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Energie & Klima

Standpunkte Leben und leben lassen: Deutsch-französische Kooperation in der EU-Energiepolitik

Philipp Jäger, Jacques Delors Centre
Philipp Jäger, Jacques Delors Centre Foto: Jacques Delors Centre

Deutschland und Frankreich sind in vielen europäischen Energiefragen zerstritten. Vor allem unterscheiden sich die Strategien bei der Stromerzeugung und damit der Kernkraft. Auch die Staatstraditionen zeigen in unterschiedliche Richtungen. Philipp Jäger vom Jacques Delors Centre legt in seinem Standpunkt dar, warum die Gemeinsamkeit der Transformationsherausforderung die beiden Länder trotzdem produktiv zusammenbringen sollte.

von Philipp Jäger

veröffentlicht am 18.09.2023

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Europäische Energiepolitik war noch nie einfach. So hitzig wie in den vergangenen 18 Monaten ging es in der EU aber bisher selten zu, und die negativen Folgen werden immer deutlicher: Die europäische Strommarktreform läuft zu schleppend, der Ausbau der Netze stockt, und Europas Vorsprung bei sauberem Wasserstoff droht verloren zu gehen. Die Liste ließe sich fortführen.

Auf den ersten Blick scheint nachvollziehbar, dass bei vielen Themen gestritten wird. Schließlich steht gerade besonders viel auf dem Spiel. Die Politik muss endlich greifbare Fortschritte bei den Klimazielen erreichen und Europa vollständig von russischer Energie abkoppeln. Gleichzeitig sollen die Energiepreise sinken, um Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger zu entlasten und zu verhindern, dass an den Wahlurnen radikale Kräfte profitieren.

In dieser komplexen Gemengelage leistet die EU bereits heute viel. Denn auch dank europäischer Koordinierung, wie bei der Füllung der Gasspeicher, und der Gewissheit, dass sich EU-Nachbarländer bei Energieknappheit solidarisch zeigen würden, kam die EU bisher einigermaßen glimpflich durch die Energiekrise. Zur Wahrheit gehört aber auch: Es reicht nicht. Gemessen an den Herausforderungen ist die EU-Energiepolitik weder effektiv noch schnell genug.

Zahlreiche deutsch-französische Konfliktfelder

Ein zentraler Grund dafür liegt in den Uneinigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich. Bei fast allen Energiedossiers geraten Paris und Berlin gerade aneinander: Bei der Strommarktreform will Frankreich die europäische Erlaubnis, bestehende Nuklearkraftwerke staatlich stärker zu unterstützen; Deutschland lehnt dies ab. Deutschland will massiven Netzausbau in Europa, um Energie importieren zu können; Frankreich setzt auf Energiesouveränität und heimische Produktion. Frankreich will zur Produktion von sauberem Wasserstoff Atomkraft einsetzen dürfen; Deutschland ist zu Zugeständnissen kaum bereit.

Diese Konflikte lähmen Europa. Das deutsch-französische Tandem prägt die Richtung der EU, und solange Berlin und Paris energiepolitisch in unterschiedliche Richtungen zerren, wird es nicht vorangehen. Die gute Nachricht: Bessere Kooperation ist durchaus möglich, denn Frankreich und Deutschland sind in zentralen Aspekten deutlich näher beieinander, als die tagespolitischen Konflikte suggerieren.

Auf den ersten Blick scheinen Deutschland und Frankreich energiepolitisch in unterschiedlichen Welten zu leben: links des Rheins Kernkraft, rechts davon Wind, Solar und in der Übergangszeit Kohle und Gas. In der Tat produzierte Frankreich letztes Jahr über 60 Prozent seines Stroms mit Atomkraftwerken, Deutschland dagegen mittlerweile gar keinen mehr.  Entsprechend verhärtet wirkt die Lage, und gemeinhin wird unterstellt: Wer aus so unterschiedlichen Richtungen kommt, kann kaum an einem Strang ziehen.

Der Energiemix ist nicht alles

Doch die Unterschiede im Strommix sind aus zwei Gründen weniger aussagekräftig, als sie scheinen. Erstens wird der Anteil von Solar- und Windenergie in den kommenden Jahren auch in Frankreich massiv zunehmen. Der Strombedarf steigt und Atomkraft ist zu teuer und hat zu lange Planungshorizonte, um ihn voll zu decken. Die Systeme in Frankreich und Deutschland nähern sich also an. Zweitens erfordert die Energiewende enorme Transformationsbemühungen jenseits der Stromerzeugung. Heizungen müssen ausgetauscht, Fahrzeugtypen geändert, Gebäude renoviert und Industrieprozesse umgestellt werden. Diese Herausforderungen sind in Deutschland und Frankreich ähnlich.  

