Standpunkte Falsche Einschätzung der dezentralen Energiewende

Kürzlich hat das Öko-Institut die Studie „Transparenz Stromnetze – Stakeholder-Diskurs und Modellierung zum Netzausbau und Alternativen“ veröffentlicht. In seinem Beitrag dazu übernahm Background-Redaktionsleiter Jakob Schlandt nach Ansicht von Malte Zieher, Vorstand im Bündnis Bürgerenergie, die Skepsis des Öko-Instituts in Bezug auf die eigenen Ergebnisse. Schlandt habe von gravierenden Bedenken gesprochen, ob ein dezentrales Szenario für den Ausbau erneuerbarer Energien umsetzbar sei.

von Malte Zieher

veröffentlicht am 07.08.2018

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Zieher interpretiert die Studie volkommen anders.

Die Pläne der Übertragungsnetzbetreiber sowie der Bundesregierung sind nicht alternativlos, wie die Berichterstattung in Background über eine Studie des Öko-Instituts jüngst suggeriert hatte. Zwar müsste das Marktdesign für eine beschleunigte Bürgerenergiewende mit einem Kohleausstieg bis 2030 kräftig umgekrempelt werden. Doch statt Vorbehalten sehen wir beim Bündnis Bürgerenergie in einem neuen Marktdesign für eine dezentrale Bürgerenergiewende riesige Chancen.


Die Studie „Transparenz Stromnetze – Stakeholder-Diskurs und Modellierung zum Netzausbau und Alternativen“ des Öko-Instituts zeigt, dass bis 2030 vollständig aus der Kohle ausgestiegen werden kann und erneuerbare Energien mit 85 Prozent an der gesamten Stromerzeugung dann zum dominanten Akteur werden können. Dazu berechnet das Öko-Institut in einem iterativen Verfahren ein Zielnetz für ein lastnahes Erzeugungs-Szenario – ein Szenario, das nach Meinung des Bündnis Bürgerenergie auch die Übertragungsnetzbetreiber berechnen müssten.


Denn das Ergebnis verblüfft: Das Szenario kommt mit einem geringeren Netzausbau aus, als es die Übertragungsnetzbetreiber für 2030 vorsehen, obwohl diese nur von 52,5 Prozent Erneuerbaren und noch 19 Gigawatt an Kohlekapazitäten ausgehen. Eine beschleunigte Energiewende ist dementsprechend nicht nur möglich, sondern es gibt viele gute Gründe, sie auch anzugehen. Das Öko-Institut bespricht bereits einige Vorteile des Szenarios: Geringere variable Stromerzeugungskosten, deutlich geringere CO2-Emissionen, ein guter Ausgleich von Stromerzeugung und -nachfrage, eine ausgeglichene Import-Export-Bilanz und 34 statt 48 nötige Netzausbauvorhaben.


Dezentralität erhöht die Identifikation


Voraussetzung für diese Ergebnisse sind laut Öko-Institut ein niedrig angesetzter Strombedarf, der lastnahe Ausbau der Erneuerbaren sowie eine entsprechend des Lastverlaufs in jedem Bundesland optimierte Verteilung zwischen Windkraft und Photovoltaik. Die Studie merkt zudem kritisch an, dass ein dezentrales Szenario mehr Speicher benötigt und aufgrund ihrer Energieverluste auch mehr Anlagen, um den gleichen Bedarf zu decken.


Die Studie befürchtet zudem gesellschaftliche Konflikte über regional hohe Konzentration von Anlagen. Daher empfiehlt die Studie eine „ehrliche Debatte“ darüber, welche Konsequenzen eine stark dezentral geprägte Energiewende hätte und inwiefern sie realistisch ist. Wir glauben: hinter der Herausforderung liegen große Chancen – und freuen uns auf diese Debatte, da wir die Vorteile der dezentralen Bürgerenergiewende sehen.


