Die Zerstörung von Ökosystemen und das weltweite Artensterben bergen ein wachsendes Risiko für den Finanzsektor. Laut einer Studie von PwC UK und dem Weltwirtschaftsforum hängt mehr als die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung stark oder moderat von der biologischen Vielfalt ab. Wird diese Tatsache weiterhin ignoriert, drohen der Weltwirtschaft jährliche Verluste von bis zu 2,7 Billionen US-Dollar.
Gleichzeitig könnten naturbasierte Veränderungen bis 2030 neue Geschäftsmöglichkeiten in Höhe von zehn Billionen US-Dollar und 395 Millionen Arbeitsplätze schaffen. Ändert sich nichts, wird der Verlust der Natur zur ernsthaften Bedrohung für die Stabilität der Wirtschaft und des von ihr abhängigen und sie katalysierenden Finanzsystems, denn Naturrisiken beeinträchtigen die Produktion und Verteilung von Waren und Dienstleistungen von Unternehmen.
Wirtschaftlicher Nutzen der Biodiversität
Durch äußere Anreize, wie Richtlinien und Vorschriften der Pariser Klimaziele oder der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs), lenken Politik und Regulatoren Finanzströme zunehmend in Richtung Biodiversitätsschutz. Diese Vorgaben erfordern, den ökologischen Fußabdruck des finanziellen Engagements zu quantifizieren.
Auch die EU-Taxonomie für nachhaltige Aktivitäten ist ein zentrales Element der nachhaltigen Finanzagenda. Sie zielt darauf ab, Transparenz für Investoren zu erhöhen durch eine „grüne Liste“ für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten, wie beispielsweise ausgewählte Maßnahmen zum Schutz und Erhalt lokaler Artenzusammensetzungen. Unternehmen sollen demnach ihre Nachhaltigkeitsrisiken, -auswirkungen und -leistungen offenlegen, auch zu Biodiversität, wie insbesondere die EU-Berichtspflicht CSRD verlangt.
Denn: Wirtschaftliche Aktivitäten beeinflussen die Natur und gleichzeitig sind Unternehmen von der Natur abhängig. Lebensräume, wie Waldökosysteme, landwirtschaftliche Flächen, Ressourcen- und Energiesektoren sowie der Fischfang, sind für den Finanzsektor von essenziellem Interesse. Nachhaltig bewirtschaftete Flächen erweisen sich als stabiler, was sie finanziell attraktiver macht. Im Gegensatz dazu zeigen nicht-nachhaltige Flächen, die aufgrund von Biodiversitätsverlust zunehmend auf Dünger, Chemikalien und schweres Gerät angewiesen sind, einen abnehmenden Ertrag.
Das Beispiel macht die positive Auswirkung von Investitionen in Biodiversität deutlich und sollte den Finanzsektor motivieren, vermehrt in nachhaltige Projekte zu investieren. Zu der Aussicht auf Renditen gesellt sich die langfristige Gesundheit unseres Planeten.
Die Chancen der Artenvielfalt
Leider haben bisher nur wenige Finanzinstitute Prozesse für Risiko- und Chancenmanagement oder konkrete Ziele für die biologische Vielfalt implementiert. Erschwert wird das angeblich durch fehlende Daten und standardisierte Metriken, aber meines Erachtens viel mehr durch ein geringes Bewusstsein, welchen Einfluss wirtschaftliche Landnutzung auf das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher Lebensgemeinschaften haben. Doch der Erhalt der Biodiversität ist seit dem Weltnaturabkommen von 2022 ein gesellschaftliches Ziel. Um den Anforderungen gerecht zu werden, sollten sich Finanzinstitute diesem Thema jetzt widmen und Know-how aufbauen, um Compliance-Risiken und Kapitalanforderungen zu adressieren.
Denn im schlimmsten Fall beschleunigt der Finanzsektor den Verfall der Artenvielfalt, indem er fragwürdige Staudamm-Projekte, Waldrodung oder Rohstoffabbau sowie umweltschädliche Unternehmen finanziert. Auf der anderen Seite werden die Chancen von Biodiversitätsinvestitionen oft außer Acht gelassen. Generell gilt: Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Kraft haben Finanzunternehmen die Chance, durch nachhaltige Geschäftspraktiken den Biodiversitätsverlust zu stoppen und umzukehren. Investitionen bieten die Chance, neue Geschäftsfelder zu erschließen, innovative Produkte zu entwickeln und Kooperationen einzugehen. Ein nachhaltiges und gesundes Biotop besitzt nicht nur ökologischen, sondern auch einen erheblichen finanziellen Wert.
