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Sustainable Finance

Standpunkte Maximale Rendite am Ende des fossilen Zeitalters

Professor Dr. med. Christian Schulz, Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V.
Professor Dr. med. Christian Schulz, Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. Foto: Klug e.V./Ben Mangelsdorf

Erdsystemgrenzen sind Grenzen, über die hinaus die Grundlagen für erfolgreiches Wirtschaften verschwinden und Krankheiten zunehmen, so Professor Christian Schulz, Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit, in seinem Standpunkt. Schulz, Vertretungsprofessor für Planetary und Public Health an der Universität Bayreuth und Mitherausgeber des Buchs „Planetary Health – Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän“, fordert Versorgungswerke auf, ihre Anlagestrategien umzustellen.

von Christian Schulz

veröffentlicht am 07.09.2023

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Evolutionsbiologisch sind wir Menschen ein Erfolgsmodell. Verbesserte Gesundheitssysteme, zunehmende Nahrungsmittelsicherheit und das stabile Klima während der letzten 10.000 Jahre waren dafür die Voraussetzung. Gelungen ist uns das aber nur mit einem Wirtschaftssystem, das auf einem unermesslichen Ressourcenverbrauch basiert. In den letzten sechs Jahrzehnten mit durchschnittlich knapp 3,5 Prozent Wirtschaftswachstum jährlich wurde das globale Bruttoinlandsprodukt verhundertfacht. Die Menge zirkulierenden und in Kapitalanlagen gebundenen Geldes nahm exponentiell zu. In dieser Zeit gelang es institutionellen Anlegern, das Kapital so auf verschiedene Sektoren und Anlageklassen zu verteilen, dass Liquidität, Risiken und Rendite in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstanden.

Umsonst gab es das nicht. Sieben Erdsystemgrenzen sind überschritten:

1. die Grundwasserspiegel sinken,

2. die Süßwasservorräte in Seen und Flüssen nehmen ab,

3. es fehlen Flächen mit natürlichen Ökosystemen,

4. die Biodiversität nimmt ab wie seit 65 Millionen Jahren nicht mehr,

5. der Planet ist so heiß wie seit Hunderttausenden Jahren nicht mehr,

6. globale Kreisläufe von Stickstoff und

7. Phosphor sind grundlegend verändert.

Die gefährlichste Gemeinsamkeit ist: Diese Veränderungen verlaufen nicht gleichmäßig. Aktivierte, sich selbst und gegenseitig verstärkende Kipppunkte der Erdsysteme führen zu einer Beschleunigung der Entwicklung. Für alles Lebendige werden die Bedingungen auf der Erde schlechter. Das zeigt sich auch bei der Gesundheit der Menschen. Die Krankheitslast infolge überschrittener Erdsystemgrenzen erhöht sich in allen Bereichen der Medizin, nahezu alle Organsysteme sind betroffen, insbesondere auch die mentale Gesundheit.

Vier Industriesektoren haben besonders negative Auswirkungen auf die Gesundheit: Alkohol, Tabak, Nahrungsmittelproduktion und fossile Brennstoffe. Weltweit stehen etwa 32 Millionen vorzeitige Todesfälle pro Jahr mit ihnen im Zusammenhang.

Da das Geschäftsmodell dieser Industriesektoren nicht im öffentlichen Interesse ist, steht für diese Unternehmen viel auf dem Spiel. Sie negieren, verzögern und beeinflussen Vorschriften und politische Maßnahmen in ihrem eigenen Interesse, manchmal öffentlich, lieber aber wirken sie im Hintergrund. Sie bewerben ihre toxischen Produkte und den damit verbundenen Lebensstil als etwas, das sich die Menschen verdient hätten.

Profit statt öffentliche Gesundheit

In der Folge empfinden es Menschen als erstrebenswert, Kreuzfahrten zu unternehmen, in den Urlaub (auf vielleicht bereits brennende Inseln) zu fliegen, große Mengen Fleisch zu verzehren und große Autos zu bewegen. Ganz im Interesse der Mächtigen: Wir sorgen uns um unseren Wohlstand, nicht aber um unser Wohlbefinden oder unser Wohlergehen. Den Unternehmen und ihren CEOs ist gelungen, dass ihr Profit gegenüber der öffentlichen Gesundheit priorisiert wird.

Diese Geschäftsmodelle sind deswegen so erfolgreich, weil Folgekosten in Form von Gesundheitskosten oder abnehmender Ökosystemleistungen externalisiert werden. Die Kosten tragen die bereits jetzt empfindlich strapazierten Gesundheitssysteme, die Gesellschaften insgesamt und natürlich jeder und jede Einzelne, die davon krank geworden ist. Diejenigen, die am wenigsten von diesen Geschäftsmodellen profitieren, sind besonders betroffen von den gesundheitlichen Auswirkungen.

Billionen von Euro an Schäden

Die direkt und indirekt von Ökosystemleistungen abhängige Bruttowertschöpfung wird auf 44 Billionen Dollar geschätzt. Finanzielle Risiken entstehen, weil das Produkt oder die dazugehörigen Lieferketten abhängig sind von den bereits dysfunktionalen Ökosystemleistungen. Oder auch weil die Geschäftsmodelle durch Reputationsrisiken oder regulatorische Maßnahmen bedroht sind. Die aufgrund übernutzter Ökosysteme weltweit auftretenden ökonomischen Schäden sind also quantifizierbar.

Es werden Billionen Euro Vermögen vernichtet und bald Milliarden Menschen betroffen sein. Das Weltwirtschaftsforum schätzt für die kommenden zehn Jahre, dass die vier größten wirtschaftlichen Risiken durch Versagen bei Klimaschutz und Klimaanpassung, Naturkatastrophen, extreme Wetterereignisse, den Verlust der Biodiversität sowie den Kollaps von Ökosystemen entstehen.

