Der Erfolg der ersten Phase der Energiewende bemisst sich vor allem an dem rapiden Ausbau erneuerbarer Energien und den stark gesunkenen Stromgestehungskosten. Jetzt, in der zweiten Phase der Energiewende geht es darum, die positive Entwicklung im Strombereich fortzusetzen und die Sektoren Wärme und Verkehr ebenfalls zu dekarbonisieren. Dabei werden Technologien wie z.B. die Elektromobilität, Wärmepumpen oder PtX einen zusätzlichen Strombedarf nach sich ziehen. Und für all das müssen auch die benötigten Erneuerbaren Energien und die entsprechenden Finanzmittel mobilisiert werden.
Die Energiewende ist von Innovationen getrieben, systemisch und im besten Sinne disruptiv. In diesem Sinne können langfristige Lieferverträge für grünen Strom (Corporate Green Power Purchase Agreements – PPAs) eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Herausforderungen der zweiten Phase der Energiewende spielen. Dies ergab eine breit angelegte Dena-Umfrage unter allen relevanten Marktakteuren. Großabnehmer aus Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen betrachten PPAs mehrheitlich als Möglichkeit, Strom auf Basis erneuerbarer Energien langfristig zu stabilen Preisen zu beziehen und gleichzeitig die eigenen Produktionsprozesse zu dekarbonisieren. Allein deshalb kommen wir bei der Dena zu einer anderen Bewertung von PPAs als Christian Schaudwet in seinem Beitrag vom 10. September 2019 im Tagesspiegel Background, auch wenn zentrale Fragestellungen darin richtigerweise benannt werden. Dabei bestätigt der Blick ins Ausland das enorme Potenzial von PPAs für grünen Strom.
Alternative Geschäftsmodelle für Altanlagen
Zunächst wurde die Diskussion in Deutschland vor allem mit Blick auf den Weiterbetrieb von Post-Erneuerbare-Energien-Gesetz-Anlagen geführt. Schließlich werden bis 2030 Erneuerbare-Energien-Anlagen mit einer Kapazität von über 50 Gigawatt aus der EEG-Förderung fallen. Allein in 2021 könnten so Windanlagen mit einer Leistung von mehr als acht Gigawatt stillgelegt werden. Überdies limitiert das Genehmigungsrecht das Repowering, da es in vielen Fällen den Wechsel zu Anlagen mit höheren Nabenhöhen untersagt. Solange bestehende Flächen nicht schnell genug neu ausgewiesen werden, bieten alternative Geschäftsmodelle wie PPAs die Möglichkeit, Altanlagen, die nicht Repowering-geeignet sind, länger am Markt zu halten. Und das ist dringend erforderlich.
Im Rückgriff auf eine kürzlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung publizierte Studie greift der Beitrag die Mehrkosten auf, die über PPAs in Deutschland gegenüber EEG-finanzierten Anlagen entstehen würden. Mit Blick auf Großabnehmer stellt er zudem heraus, dass 20-jährige Stromlieferverträge gerade für energieintensive Industriezweige wie Stahlhersteller im Kontext ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit nicht geschlossen werden.
Abgesehen davon, dass das deutsche Kartellrecht bisher entsprechende Verträge nur für maximal fünf Jahre zulässt, lohnt sich der Blick in europäische Nachbarländer: Pionier ist hier der norwegische Aluminiumherstellte Norsk Hydro, der eines der längsten PPAs mit einer Laufzeit von 29 Jahren mit einem schwedischen Windpark (235 Megawatt) geschlossen hat. Das energieintensive Unternehmen mit 35.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steht im internationalen Wettbewerb und hat sich auf „low carbon aluminium“ spezialisiert.
Industrielle Abnehmer zeigen Interesse
Der Dena-Marktmonitor 2030 zu Green Corporate PPAs zeigt, dass auch in Deutschland Großabnehmer aus Industrie und Gewerbe ein Interesse am Bezug grüner Energie haben. Grüne Energie ist also bereits heute sowohl unter ökonomischen als auch ökologischen Gesichtspunkten Teil vieler Unternehmensstrategien. Neben der Preisabsicherung spielen die Herkunftsnachweise hier eine zentrale Rolle.