Wie Biodiversitätsanalysen helfen können
Anders als oft behauptet, sind Biodiversitätsanalysen tatsächlich heute schon verfügbar. Prominente Beispiele hierfür sind Satelliten- und Drohnenanalysen von Landschaften, akustische und biochemische Sensoren sowie molekulare Methoden für die Identifizierung komplexer Artenzusammensetzungen. Oder das Metabarcoding, das Aufschluss über die Artenzusammensetzung eines bestimmten Biotops gibt. Daraus lassen sich Kennzahlen, von uns als „Nature KPIs“ bezeichnet, ableiten, die es Unternehmen ermöglichen, naturbezogene Daten und Leistungen im raumzeitlichen Kontext präzise zu messen.
Diese Mittel und Wege sind allesamt vollständig miteinander kombinierbar – wie Puzzlesteine die zusammengesetzt ein vollständiges Bild zeigen. Gestützt auf fortschrittliche Daten und Modelle sind sie das passende Werkzeuge, um die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen zu optimieren. Sie helfen, Artenvielfalt effektiv abzubilden und aussagekräftige Indikatoren zu identifizieren, die den Gesundheitszustand von Ökosystemen quantifizieren.
Solche Kennzahlen helfen, Risiken und Chancen der oben genannten politischen Rahmenwerke und Richtlinien zu identifizieren und zu managen. Erhält ein Unternehmen beispielsweise Zuschüsse für Biodiversitätsmaßnahmen, können Subventionsgeber und Empfänger den Erfolg dieser Maßnahmen überprüfen.
Und dank kontinuierlicher Datenanalysen und -visualisierungen können sämtliche positive wie negative Einflüsse von Unternehmen auf Ökosysteme im Zeitverlauf beobachtet werden. Maschinelles Lernen und computergestützte Analysen helfen, komplexe Zusammenhänge in den Interaktionen zwischen Arten aufzudecken. Das kann relevant sein, um als Unternehmen oder Finanzakteur die richtigen Investitionsentscheidungen zu treffen. Denn Manches mag gut gemeint sein, hat aber negative Auswirkungen auf andere Elemente eines Ökosystems, etwa wenn in subventionierten Blühstreifen keine heimischen, lokal vorkommenden Arten angepflanzt werden – das kann den Rückgang heimischer Arten sogar beschleunigen.
Das bedeutet: Durch die Integration von Biodiversitätsanalysen können Unternehmen Praktiken entwickeln, die nicht nur die Umwelt schützen, sondern auch die Wirtschaftlichkeit steigern. Damit ist der Schutz der Biodiversität mehr als „nur“ eine moralische Verpflichtung. Heute haben wir die technischen Mittel, um das wirtschaftliche Potenzial der Zusammenarbeit mit der Natur zu erkennen und zu bewerten – und um dann strategische Investitionen in eine wirtschaftlich nachhaltige Zukunft zu forcieren.
Schutz und Erhalt der Natur sind wirtschaftlich
Immer mehr Investitionen, Subventionen und Beteiligungen rücken den Wert von Ökosystemleistungen in den Vordergrund, die dank einer gesunden Biodiversität bisher vollständig kostenfrei nutzbar sind. Dies geschieht nicht nur aus ökologischen Gründen, sondern aufgrund der finanziellen Stabilität nachhaltiger Projekte. Der Finanzsektor kann aktiv zur Erhaltung der Biodiversität beitragen, indem er nachhaltige Investitionen tätigt, ökologische Geldanlagen fördert, Umweltaspekte in Entscheidungen integriert und eine zukunftsorientierte Wirtschaft unterstützt. Inzwischen gibt es zahlreiche Dienstleister, die aussagekräftige Biodiversitätsanalysen anbieten. Neue Messmethoden und technologische Entwicklungen ermöglichen die Quantifizierung und Darstellung von umfangreichen Daten. Alle Finanzentscheider sollten diese Basis für solide Handlungsoptionen zugunsten nachhaltigeren Wirtschaftens nutzen.
Ich wünsche mir, dass der Finanzsektor rasch handelt, um seine einflussreiche Rolle für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation hin zu einer nachhaltigen Umweltstrategie zu nutzen. Auf diese Weise würde er nicht nur einen maßgeblichen Beitrag für die Zukunft unseres Planeten leisten, sondern auch wirtschaftlich profitabel handeln.