Standpunkte Biodiversität als Chance: Warum Investoren jetzt handeln müssen

Der voranschreitende Verlust der Artenvielfalt ist weit mehr als ein ökologisches Problem. Rund die Hälfte der Weltwirtschaft hängt direkt oder indirekt von einem funktionierenden Ökosystem ab. Investoren sollten Aspekte der Artenvielfalt daher dringend in ihrer Anlagestrategie berücksichtigen – für den Planeten und um attraktive Renditechancen zu ermöglichen. Das fordert Jane Wadia, Head of Sustainability, Core Products and Clients bei Axa Investment Managers des französischen Versicherers Axa.
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Jetzt kostenfrei testenDas Artensterben schreitet in einem alarmierenden Tempo voran: Bis zu eine Million Arten sind derzeit akut vom Aussterben bedroht. Diese Entwicklung ist längst zum systemischen Risiko geworden: Gemeinsam mit dem Klimawandel ist der Verlust an Biodiversität eine der größten Gefahren für den Planeten, die Menschen, aber auch die Weltwirtschaft.
Grundsätzlich gilt: Was ein funktionierendes Ökosystem heute gewissermaßen umsonst zur Verfügung stellt, hat einen signifikanten wirtschaftlichen Wert. Lebende Organismen sorgen mit ihrem komplexen Zusammenspiel für Ernten und Baustoffe wie Holz sowie für Trinkwasser; sie zersetzen Abfälle, helfen, das Klima zu regulieren – und vieles mehr.
Einer im Rahmen des World Economic Forum präsentierten Studie zufolge haben diese sogenannten Ökosystemdienstleistungen jedes Jahr einen geschätzten Gegenwert von über 150 Billionen US-Dollar (135.000 Milliarden Euro). Insgesamt ist gut die Hälfte des weltweit erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukts Natur-abhängig.
Von den wirtschaftlichen Folgen der Zerstörung der Artenvielfalt können einzelne Unternehmen zudem auch direkt betroffen sein. Steigende und schwankende Rohstoffpreise, Störungen in der Produktion und Lieferengpässe sind nur einige der möglichen Folgen, die ihre wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigen können.
Stabilität des natürlich-ökologischen Umfelds
Klar ist daher: Je unversehrter die Biodiversität, desto stabiler können Nahrungsmittel- und Wasserversorgung, Schutz vor Erosionen und Überschwemmungen oder CO2-Speicherung sein. Gleichzeitig bleibt das ökologische Umfeld intakt, das vielen Unternehmen als Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg dient.
Investoren sollten daher Natur- und Biodiversitätsthemen konsequent bei ihren Analysen, Investmentprozessen und Engagements berücksichtigen und so aktiv auf die Aktivitäten von Unternehmen einwirken. Dieses Engagement kann einerseits helfen, das Bewusstsein zu schärfen, Wissen zu teilen und allgemeine Biodiversitätsziele voranzubringen. Auf der anderen Seite senkt es finanzielle Risiken, die aus der Kombination von Artensterben und Erderwärmung resultieren. Und es eröffnet gleichzeitig Ertragschancen.
Skalierbarkeit statt Standard
Wie aber lassen sich Biodiversitätsziele konkret in Investmentstrategien integrieren? Es wird nicht ausreichen, nach Unternehmen zu suchen, die der Artenvielfalt am wenigsten schaden. Viel wirksamer dürfte es sein, in Unternehmen zu investieren, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen einen größeren Beitrag leisten. Denn Anlagen in Unternehmen, die skalierbare, innovative Produkte und Leistungen bieten, die Firmen aus besonders betroffenen Sektoren helfen, diese Herausforderungen zu meistern, werden mehr Nutzen stiften als solche, die nur ihren eigenen Fußabdruck verkleinern oder gewisse Standards einhalten.
Wir sind daher der Überzeugung, dass solche Unternehmen langfristig ein höheres Renditepotenzial aufweisen – und dabei unterstützen, unser zweifaches Ziel zu erreichen: finanziellen Anlageerfolg und ein positiver Einfluss auf die Biodiversität.
Nachhaltiger wirtschaften, Arten erhalten
Dabei geht es primär um eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion und Landwirtschaft mit einer Verringerung von Pestiziden und Düngemitteln. Zudem steht ein verantwortungsbewusstes Produktions- und Konsumverhalten im Fokus, das durch effiziente Ressourcennutzung und weniger Umweltverschmutzung gefördert wird. Wichtig dabei sind Maßnahmen wie Recycling, der Einsatz nachhaltiger Materialien und die Förderung der Kreislaufwirtschaft.
