Wasserstoff als Energieträger der Zukunft steht noch ganz am Anfang. H2 werden viele klima –und energiepolitische Vorteile zugeschrieben. Dann sollte er aber „grün“ sein, also möglichst keine klimaschädlichen Emissionen entlang seiner Herstellung und Verwendung verursachen. Nach den bislang bekannt gewordenen Entwürfen ist das auch Schwerpunkt der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, zudem solle er primär in Deutschland erzeugt werden. Allerdings würde eine solch enge Fokussierung sowohl die notwendige europäische Einbettung einer deutschen Strategie, die langen Vorlaufphasen, als auch die außen- und sicherheitspolitischen Dimensionen des Aufbaus einer Wasserstoffwirtschaft vernachlässigen.
Europäisches Gemeinschaftsprojekt
Die europäische Dimension wird in der deutschen Wasserstoff-Debatte gerne hervorgehoben, zumal mit Blick auf die anstehende EU-Ratspräsidentschaft. Latent scheint aber die Erwartung zu dominieren, der Rest der EU solle bei Förderschwerpunkten, Infrastrukturausbau und Markthochlauf den deutschen Prioritätensetzungen folgen – eine wenig realistische Vorstellung. Zwar existiert bislang noch keine EU-Wasserstoffstrategie. Aber ein Blick auf Projekte in den Nachbarländern und den Entwurf der EU-Kommission für einen europäischen Recovery-Plan zeigen, dass das Farbenspektrum in der EU zunächst über „grün“ hinausgehen wird und auch „blauen“ Wasserstoff auf Erdgasbasis mit CCS umfassen wird. Zumal es in einem ersten Schritt darum gehen wird, jene acht Millionen Tonnen an „grauem“ Wasserstoff (auf Basis von Kohle/Gas ohne CCS) zu ersetzen, die bereits heute in Raffinerien und der Düngemit-telproduktion eingesetzt werden. Dies wird beim Aufbau eines EU-weiten regulatorischen Rahmens für Wasserstoff zu berücksichtigen sein.
Für H2 gilt allerdings Ähnliches wie für den Ausbau der Erneuerbaren: es wird Gewinner und Verlierer geben und die Verfügbarkeit von Technologien entlang der Wertschöpfungskette wird geoökonomische Machtverhältnisse prägen. Deutschland und die EU verfügen über die Technologien, um zu den Gewinnern zu gehören. Jedoch braucht eine Vorreiterrolle keine Alleingänge, sondern eine Reihe von konkreten Partnerschaften.
Gewinner statt Verlierer schaffen
Der Umstieg auf H2 bedeutet einen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen. Die Exporteure fossiler Brennstoffe sind Verlierer der Energiewende, ihr fossilbasiertes Wirtschaftsmodell ist am Ende, mit hohem Destabilisierungspotenzial für Länder und ganze Regionen. Werden diese Länder allerdings eingebunden in die Planung einer sicheren, nachhaltigen und langfristig klimaneutralen Bereitstellung von H2, könnte es gelingen, die Energiewende-typische Gewinner-Verlierer-Systematik zu durchbrechen.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) waren schon Pionier für grünen Strom (aber auch Kernenergie) am Golf und legen nun beim Wasserstoff nach. Das saudische Vorzeigeprojekt ist Neom, eine geplante Retortenstadt mit Riesen-Reallabor – das neben Technologiepark und Wirtschaftszone auch Wasserstoffproduktion umfasst. Die Golfstaaten können die niedrigen Stromkosten aus Sonne und Wind in die Waagschale werfen, die ihnen eine Pole-Position bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff verschaffen.
Russland läge näher, auch weil enge Firmenkooperationen bestehen. Das Land ist größter Exporteur von Öl und Gas in die EU. Gäbe es politischen Willen in Russland und der EU, wäre diese Beziehung prädestiniert für eine schrittweise Dekarbonisierung von Gas und bestehender Infrastruktur. Das russische Beispiel illustriert allerdings die kniffligen Fragen darüber, an welcher Stelle der Gaswertschöpfungskette dekarbonisiert werden soll. Denn der Erdgaskonzern Gazprom setzt weiterhin auf den Export von Erdgas, aus dem erst in Deutschland zu blauem oder türkisem Wasserstoff hergestellt würde. Dagegen beschäftigt sich der russische Atomkonzern Rosatom konkret und vor Ort mit der Erzeugung von Wasserstoff und auch russische Stahlkonzerne proben den Einsatz von Wasserstoff.