Aus den planetaren Wechselwirkungen können wir uns in einer globalisierten Wirtschaft nicht mehr befreien. Die Produktionsausfälle aufgrund von externen Schocks (wie zum Beispiel Pandemien, Hitzewellen) führen weltweit zu Lieferengpässen. Treibhausgasemissionen und Ressourcenverbrauch im globalen Norden machen immer mehr Regionen im globalen Süden unwirtlich und teilweise unbewohnbar. Wie wir in Deutschland wirtschaften und Geld anlegen, beeinflusst die Lebensbedingungen von Menschen in anderen Regionen der Welt und jene zukünftiger Generationen. Jedes Individuum auf dieser Erde ist mit jedem anderen unauflösbar verbunden.

Wachstumslogik ohne Zukunft

Unter diesen Bedingungen einen bestimmten Rechnungszins zu erwirtschaften, wird absehbar schwieriger. Wie man es auch dreht und wendet, die bisherige Wachstumslogik trägt uns nicht in die Zukunft. Das jetzige Wirtschaftssystem führt in eine Plus-Drei-Grad-Celsius-Welt, an die wir uns nicht anpassen können und die mit erheblichen Verlusten an Wohlergehen und Wohlbefinden einhergeht. Solange das Kapital in Sektoren eingesetzt wird, die dieser Wachstumslogik folgen, beeinträchtigt es die zukünftigen Bewohnbarkeitsbedingungen der Erde. Festhalten an der bisherigen Logik bedeutet, auf ein System zu setzen, dem physikalische Grenzen gesetzt sind.

Eine Investition in den Status quo ist aufgrund der inhärenten Beharrungskräfte hochriskant. Keinem Lungenkrebskranken sagen wir, er könne weiterhin rauchen, die richtige Therapie würde schon rechtzeitig erfunden. Die fossile Lobby jedoch hat erhebliche Beharrungskräfte mobilisiert. Besonders in Deutschland wird derzeit stark um die Transformationspfade gerungen und es werden diejenigen kriminalisiert, die sich in friedlichem Protest dagegen wehren. Mit zunehmend polarisierenden Politiker:innen in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft von einer Krise in die nächste zu taumeln, ist keine Option.

Die gute Nachricht ist: Echte Lösungen sind da. Zielbilder davon, wie zehn bis zwölf Milliarden Menschen innerhalb planetarer Belastungsgrenzen gesund und glücklich leben können, werden klarer. Um diese Ziele zu erreichen, müssen bestimmte Sektoren stark wachsen, während andere verschwinden müssen.

Maximierung der Rendite

Doch bislang gibt es keine Hinweise, dass die Wahrnehmung von Stimmrechten in Aktionärsversammlungen („Engagement“) genügend schnelle Veränderungen des Geschäftsmodells bewirken kann. Die transformatorische Wirkung des Kapitals entfaltet sich in diesem Rahmen nur begrenzt. Viele Unternehmen halten ihre Klima- und Nachhaltigkeitsziele nicht ein. Ebenso wenig gibt es Hinweise, dass der Abzug von Kapital aus einem Unternehmen (Divestment) mit gesundheitsschädlichen Geschäftsmodellen (etwa bei Ölkonzernen) zu mehr Nachhaltigkeit führt. Meist gelingt es den Unternehmen, sich woanders frisches Geld zu besorgen, im Zweifelsfalle springt der Steuerzahler ein.

Wirksam ist Kapital, wenn es in neue Geschäftsmodelle investiert wird. So gelingt es, Sektoren wachsen zu lassen, die auf die Gesundheit der Menschen und der Ökosysteme einzahlen. Für die Transformation zu einer Wirtschaftsweise innerhalb planetarer Belastungsgrenzen sind Investitionen in die Energiewende, Bauwende, Mobilitätswende, Ernährungswende notwendig. Geld, das der Finanzsektor mobilisieren kann.

Lange Zeit galten auf soziale oder ökologische Wirkung ausgerichtete Kapitalanlagen (Impact Investing) als Risikoinvestition, weil das Ausfallrisiko als zu groß galt, weil die Kapitalanlagen nicht liquide sind oder weil zuvor externalisierte Kosten durch Umwelt- und Gesundheitsschäden internalisiert wurden und damit den Profit reduzierten. Tatsächlich aber stärken sie zukunftsrelevante Geschäftsmodelle, sie schützen die Gesundheit der Ökosysteme und damit der Menschen. Ausfallrisiken können durch Diversifizierung über Sektoren und Kontinente hinweg abgemildert werden.

Im Sinne der Versorgungswerke-Mitglieder

Entscheidend ist der Anlagehorizont. Kurzfristig kann die Rendite niedriger sein, langfristig ist sie besser. Dies ist vor allem für institutionelle Investoren interessant, die eine langfristige und nachhaltige Rendite anstreben, wie Deutschlands Versorgungswerke für bestimmte Berufsgruppen. Kurzfristig kann die Rendite niedriger sein, langfristig ist sie besser und damit im Interesse derer, die derzeit einzahlen, wie zum Beispiel die Mitglieder der Versorgungswerke. Außerdem nehmen Reputationsrisiken und die Anfälligkeit gegenüber regulatorischen oder steuerpolitischen Maßnahmen ab.

Die sich dynamisch entwickelnde Destabilisierung der Welt zeigt: Die Regeln, die die letzten 50 Jahre so gut funktioniert haben, tragen nicht in die Zukunft. Die öffentliche Gesundheit muss über kommerzielle Interessen der Stakeholder gestellt werden. Eine langfristige Maximierung der Rendite gelingt nur, wenn die planetaren Risiken berücksichtigt und die mentale und körperliche Gesundheit der Menschen geschützt wird.

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