Auch die Modernisierung von Infrastruktur ist ein wichtiges Thema, etwa veraltete Wasserleitungen, um den Wasserverbrauch zu senken und so Umweltverschmutzung zu reduzieren. Gleichzeitig geht es um den Bau einer nachhaltigen Infrastruktur der nächsten Generation, die auch den Artenschutz berücksichtigt. Wer hier die Chancen rechtzeitig erkennt, kann in Zukunft mit soliden Erträgen rechnen.
Innovative Lösungen solider Unternehmen
Doch dafür bedarf es einer detaillierten Analyse der jeweiligen Unternehmen. Um langfristig weltweit eine positive Wirkung zu erzielen, müssen diese finanziell robust aufgestellt und gut geführt sein – und eine tragfähige Strategie haben. Solide Finanzen dürften ihnen eine sinnvolle Forschung und Entwicklung ermöglichen und sie in die Lage versetzen, mit innovativen, lukrativeren Lösungen und einer größeren Vertriebsreichweite steigenden Nutzen zu stiften.
Auf Aktienseite spielt zudem das Engagement der Investoren eine wichtige Rolle: So können sie über aktive Einflussnahme Unternehmen dazu ermutigen, ihren eigenen positiven Beitrag zum angestrebten sozialen und ökologischen Nutzen der Strategie zu steigern, Wirkungsziele festzulegen, über wirkungsorientierte Indikatoren zu berichten und negative externe Effekte zu reduzieren.
Im Vergleich zu wirkungsorientierten Anlagen an privaten Märkten, die sozialen oder ökologischen Wandel bewirken – häufig nur lokal –, können börsennotierte Unternehmen zudem skalierbare und markttaugliche Lösungen bieten, die eine positive Nettowirkung für das Leben von Millionen von Menschen erzielen oder Umweltnutzen für Millionen von Hektar Land bringen und so weltweit echten Wandel bewirken.
Nachhaltige Anleihen erobern den Markt
Im Anleihebereich ist die Einbindung von Biodiversitätsthemen komplexer, weil es keine Anlageinstrumente gibt, die explizite Lösungen finanzieren. Anleihen, die ihre Erlöse direkt zum Schutz der Biodiversität nutzen (etwa Green und Blue Bonds und nachhaltigkeitsgebundene Anleihen, sogenannte SLBs) sind der am meisten verbreitete Ansatz zur Einbindung von Biodiversitätsthemen.
Green Bonds dominieren mit einem Marktvolumen von rund 1,9 Billionen Dollar und zeichnen sich durch hohe Liquidität sowie breite Diversifikation aus. Sie unterstützen eine breite Palette von Umweltprojekten, wobei nach unseren Schätzungen, etwa ein Viertel dieser Mittel in den Schutz der Biodiversität fließt.
Im Gegensatz dazu dienen Blue Bonds gezielt der Finanzierung von Meeresprojekten und sind daher eng mit Zielen zum Schutz der biologischen Vielfalt verknüpft. Allerdings ist der Markt mit weniger als zehn Milliarden Dollar wesentlich kleiner. SLBs sind flexibel einsetzbar und nicht zweckgebunden, jedoch an konkrete Nachhaltigkeitsziele gekoppelt, etwa die Reduzierung der CO2-Emissionen um 20 Prozent innerhalb von drei Jahren. Wird dieses Ziel verfehlt, erhöht sich der Zinssatz normalerweise um 25 bis 50 Basispunkte.
Aber auch im Segment der Unternehmensanleihen lassen sich Artenvielfalts-Kriterien berücksichtigen. Emittenten mit einem hohen Biodiversitäts-Fußabdruck, die keine Gegenmaßnahmen ergreifen, können etwa durch Unternehmen derselben Branche ersetzt werden, die Biodiversitätsrisiken bereits erkannt, verringert und kontrolliert haben.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass Artenvielfalt ein noch junges Investmentthema ist. Die gute Nachricht ist, dass immer mehr Investoren die Bedeutung von Biodiversität erkennen und mit ihren Investments einen Beitrag zu ihrem Erhalt leisten möchten. Und erfreulicherweise wächst das Angebot entsprechender Anlageprodukten bei börsennotierten Vermögenswerten und auf privaten Märkten, mit denen sowohl institutionelle als auch private Anleger eine Strategie umsetzen können, die ihrem Portfolio und dem Planeten zugutekommt.
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