Den Petrostaaten eine Perspektive in einem klimaneutralen Energiesystem zu geben verspricht eine dreifache Dividende: beim Heben von Wasserstoffpotenzialen, in der Außenpolitik und fürs Klima; denn sie gehören seit Beginn der internationalen Klimaschutzbemühungen zu den Blockierern stringenter Emissionsminderungen. Allerdings werden Dilemmata offenbar: ihr Farbenspektrum ist breiter und keinesfalls auf grün reduziert.
Energiepolitische Nachbarn bevorzugen
Eins ist klar: die Erwartungen an H2 als Baustein der Energiewende sind groß und die Gründe triftig. Um H2 zum Durchbruch zu verhelfen, müssen Projekte zügig realisiert werden. Das setzt nicht nur marktreife Technologien, sondern auch existierende Partnerschaften, klare Rahmenbedingungen und bestehende Infrastrukturen voraus.
Die Nordsee-Region mit Großbritannien und Norwegen bietet dies alles und beherbergt bereits Pilotprojekte. Insgesamt gilt es, die Nachbarn der EU im Osten und Süden einzubinden, denn hier entscheidet sich Europas Zukunft mit – insbesondere nachhaltige Sicherheit und wirtschaftliche Resilienz des Kontinents. Und ganz konkret könnte die bereits bestehende Kooperation beim Strom mit H2 flankiert werden. Mit der Türkei, dem Westbalkan und der Ukraine sind die Stromnetze (bald) synchronisiert. Die Energieinfrastruktur dort wird ausgebaut; was es braucht, ist ein Transformationsschub. Da ist auch die EU gefragt, ihre eigenen „Projekte von gemeinsamen Interesse“ auf den Prüfstand zu stellen: die EastMed Gaspipeline zum Beispiel ist ein Anachronismus.
Eine Renaissance erlebt auch die Energiekooperation mit den Wüstenstaaten. Der Verband Hydrogen Europe plant 2x 40 GW an Elektrolyse-Kapazität aufzubauen: 40 GW in der EU, 40 GW in der Ukraine und in der MENA-Region. Allerdings ist der Export nur eine Komponente. Marokko etwa möchte Ammoniak nicht mehr importieren, sondern es für seine Düngerproduktion selbst grün herstellen. Der Energie-, Wasser- und Nahrungsmittel-Nexus ist hier ganz offenbar und zu beobachten wird auch sein, ob der Strom für den Eigenbedarf weiter fossil erzeugt wird. Deswegen sollten Deutschland und die EU einen strate-gisch langen Atem beweisen: Es bestehen Energie-Partnerschaften, die KfW ist wichtiger Kreditgeber, aber vor allem muss die bestehende EU-MENA-Governance verschlankt und effektiver gestaltet werden, um europäische Unternehmen vor Ort zu unterstützen und einen Interessenausgleich mit den Partnerländern zu schaffen.
H2 und geoökonomische Rivalitäten
Wasserstoff wird neue Wettbewerbsvorteile schaffen, die internationale Arbeitsteilung verändern, industrielle Verflechtungen und Handelsbeziehungen prägen. Kurzum: Die EU muss ihren Platz in der Geoökonomie des Wasserstoffs behaupten. Deutschland im Alleingang wird dies nicht gelingen. Denn der Hauptkonkurrent China kann von vornherein beim Wasserstoff auf seine Marktgröße setzen. Schon heute ist das Land größter Produzent von aus Kohle gewonnenem Wasserstoff. China ist als Wettbewerber und strategischer Konkurrent bei den Erneuerbaren Energien, bei CSP und den Stromtrassen bereits präsent in der Nachbarschaft, es wird bei H2 folgen.
Die industriepolitischen Implikationen sind in einer Welt geoökonomischer Rivalitäten mit ins Kalkül zu ziehen. Dem Interesse, große Mengen klimaneutralen Wasserstoffs für die eigenen Industrien zu importieren, stehen ureigene Wirtschaftsinteressen potentieller Wasserstoffexporteure entgegen. Russland und Ägypten etwa könnten - statt emissionsarmem Wasserstoff - auch grünen Stahl exportieren. Dem Klima wäre dabei ebenso geholfen, wie ein Know-How-Transfer mit China Treibhausgasemissionen signifikant verringern könnte. In Deutschland und der EU wäre dann eine Güterabwägung vorzunehmen zwischen Klimaschutz und Industriepolitik. Die Debatte über diesen Zielkonflikt wird bislang noch nicht einmal in Ansätzen geführt.
Dr. Kirsten Westphal, Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen, leitet das Projekt »Energiewende und Geopolitik«. Dr. Susanne Dröge ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dr. Oliver Geden ist Leiter der Forschungsgruppe EU / Europa.