In einem Punkt sind sich die Parteien im Bundestagswahlkampf einig: Die Strompreise müssen sinken. Das ist gut für Industrie, Haushalte und die Energiewende. Die Rezepte dafür sind bei Union, SPD, Grünen und FDP nahezu identisch: Senkung der Stromsteuer auf das europäische Minimum und Senkung der Netzentgelte. Beide Maßnahmen sind in der aktuellen wirtschaftlichen Situation angemessen. Sie würden allein Privathaushalte um bis zu 12 Milliarden Euro pro Jahr entlasten. Hinzu kämen Milliardeneinsparungen für die Industrie.
Den größten Hebel zu dauerhaft niedrigen Strompreisen lassen alle Parteien außer Acht: die Senkung der Systemkosten. Denn nicht die Energiewende ist teuer, sondern das Energiesystem. Mit mutigen Reformen können Milliardeneinsparungen erzielt und die Energiewende beschleunigt werden.
Schlanker und leistungsfähiger Netzbetrieb
Deutschland leistet sich einen Flickenteppich von 867 Verteilnetzen und vier Übertragungsnetzen. Diese Struktur ist ineffizient und teuer. Große Netzbetreiber arbeiten deutlich effizienter als kleine. Die überwiegend kleinen Betreiber sind in der Regel mit den Anforderungen der Energiewende überfordert, etwa bei der Digitalisierung und beim Netzanschluss.
Das zeigen unter anderem die Auswertungen der Bundesnetzagentur zum Smart-Meter-Rollout – kleine Netzbetreiber verfehlen die Rollout-Ziele deutlich. Die neue Regierung muss den operativen Betrieb der Verteilnetze in leistungsstarke Cluster zusammenfassen. Dabei muss die in der Regel kommunale Eigentümerstruktur nicht zwingend verändert werden.
Eine Blaupause für die Lösung hat die Netzbranche selbst schon geliefert. Für die Netzplanung wurde Deutschland in sechs Regionen aufgeteilt. So könnte es in Zukunft laufen: sechs Netzregionen, die gut koordiniert mit einheitlichen Standards und Ansprechpartnern die Digitalisierung vorantreiben. Auch die Zusammenfassung der bisher vier Übertragungsnetze zu einer Regelzone würde unnötige Kosten vermeiden. So könnten pro Jahr 8 bis 10 Milliarden Euro eingespart, die Netzentgelte gesenkt und die Energiewende beschleunigt werden.
Wettbewerbsferne Stromtarife unterbinden
Rund 10 Millionen Haushalte beziehen einen wettbewerbsfernen Grundversorgungstarif vom regional größten Energieanbieter. Laut EU-Recht soll die Grund- und Ersatzversorgung die unterbrechungsfreie Energielieferung an schutzbedürftige Kund*innen sichern. Gemeint sind damit zum Beispiel einkommensschwache Haushalte, die sich keinen gängigen Energietarif leisten können. In Deutschland ist das Gegenteil der Fall: Grundversorgte Haushalte müssen besonders tief in die Tasche greifen. Diese Tarife sind im Jahr durchschnittlich 600 bis 800 Euro teurer als die Angebote des Wettbewerbs. Eine Folge: Die Grundversorger sind für drei Viertel aller Stromsperren verantwortlich.
Die Grundversorgung muss künftig auf ihre Kernfunktion der Ersatzversorgung reduziert und – wie zum Beispiel in Österreich – wettbewerblich organisiert werden. Damit können insbesondere einkommensschwache Haushalte rund 7 Milliarden Euro brutto pro Jahr sparen.
Dynamische Tarife flächendeckend ermöglichen
Die Zukunft gehört den dynamischen Stromtarifen, am besten gekoppelt mit variablen Netzentgelten. Sie schaffen für Haushalte finanzielle Anreize, ihren Verbrauch an das Stromangebot anzupassen. So sparen sie Kosten und tragen zur Versorgungssicherheit bei. Zudem können Haushalte gegen Preissprünge im Strommarkt abgesichert werden. Ähnliche Modelle sind bei Gewerbekunden etabliert.