Eine dezentrale Energiewende bietet die Möglichkeit der Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Energieversorgung. Nötig ist dazu echte Teilhabe – so wie sie die Bürgerenergie-Bewegung bereits seit Jahrzehnten praktiziert. Teilhabe in einer autonom agierenden Bürgerenergiegesellschaft umfasst regionale Verankerung, offene und freiwillige Partizipation aller Bevölkerungsschichten, direkten Einfluss der Beteiligten auf Entscheidungen, demokratische Kontrolle, gemeinschaftliches wirtschaftliches Handeln für die Belange der Mitglieder, gemeinsame regionale Entwicklung sowie ökologische Einbettung in die Region.


Die Energiewende wird vom überwiegenden Teil der Bevölkerung stark unterstützt – und Erfahrungen aus Forschung und Praxis zeigen, dass je größer die Möglichkeiten zur finanziellen und demokratischen Teilhabe sind, desto größer ist die Befürwortung der Bevölkerung für den lastnahen Ausbau der Erneuerbaren.


Wer Akzeptanz will, muss Möglichkeiten echter Partizipation schaffen. Und echte Partizipation gibt es nur, wenn die Bürgerenergie wieder zum Marktführer der Energiewende wird. Dafür muss das unsinnige System der Ausschreibungen abgeschafft werden. Das Ausschreibungs-Design hat zu einer unglaublichen Verunsicherung aller Akteure – nicht nur der Bürgerenergie – geführt, was zum Beispiel an der dramatisch eingebrochenen Zahl der Genehmigungen für Windkraftanlagen abzulesen ist.


Abstandsregelung muss gekippt werden


Beim Bau von Dachflächen-Solaranlagen, Freiflächen-Solarparks bis einem Megawatt und Windparks bis 18 Megawatt muss echte Akteursvielfalt herrschen – sie alle dürfen nicht mehr ausgeschrieben werden. Statt Ausschreibungen braucht es Anreize, erneuerbare Energien lastnah zu erzeugen. Für Photovoltaikanlagen würde ein solcher Anreiz beispielsweise in einem Bürgerstromhandel auf der untersten Netzebene bestehen, den die neue Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU vorsieht und für die Energy Brainpool im Auftrag des Bündnis Bürgerenergie im Dezember 2017 eine Ausgestaltung vorgeschlagen hat.


Für die Onshore-Windkraft könnte ein solcher Anreiz geschaffen werden, wenn Bürgerwindparks den Mitgliedern im Umkreis des Windparks den erzeugten Strom zu vergünstigten Stromnebenkosten verkaufen könnten. Darüber hinaus sollten Anreize für Quartiers-Speicher sowie für saisonale Speicher geschaffen werden.


Damit die dezentrale Bürgerenergiewende klappt, sind neben Anreizen für eine lastnahe Erzeugung faire Rahmenbedingungen im Energiemarkt erforderlich. Die regionale Sektorkopplung wird nur möglich, wenn die Abgaben auf Energie dafür Anreize bieten. Ein CO2-Preis, der Strom, Wärme und Verkehr aus fossilen Quellen verteuert, aber andererseits die EEG-Umlage und die Stromsteuer ersetzt, würde solch einen Anreiz schaffen. Darüber hinaus wird es Zeit, dass die 10H-Regelung in Bayern gekippt wird. Aber all diese Änderungen im Energiemarkt sind machbar und sinnvoll und sollten daher schnellstmöglich angegangen werden.


Zur Ehrlichkeit in der Debatte um Dezentralität in der Energiewende gehört auch: Sie wird oft unter Missachtung der Chancen, die eine zentrale Rolle der Bürgerenergie bietet, geführt. Entgegen der skeptischen Schlussfolgerungen des Öko-Instituts und des Artikels in Background glauben wir: Die Studie „Transparenz Stromnetze“ bietet den Anlass, diese Verzerrung zu beheben. Anstatt die Ambitionen der Bürgerinnnen und Bürger zu ersticken, tun wir gut daran, deren Engagement zu fördern.


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