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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Betroffene müssen künftig mitreden

Rudolf Hauke ist Sprecher des DKFZ-Patientenbeirats, Susanne Weg-Remers die Leiterin des DKFZ-Krebsinformationsdienstes
Rudolf Hauke ist Sprecher des DKFZ-Patientenbeirats, Susanne Weg-Remers die Leiterin des DKFZ-Krebsinformationsdienstes Foto: Wyrwa/DKFZ/Carina C. Kircher

Eine stärkere Beteiligung von Patient:innen in der Krebsforschung hat Vorteile für Forscher:innen, für Betroffene und den Studienstandort Deutschland. Die richtige Besetzung der Gremien, die allmählich aufgebaut werden, ist ebenso wichtig wie eine strukturelle und finanzielle Förderung von Patientennetzwerken.

von Rudolf Hauke und Susanne Weg-Remers

veröffentlicht am 17.11.2021

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Die Beteiligung von Patientinnen und Patienten an der medizinischen Forschung steckt hierzulande in den Kinderschuhen – obwohl der Forschungsstandort Deutschland in vieler Hinsicht davon profitieren könnte. Nicht wenige Forscherinnen und Forscher sind skeptisch, inwieweit Betroffene genügend über Forschungsprozesse wissen, um einen sinnvollen Beitrag leisten zu können. Umgekehrt fürchten Patientinnen und Patienten, nur dort ernstgenommen zu werden, wo sie als willige Lieferanten von Studiendaten unerlässlich sind.

Bereits 2018 hat der deutsche Wissenschaftsrat auf dieses Problem hingewiesen und dazu aufgefordert, die spezifische Patientensicht insbesondere zur Verbesserung klinischer Studien zu nutzen.

Krebspatientinnen und Krebspatienten sind ein wichtiges Beispiel dafür, welche Expertise Betroffene mit schweren und chronischen Erkrankungen einbringen können. Ihre oft Monate oder Jahre dauernde Behandlung funktioniert nur, wenn die Auswirkungen auf ihren Alltag berücksichtigt werden. Menschen mit Krebs können schon bei der Planung von Forschungsvorhaben sagen, welche Schwerpunkte sie setzen würden – zum Beispiel bei neuen Medikamenten oder bei Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität. Wichtig ist ihr Input zu Themen, die von der Forschung bisher nur wenig oder gar nicht berücksichtigt werden. Sie können daran mitwirken, Prozesse bestmöglich zu planen und Abläufe kritisch zu hinterfragen. Und sie können entscheidende Beiträge leisten, wenn es darum geht, Forschungsergebnisse aus Patientensicht einzuordnen.

Zusammenarbeit wird allmählich etabliert

Die Zusammenarbeit einer gut organisierten, kompetenten und aktiven onkologischen Patientenszene mit Forscherinnen und Forschern, mit Ärztinnen und Ärzten und auch mit anderen Playern im Gesundheitswesen – und das auf Augenhöhe – ist für Deutschland deshalb dringend nötig.

Das erste Modell einer solchen Zusammenarbeit in der Onkologie besteht bereits: Der Patientenbeirat des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) befasst sich nicht nur mit ausgewählten Forschungsvorhaben, sondern auch mit den Rahmenbedingungen der Krebsforschung und ihrer Ausrichtung. Vergleichbare Gremien wurden und werden zurzeit an weiteren Institutionen etabliert.

Generell darf es bei der zukünftigen Ausweitung der Patientenbeteiligung in Deutschland nicht bei einer rein beratenden Tätigkeit bleiben. Denn eine echte Beteiligung besteht nicht darin, von Forschern vorformulierten Förderanträgen wohlwollend zuzustimmen, nur, damit deren Aussichten auf Bewilligung steigen. Wie im DKFZ müssen Betroffene zunehmend die Möglichkeit zum Mitgestalten haben. Sie müssen in den Gremien vertreten sein, in denen Forschung geplant und organisiert wird.

Repräsentative Besetzung der Gremien

Welche Patientinnen oder Patienten können dies leisten? Zu den individuellen Voraussetzungen gehören eine ausreichend stabile Erkrankungssituation und ein anhaltend aktives Interesse. Wichtig bei der Besetzung von Patientengremien ist die Berücksichtigung vieler verschiedener Erkrankungsformen und gegebenenfalls auch unterschiedlicher Krankheitssituationen. Es muss sichergestellt sein, dass Patientenbeiträge ausgewogen und repräsentativ sind, und nicht nur die Meinung und Anliegen Einzelner widerspiegeln.

Ein Papier mit entsprechenden Grundsätzen ist im September dieses Jahres erschienen. Daran mitgewirkt haben mehr als 130 europäische Vertreterinnen und Vertreter von Patientenorganisationen, aus der Medizin und Forschung, aus der Industrie, der Forschungsförderung und der Politik.

