maßgeblich das BMWK haben erste lebenserhaltende Maßnahmen ergriffen, unter anderem mit dem Wind-an-Land-Gesetz und dem überragenden öffentlichen Interesse an Erneuerbaren Energien. Damit ist der Patient erst einmal stabilisiert – nun aber steht eine Reha und ein Wiederaufbauprogramm an.

Bisher kommt der Windenergieausbau nur schleppend in Gang: In der letzten Ausschreibung im Februar wurden von ausgeschriebenen 3,2 GW nur 1,4 GW bezuschlagt. Auch bei den Genehmigungen sieht es düster aus: Nur 400 MW neue Leistung wurden in den ersten zwei Monaten 2023 genehmigt. Für die Erreichung des gesetzlich vorgegebenen Zielwertes von 10.000 GW jährlich wären für den Zeitraum jedoch 1700 MW nötig gewesen.

Gemeinsame Kraftanstrengung vonnöten

Darüber hinaus verteilen sich Zubau und Genehmigungen immer noch deutlich entlang des Nord-Süd-Gefälles: Besonders der verbrauchsintensive Süden fällt weiter zurück und riskiert zunehmend eine wachsende Gefahr für ansässige Wirtschaftsstandorte. Umso dringender gilt es daher sofort, ein gezieltes Aufbauprogramm mit Fokus auf beschleunigte Genehmigungsverfahren und einer kurzfristigen Flächenmobilisierung aufzulegen, um der Branche zu ihrer alten Größe zu verhelfen. Nur so schaffen wir es, die deutschen Klimaziele einzuhalten.

Der Windgipfel kann hier die nötigten Impulse für die Reha-Maßnahmen setzen. Richtigerweise sind zum Gipfel sowohl die Länder als auch die Bundesministerien geladen, deren Geschäftsbereiche berührt werden. Zwischen den Ministerien wurde bereits im Vorfeld des Windgipfels versucht Einigungen in strittigen Fragen zu finden. Demensprechend hoch sind die Erwartungen, dass die beteiligten Akteure das Spielfeld am 22. März als Team betreten und gemeinsam ein Fitness-Programm vorlegen.

Die Haltung der DUH ist eindeutig: Alle Ministerien und Länder müssen erkennbar für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien, insbesondere der Windkraft einstehen. Das überragende öffentliche Interesse der Erneuerbaren ist existentiell für unsere nationale, energiepolitische Unabhängigkeit und damit für unsere Sicherheit und Freiheit in Deutschland.

Anknüpfen an positiven Moment des Solargipfels

Die Reaktionen und ersten Bewertungen der Solarstrategie und des zugehörigen Gipfels waren weitgehend positiv. An diesen Erfolg müssen Bundesregierung, Länder und Ministerien anknüpfen und in Sachen Wind strittige Blockaden aus dem Weg räumen. Potentiale zur Beschleunigung gibt es genug: Die DUH sieht dabei insbesondere die schnelle Mobilisierung von Flächen und die Entfesselung der Genehmigungspraxis als zentrale Bausteine eines Aufbauprogramms, ansonsten steht alles andere auf extrem wackeligen Beinen. Es braucht daher eine Ausweisung der im Windflächenbedarfsgesetz beschlossenen Flächenbeitragswerte bis 2025 und eine Genehmigungshöhe von 10 GW in diesem Jahr.

Daran anschließende Bausteine wären unter anderem die Ermöglichung von Repowering ohne großen zusätzlichen Genehmigungsaufwand, die Klarstellung des überragenden öffentlichen Interesses im Verhältnis zum Denkmalschutz, die generelle Planungsbeschleunigung und die Standardisierung und Vereinfachung von Transportverfahren.

Die EU-Notfallverordnung gibt uns die notwendigen Werkzeuge an die Hand – jetzt müssen wir diese konsequent und pragmatisch anwenden, und zwar im Bund, in allen Ländern und in allen Ministerien. Eine gemeinsame Anstrengung über verschiedene Ressorts und Handlungsebenen hinweg kann der Schlüssel dazu werden, ein umfangreiches Aufbauprogramm zu vereinbaren und den Patienten zu neuer Höchstleistung zu befähigen. Wir brauchen ein Rekordtempo für die Windenergie.

Windgipfel für Wind Offshore gefordert

Der Windausbau auf See wird leider beim morgigen Windgipfel nicht berücksichtigt. Die Herausforderungen sind sicherlich andere als bei Wind an Land, dennoch wäre eine nationale strategische Befassung mit dem meeresseitigen Ausbau der Windenergie dringend notwendig. Vor allem die anderen betroffenen Ministerien müssen umgehend mit an Bord genommen werden, um die immensen Aufgaben für den Ausbau der Windenergie auf See zu verstehen und sich dahinter zu versammeln. Die Nordsee-Anrainer müssen so früh wie möglich mitgenommen werden. Eine Initiative zum Ausbau der Offshore-Windenergie muss mit allen angrenzenden Ländern gemeinsam gestartet werden, auch um ausreichende Flächen unter der Wahrung des Meeresschutzes zu akquirieren.

Es irritiert uns, dass die Offshore-Windenergie beim Windgipfel ausgeladen ist, zumal uns bislang keine Informationen zu einem entsprechenden Prozess vorliegen. Ein Prozess ist nur auf europäischer Ebene mit den Nordseeanrainerstaaten erkennbar. Damit die Beschleunigung der Windenergie auf See jetzt starten kann, braucht neben einer Solar- und Wind-, auch eine Offshore-Strategie. Diese muss im Einklang mit der neuen Meeresschutzstrategie stehen. Dafür brauchen wir zeitnah einen weiteren Gipfel, der alle Beteiligten für die Umsetzung der 70 GW auf See zusammenbringt.

Constantin Zerger ist Leiter des Bereichs Energie und Klimaschutz der Deutschen Umwelthilfe (DUH).

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