Die deutsche Wirtschaft wächst in diesem Jahr nicht. Davon gehen der Internationale Währungsfonds (IWF), das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und nun auch die OECD aus. Die OECD-Experten prognostizieren für Deutschland in diesem Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent.
Daneben zeichnet sich in der Bundesrepublik entgegen dem Trend in anderen großen Industriestaaten der Prozess einer schleichenden Deindustrialisierung ab. Ein Beispiel dafür: Der Chemiekonzern BASF baut 2500 Arbeitsplätze in Ludwigshafen ab. Die Anlagen lohnen sich wirtschaftlich einfach nicht mehr. Der hohe Strompreis ist neben hohen Zinsen und dem schwachen Export einer der Hauptgründe für das Schrumpfen der deutschen Wirtschaft – und damit für die Deindustrialisierung.
Subventionierung des Strompreises nur kurzfristige Lösung
Was den hohen Strompreis in Deutschland angeht: Angesichts der politischen Situation nach dem Aus der Nukleartechnologie gibt es nur wenige Stellschrauben zu drehen. Die Rufe von SPD- sowie Grünen-Politikern mögen auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen: Ein Industriestrompreis soll deutsche Unternehmen so lange finanziell unterstützen, bis die Kosten für erneuerbare Energie in Deutschland sinken und so im EU-Vergleich wettbewerbsfähig sein werden.
Die Absenkung der Stromsteuer auf das EU-Minimum von 0,05 Cent pro Kilowattstunde wäre jedoch nachhaltiger als ein Industriestrompreis, da diese Reduzierung neben Unternehmen auch Haushalte entlastet. Daneben wäre die Reduktion der Netzentgelte eine weitere Möglichkeit, den Strompreis zu senken.
Aktuell setzt sich der Strompreis aus diesen drei Faktoren zusammen: 27 Prozent Steuern und Abgaben, 20 Prozent Netzentgelte sowie 53 Prozent für die Energieerzeugung. Bei Steuern und Abgaben sowie Netzentgelten wäre eine Absenkung genauso schnell realisierbar, wie die Einführung eines subventionierten Strompreises. Es müsste politisch nur gewollt sein.
Eine Subvention des Strompreises kann hingegen nur eine kurzfristige Übergangsregelung sein, um unmittelbare Abwanderungseffekte zu vermeiden. Langfristig kann Abwanderung nur dann vermieden werden, wenn eine breite und tragfähige Perspektive günstiger grüner Energie und günstiger grüner Moleküle in Deutschland greifbar ist – also in Form von grünem Wasserstoff.
Import von günstiger Energie und grünem Wasserstoff nachhaltiger
Erneuerbare werden selbstverständlich auch in der Bundesrepublik günstiger. Deutschland ist jedoch nicht der ideale Standort für die Produktion. Daher wird Deutschland auch in Zukunft darauf angewiesen sein, günstige Energie zu importieren.
Deutschland muss daran gelegen sein, seine geografischen Nachteile bei der Produktion Erneuerbarer durch eine Resilienz ausgewogener internationaler Importstrukturen auszugleichen. Das bestätigte Anfang August auch eine Fraunhofer-Studie: Die EU kann bei der Herstellung von Wasserstoff autark sein − falls die Produktion in den EU-Ländern, zum Beispiel Spanien, Frankreich und Norwegen, erfolgen sollte, in denen es sich lohnen würde. Deutschland gehört leider aktuell nicht dazu.
Wasserstoff wird in der EU zweitwichtigster Energieträger nach Strom
Wasserstoff ist zu einem integralen Bestandteil zukünftiger Energieszenarien geworden. Die Notwendigkeit, bis 2050 CO2-neutral zu werden, erfordert nicht nur die Integration von mehr erneuerbaren Energien, sondern auch die Speicherung und den Ausgleich von Kapazitäten. Wasserstoff kann diese Lücke schließen und zur Beschleunigung der Dekarbonisierung beitragen.
Dies bescheinigt auch die Fraunhofer-Studie: Eine fast 100-prozentige Dekarbonisierung der europäischen Energie ist möglich – inklusive der industriellen Transformation. Dabei wird Wasserstoff nach Strom die mit Abstand zweitwichtigste Rolle einnehmen. Gemeinsam werden Wasserstoff und Strom im Jahr 2050 bis zu 80 Prozent des EU-Energiebedarfs abdecken.
Um etwaige Verzögerungen zu vermeiden, müssen wir in der Übergangszeit bis zur CO2-Neutralität in verschiedene Technologien investieren – zum Beispiel in CCS (carbon capture and storage). Für diese Lösung plädieren nun auch die Grünen. Technologievielfalt wird nämlich der Schlüssel sein.
Praktikable Technologie für Deutschland, um Abregelung zu reduzieren
Zu der Technologievielfalt gehören PEM-Elektrolyseure. Diese agieren sehr dynamisch und sind für die Kopplung mit schwankenden Stromquellen ideal. Im Energiepark Mainz kommen solche Elektrolyse-Lösungen bereits erfolgreich zum Einsatz. Diese sind eine praktikable Lösung für die Abregelung: Aufgrund weiterhin nicht ausreichender Netzkapazitäten, erneuerbare Energie zu Zeiten sehr starker Produktion zu speichern, betrugen im letzten Jahr die Kosten für die Abregelung 4,25 Milliarden Euro.
Die Kosten beglichen letztlich alle Bundesbürger über ihre Stromrechnung. Wasserstoff ist der ideale Stromspeicher, um diese Kosten durch Abregelung zu senken. Zur Veranschaulichung: 8,1 Terawattstunden aus erneuerbarer Energie wurden 2022 aufgrund der Abregelung nicht genutzt. Aus dieser Energiemenge hätte man 155.000 Tonnen Wasserstoff herstellen können. Daraus hätte man wiederum drei Millionen Tonnen grünen Stahl produzieren oder 22.000 Stadtbusse in Deutschland (etwa 25 Prozent aller Busse auf deutschen Straßen) betanken können.
Mithilfe von PEM-Elektrolyseuren kann der Strompreis also auch gesenkt werden. Da dies nicht von heute auf morgen erfolgen kann, wäre diese Lösung ein langfristiges, aber dennoch nachhaltiges Projekt. Bei vielen Technologien für Wasserstoff sowie im Allgemeinen bei Lösungen für das Erreichen der CO2-Neutralität sind deutsche Unternehmen Weltmarktführer.
Während manche Firmen solche Lösungen exportieren, importieren andere Wasserstoff oder dessen Derivate, wie Ammoniak. Eine komplett neue Industrie wird dabei in naher Zukunft aus dem Boden gestampft. Dies wird sich auf alle Akteure der deutschen Wirtschaft auswirken − bei gleichzeitiger Einhaltung der EU-Klimaziele. Deutschlands Wirtschaft wird langfristig wachsen, wenn man jetzt die richtigen Weichen für den Hochlauf des Wasserstoffs stellt.
Jorgo Chatzimarkakis ist CEO des Verbandes Hydrogen Europe, der in Brüssel auf europäischer Ebene die Interessen der Wasserstoff-Industrie vertritt.