Betroffene, die sich bereits aktiv engagieren, wissen, dass sie sich auf eine Beteiligung an Forschungsthemen gut vorbereiten und – über die eigene Erfahrung hinaus – sich auch entsprechend weiterbilden müssen. In Zukunft sollten Menschen, die mitgestalten wollen, Schulungs- und Unterstützungsangebote erhalten. Dazu gibt es bereits Projekte und Modellvorhaben, etwa der Aufbau einer Patienten-Experten-Akademie für Tumorerkrankungen (PEAK).

Ähnliche Ansätze, Patientinnen und Patienten zu schulen, bestehen zudem in den etablierten Patientenorganisationen. In der Krebsselbsthilfe kann die zukünftige Ausweitung der Beteiligung an der Krebsforschung vielleicht sogar zu einer teilweisen Spezialisierung der Mitglieder führen: Die einen engagieren sich weiterhin vor allem in den klassischen Bereichen der Unterstützung und Begleitung. Die anderen erarbeiten sich die Kompetenzen für die Vertretung ihrer gemeinsamen Anliegen in der Forschung.

Patientennetzwerke finanziell fördern

Klar ist auch: Eine solch intensive Patientenbeteiligung wird es nicht umsonst geben – als reines Ehrenamt ist das nicht zu leisten. Der Wissenschaftsrat hat den öffentlichen Förderern deshalb bereits 2018 geraten, Patientennetzwerke zur Schulung von Patientenvertretungen strukturell und finanziell zu fördern.

Wie groß ganz allgemein das Interesse von Menschen mit Krebs und ihrer Angehörigen an der Forschung ist, zeigen seit vielen Jahren die Anfragen beim Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums. Diese Telefonate, persönlichen Gespräche und E-Mails lassen zudem erkennen, dass die persönlichen Bedürfnisse Betroffener nicht selten anders gelagert sind, als der in der Forschung adressierte, aus medizinischer Sicht wahrgenommene Bedarf. Über die organisierten Formen der Patientenbeteiligung an der Krebsforschung hinaus muss es deshalb auch niederschwellige Angebote für Menschen geben, die Anregungen und Ideen einbringen, aber sich nicht umfangreich engagieren können. Am Deutschen Krebsforschungszentrum wurde dafür die Online-Plattform „www.fragdiepatienten.de“ entwickelt, auf der Betroffene gezielt um ihren Input zu Forschungsvorhaben gebeten werden.

Doch es werden weitere Möglichkeiten benötigt, um die Patientenbeteiligung auf eine möglichst breite Basis zu stellen. Ein Vorbild bietet die 2004 etablierte britische James Lind Alliance. Sie bringt mit einer wissenschaftlich fundierten Methodik Patienten, Angehörige und Kliniker in sogenannten „Priority Setting Partnerships“ zusammen, um unbeantwortete Fragestellungen in einem bestimmten Gebiet der Medizin zu identifizieren und zu priorisieren.

Studienstandort Deutschland wird aufgewertet

Klar ist: Mehr als 20 Jahre Erfahrung mit der Partizipation von Patientinnen und Patienten in den angelsächsischen Ländern kann nicht von heute auf morgen aufgeholt werden. Es braucht Zeit, bis entsprechende Strukturen aufgebaut und gefestigt sind. Das muss auch die Politik beachten, die bei der Forschungsförderung die Patientenbeteiligung bereits zur Voraussetzung macht.

Insgesamt gilt: Einrichtungen wie das Deutsche Krebsforschungszentrum haben längst erkannt, welchen Benefit sie aus der vermehrten Beteiligung Betroffener ziehen können. Die Forschung wird relevanter, denn es werden Forschungsfragen formuliert und Endpunkte für Studien gewählt, die Patientinnen und Patienten wirklich wichtig sind. Zudem wird die Öffentlichkeit langfristig die Ergebnisse der Forschung besser verstehen, beurteilen und einordnen können. Die Beteiligung von Patientinnen und Patienten an der Forschung wird den Studienstandort Deutschland aufwerten. Und letzten Endes wird sie auch dazu führen, dass wir die Ressourcen, die im Gesundheitssystem zur Verfügung stehen, zukünftig effizienter und sinnvoller nutzen.

Der Krebspatient Rudolf Hauke war lange Vorstand einer Krankenkasse und engagiert sich seit seiner Erkrankung für die Belange Betroffener. Er ist Sprecher des Patientenbeirats des Deutschen Krebsforschungszentrums. Die Ärztin Dr. Susanne Weg-Remers leitet den Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums, der deutschlandweit Fragen von Betroffenen, Angehörigen und Interessierten zu dieser Krankheit beantwortet.

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