Bisher scheitert die Einführung dynamischer Tarife am verkorksten Smart-Meter-Rollout. Deutschland zählt bei dieser Technologie zu den Schlusslichtern in Europa. Hauptgrund für das Versagen ist die regulatorische Überkomplexität des Rollouts. Hier hilft nur eine deutliche Vereinfachung der gesetzlichen Vorgaben, die ohne Verlust an Sicherheit möglich ist. Mit dynamischen Tarifen können Standardhaushalte in Summe mindestens eine Milliarde Euro pro Jahr sparen, Prosumer mit Elektroauto, Solarspeicher, Wärmepumpe deutlich mehr.
Wettbewerb an der Strom-Ladesäule
Noch einmal deutlich teurer als für Haushalte und Unternehmen ist der Strom für E-Autofahrer*innen. Sie zahlen an öffentlichen Ladesäulen Aufschläge von bis zu 200 Prozent. Hauptgrund dafür ist das Roaming. Die hohen Ladepreise erinnern an die Fehlentwicklungen in der Telekommunikation der 1990er Jahre, die der Gesetzgeber später korrigiert hat.
Anders als beim Tanken gibt es beim Laden keinen wirksamen Wettbewerb zwischen Ladesäulenbetreibern. In den Regionen haben sich natürliche Monopole gebildet. Deshalb braucht es einen freien Zugang für Stromanbieter zu öffentlichen Ladesäulen gegen ein reguliertes Entgelt (Durchleitung). Die Durchleitung ist bereits bei der Ausschreibung für die Ladeinfrastruktur von E-LKW vorgeschrieben, um eine Kostenexplosion im E-Güterverkehr zu vermeiden. E-Autofahrer*innen sparen so rund 200 Millionen Euro pro Jahr, Tendenz mit zunehmender Verbreitung von Elektroautos stark steigend.
Versorgungssicherheit im Markt organisieren
Wenn die Parteien sinkende Strompreise versprechen, verschweigen sie, dass bereits Pläne für eine neue Umlage in der Schublade liegen, die Strom weiter verteuern würde. Sie soll staatlich geplante Gaskraftwerke finanzieren. Die fossilen Kraftwerke sollen die Versorgung sichern, wenn zu wenig Wind- und Sonnenstrom erzeugt wird. Es ist ein Konzept aus der alten, zentralen und fossilen Energiewelt.
Versorgungssicherheit kann günstiger und sauberer über den Markt sichergestellt werden. Zudem wird der Ausbau des europäischen Strommarktes entscheidend sein, um lokale Engpässe kostengünstig auszugleichen.
Deutschland stehen bis 2030 rund 300 Gigawatt, bis 2045 sogar rund 700 Gigawatt flexibler Leistung zur Verfügung unter anderem aus Elektroautos, Großbatterien, Heimspeicher, (Groß-)Wärmpumpen. Dieses Potential gilt es optimal im Sinne der Versorgungssicherheit auszuschöpfen. So entlasten zum Beispiel Großbatterien in Co-Location mit Solar- und Windparks die Netze. Im Flexibilitätsmarkt entwickeln sich neue Geschäftsmodelle – zum Beispiel für die Markteinbindung von Elektroauto-Batterien.
Sicher braucht Deutschland auch noch „fossile Hosenträger“ – eine überschaubare Kraftwerksreserve. Aber dazu sind keine neuen Kapazitätssubventionen erforderlich. Schätzungen des DIHK gehen davon aus, dass ein Kapazitätsmarkt rund 5 Milliarden Euro pro Jahr kosten würde. Diese Mehrkosten können durch einen marktbasierten Ansatz vermieden werden.
Die genannten Reformen würden Privathaushalte insgesamt um über 20 Milliarden Euro pro Jahr entlasten, hinzu kämen zweistellige Milliardeneinsparungen für Unternehmen. Wer die Stromkosten dauerhaft senken und so auch große Hürden bei der Energiewende aus dem Weg räumen will, muss im besten Sinne des Wortes „radikaler“ denken und das Energiesystem weiterentwickeln.