Greift man das Argument der Mehrkosten gegenüber einem PPA mit dem Staat in Form eines EEG auf, ist klar, dass die Risikobewertung der Finanzierer für Verträge mit privatwirtschaftlichen Unternehmen höher ausfällt. Doch sowohl international als auch national sind Wirtschaft und Finanzsektor bereit, in erneuerbare Energien zu investieren und entsprechende Verträge zu schließen, nicht zuletzt auch um den Strom als Grünstrom ausweisen zu können und nicht als „grauen EEG-Strom“. In Deutschland stellen die fehlenden Erfahrungswerte und fehlende Transparenz im Markt unter allen Marktakteuren eine zentrale Hürde für die breite Etablierung von PPAs dar.
Gleichzeitig sichert dieses Geschäftsmodell die Akzeptanz, da die EEG-Umlage für die Endverbraucher sinkt und den von der EEG-Umlage befreiten Unternehmen die Möglichkeit gegeben wird, sich an der Energiewende zu beteiligen.
Nachfragegetriebener Potenzialmarkt
Hinsichtlich der künftigen Rahmenbedingungen für PPAs in Deutschland und des Verhältnisses von staatlicher Förderung zum marktgetriebenen Ausbau stellt sich hier nicht die Frage nach dem „Entweder Oder“. Vielmehr geht es darum, einen nachfragegetriebenen Potenzialmarkt in Deutschland zu befördern, der einen Beitrag zu Erreichung des 65 Prozent-Ziels leisten kann und gleichzeitig zusätzliche Finanzmittel für den Ausbau der erneuerbaren Energien mobilisiert. In Deutschland wurden bereits erste PPAs für Photovoltaikanlagen im Neuanlagen-Segment geschlossen Um aus dem Potenzialmarkt einen tatsächlichen Markt zu machen, müssen die Rahmenbedingungen optimiert werden.
Auch wenn die sonstige Direktvermarktung über das EEG generell den Bezug von Grünstrom ermöglicht, muss sich das System aus Umlagen, Steuern, Abgaben sowie Kompensationen anpassen, um PPAs für alle Marktakteure attraktiv zu gestalten. Ein Beispiel ist die Strompreiskompensation, die falsche Akzente für energieintensive Industrien setzt, indem bei Bezug von Strom über Green PPAs ein Verlust der Strompreiskompensation droht. Die bestehenden kartellrechtlichen Vorgaben, die den Abschluss von PPAs über eine Dauer von fünf Jahren nahezu unmöglich machen, sind ein weiteres Hemmnis und erschweren die Finanzierung von neuen Projekten.
Unerschlossene Marktpotenziale heben
In Deutschland haben wir uns das 65-Prozent-Ziel gesetzt. Auf europäischer Ebene wird die Vision eines „European Green Deal“ entwickelt und die REDII soll sicherstellen, dass PPAs eine Rolle in den Mitgliedsstaaten spielen. Es gibt viel zu tun. Zusätzliche Investitionen neben dem EEG-getriebenen Ausbau müssen gewonnen und unerschlossene Marktpotenziale gehoben werden, um die gesetzten Ziele kosteneffizient zu erreichen. Denn bereits heute stellen die offiziellen Ausbauziele des EEG nicht die Erreichung der Pariser Klimaschutzziele sicher. Dies muss vor den Entscheidungen des Klimakabinetts am 20.9. bedenklich stimmen. Die Bundespolitik muss mit den neuen Herausforderungen der zweiten Phase der Energiewende umgehen und einen neuen attraktiven Rahmen für die Marktakteure etablieren.
Corporate Green PPAs können einen wichtigen Beitrag leisten, wenn die Politik die Zeichen der Zeit erkennt und den Rahmen für die Energiewende weiterentwickelt. Darum ging es bereits vor rund 20 Jahren, als das EEG in Deutschland eingeführt wurde.