Tatsächlich eint Paris und Berlin also mehr als sie trennt. Für die europäische Energiepolitik ist das eine Chance. Deutschland und Frankreich sollten sie in drei Schritten nutzen.

Erstens sollte Pragmatik, nicht Ideologie, die deutsch-französische Zusammenarbeit leiten. Es stimmt zwar, dass gewisse polit-ideologische Differenzen bestehen. Frankreich ist zum Beispiel schneller bereit, staatlich steuernd in die Energiemärkte und -erzeugung einzugreifen. Deutschland neigt dagegen in ordoliberaler Tradition dazu, puristischer auf Marktkräfte zu setzen. Paris legt darüber hinaus größeren Wert auf Energiesouveränität und somit inländische Energieproduktion, während Berlin bereit ist, große Mengen an Energie zu importieren.

Aber am Ende wollen sowohl Frankreich als auch Deutschland dasselbe: billige, saubere, resiliente Energie.  Deutschland ist dafür durchaus bereit, stärker in die Märkte einzugreifen – Stichwort „Doppelwumms“ – und Frankreich wird billige Energieimporte nicht auf dem Altar einer zu eng verstandenen Souveränität opfern. Den politischen Auseinandersetzungen würde etwas weniger Theatralität daher guttun. Wer sich weniger dogmatisch gibt, findet leichter zu Kompromissen.

Respekt und Positivagenda sind notwendig

Zweitens sollten Paris und Berlin bei der Atomkraft der Devise „Leben und Leben lassen“ folgen. Debatten über Sinn und Unsinn der Atomkraft führen auf europäischer Ebene nicht weiter, denn Frankreich wird die Atomkraft nicht aufgeben, und Deutschland nicht wieder einführen. In der EU hat jedes Land das Recht, selbst zu bestimmen, aus welchen Quellen sein Strom generiert wird, was sich auf absehbare Zeit nicht ändern wird.

Deshalb sollten die Regierungen die unterschiedlichen Ansätze respektieren. Für Deutschland heißt das, zähneknirschend darauf zu verzichten, der Atomkraft in EU-Vorhaben aus Prinzip Steine in den Weg zu legen. Strom aus Atomkraft und aus erneuerbaren Quellen sollten im europäischen Markt unter analogen Bedingungen miteinander konkurrieren. Dies würde beispielsweise dazu führen, dass in EU-Bestimmungen Wasserstoff, der mit Atomstrom hergestellt wird, nicht allein deshalb schlechter gestellt wäre. Stattdessen würde Wasserstoff anhand anderer Kriterien, wie seiner CO2-Bilanz, bewertet, und statt andauernden Zankereien könnte der Wasserstoffhochlauf in Europa durchstarten.

Drittens sollte deutsch-französische Energiepolitik nicht nur Feuer löschen, sondern auch eine Positivagenda verfolgen. Ein Beispiel dafür könnte die Harmonisierung staatlicher Unterstützung der energieintensiven Industrie sein, um Europa als Wirtschaftsstandort attraktiv zu halten. In Deutschland wird hierfür gerade ein nationaler Industriestrompreis diskutiert, der aber zu Verzerrungen im Binnenmarkt führen könnte (da nur reiche EU-Länder dafür die Finanzkraft hätten).

Auch Frankreich versucht, billige Strompreise für die heimische Industrie durchzusetzen, will dieses Ziel aber über kontroverse Ausnahmen bei der europäischen Strommarktreform erreichen. Hier könnten Berlin und Paris deshalb gemeinsam vorangehen und ein durchdachtes, europäisch koordiniertes Instrument vorschlagen, das die Nachteile der jeweiligen nationalen Ansätze umgeht.

Über den eigenen Schatten springen

Die beiden Regierungen behaupten regelmäßig, ihre Kooperation in der Energiepolitik stärken zu wollen. Erst letzte Woche hoben Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner dies in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Wirtschaftsminister Bruno Le Maire wieder hervor. Doch das wird nur mit der – bisher fehlenden – Bereitschaft gelingen, die angeführten drei Punkte beherzt umzusetzen.

Beim nächsten hochrangigen Treffen, beispielsweise bei einem Staatsbesuch von Präsident Emmanuel Macron in Deutschland, sollten sie deshalb die klare Botschaft senden: Paris und Brüssel setzen sich ein für eine europäische Energiepolitik, die gekennzeichnet ist von Pragmatismus, positiven Initiativen und dem Willen, über nationale Schatten zu springen. Damit würden Deutschland und Frankreich endlich schlagkräftige EU-Energiepolitik ermöglichen, statt mit angezogener Handbremse in die größte Transformation der Gegenwart zu starten.

Philipp Jäger ist Policy Fellow am Jacques Delors Centre, einem akademischen Think-Tank, der an die Berliner Hertie School angegliedert ist.

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