Während über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in Deutschland weiter diskutiert wird, ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Beschäftigte von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen seit heute in Kraft. Sämtliche in Krankenhäusern, Arztpraxen, Pflegeheimen und anderen medizinischen Einrichtungen tätigen Mitarbeiter, also nicht nur Ärzte und Pfleger, sondern auch Verwaltungsangestellte, müssen nachweisen, dass sie geimpft oder genesen sind. Ausnahmen gelten nur, wenn Beschäftigte wegen einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden können. Für Beschäftigte ohne Impf- oder Genesenennachweis kann das Gesundheitsamt Bußgelder sowie Betretungs- und Tätigkeitsverbote verhängen. Es handelt sich dabei um Ermessensentscheidungen, für die vor allem wichtig ist, ob die Versorgung in den betroffenen Einrichtungen ohne die ungeimpften Mitarbeiter gefährdet ist. Eine Neueinstellung von Personen ohne Impf- oder Genesenennachweis ist ausgeschlossen.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Weg für die Impfpflicht im Februar freigemacht. Es hat eine vorläufige Aussetzung der Impfpflicht abgelehnt, weil die dadurch zu befürchtenden Nachteile für die vulnerablen Personen größer seien als die Nachteile für die Beschäftigten durch eine Inkraftsetzung der Impfpflicht. Verfassungsrechtliche Zweifel hat das Bundesverfassungsgericht nur geäußert, weil der Gesetzgeber die Anforderungen an den Impf- oder Genesenennachweis nicht im Infektionsschutzgesetz selbst geregelt hat, sondern hierfür dynamisch auf die jeweils geltende Fassung der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung verweist, die wiederum zur Konkretisierung der Nachweisanforderungen auf die Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Instituts verweist. Die Entscheidung in der Hauptsache steht allerdings noch aus.
Impfpflicht reduziert Gefahr einer Infektion
Die Pflicht zum Nachweis einer Impfung, Genesung oder Kontraindikation begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie dient dem Lebens- und Gesundheitsschutz der älteren oder kranken Menschen in medizinischen Einrichtungen, vor allem dem Schutz vor schweren und tödlichen Verläufen und vor Langzeitfolgen bei einer Coronainfektion. Insbesondere Menschen mit Vorerkrankungen, einem geschwächten Immunsystem oder einer Behinderung sind anfällig für das Coronavirus. Die Pandemie ist nach wie vor durch eine starke Infektionsdynamik mit hohen Fallzahlen geprägt, die für vulnerable Personen eine hohe Infektionswahrscheinlichkeit und ein entsprechend großes Gefährdungspotential mit sich bringt. Für diese vulnerablen Personen ist es auch unter der Omikronvariante und seiner Subvariante BA.2 wichtig, Infektionsketten frühzeitig zu unterbrechen.
Hierzu trägt die Impfpflicht für Beschäftigte von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen bei. Zwar schließt eine Impfung das Risiko einer Infektion und Ansteckung anderer bei den aktuell verfügbaren Impfstoffen nicht aus. Sie reduziert aber die Gefahr einer Infektion und – im Fall einer Ansteckung – eines schweren Verlaufs erheblich . Eine Impfung der Beschäftigten sorgt dafür, dass sich Patienten und Heimbewohner seltener mit dem Virus infizieren, Erkrankungen weniger schwer und seltener tödlich verlaufen und seltener langfristige gesundheitliche Beeinträchtigungen auftreten (Long Covid). Denn Geimpfte werden deutlich seltener krank und vor allem schwer krank. Sie haben, wenn sie erkranken, eine geringere Viruslast und sind für kürzere Zeit ansteckend als Ungeimpfte. COVID-19-Impfungen vermitteln somit einen relevanten – wenngleich mit der Zeit nachlassenden – Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus. Das gilt nicht nur für Ärzte und Pfleger, die direkt in Kontakt treten mit vulnerablen Personen, sondern auch für das Verwaltungspersonal, die die Patienten und Heimbewohner mittelbar, über Kontakte mit dem Ärzte- und Pflegepersonal, gefährden.
Geringer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit
Stellt man diesem Schutz der Gesundheit und des Lebens der Patienten und Heimbewohner die mit einer Impfpflicht verbundenen Beeinträchtigungen für die Beschäftigten gegenüber, ist die Impfpflicht zulässig. Sie ist verhältnismäßig, weil der mit einer Impfung verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit vergleichsweise gering ist, da sich die Nebenwirkungen in aller Regel in Grenzen halten. Schwerwiegende Impfnebenwirkungen sind nach derzeitigem Kenntnisstand sehr selten. Demgegenüber sind das Leben und die Gesundheit der vulnerablen Personen herausragend wichtige Güter, für die der Gesetzgeber eine besondere Schutzpflicht hat.
Außerdem haben die Beschäftigten die Möglichkeit, der Impfpflicht auszuweichen, indem sie ihre Tätigkeit, ihren Arbeitsplatz oder den Beruf wechseln. Zu berücksichtigen ist auch, dass Beschäftigte ohne Impfung in vielen Fällen mit der Zeit ohnehin an Corona erkranken und dadurch erhebliche gesundheitliche Schäden erleiden können.
Testen und Masken bringen nicht den gleichen Schutz
Die Patienten und Heimbewohner selbst sind regelmäßig nicht in der Lage, sich vor dem Virus zu schützen, weil sie auf medizinische Hilfe und Betreuung in den Einrichtungen angewiesen sind und kaum Ausweichmöglichkeiten haben. Eine Impfpflicht für die in den Einrichtungen behandelten, betreuten oder gepflegten Personen wäre sicher sinnvoll, ändert aber an der Zulässigkeit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht nichts. Denn auch sie trägt zum Schutz der vulnerablen Gruppen bei. Eine Verpflichtung der Patienten und Heimbewohner zum Tragen einer medizinischen Maske in den Einrichtungen wirkt der Ansteckungsgefahr nicht ebenso wirksam entgegen wie eine Impfung der Beschäftigten, zumal mit einer Maskenpflicht ebenfalls Freiheitseinschränkungen verbunden sind. Entsprechend vermitteln auch eine tägliche Testpflicht für Beschäftigte und ihre Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Maske den Patienten und Heimbewohnern keinen gleich wirksamen Schutz wie eine Impfung der Beschäftigten, zumal Antigentests insbesondere bei niedriger Viruslast eine gewisse Fehlerquote haben.
Der Gesetzgeber musste auch nicht erst noch weitere Informations- und Aufklärungskampagnen durchführen vor Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Der Staat und die Gesellschaft haben in den vergangenen anderthalb Jahren durch eine Vielzahl von Appellen, niedrigschwelligen Beratungsangeboten und Anreizsystemen versucht, die Bevölkerung von dem Nutzen einer freiwilligen Impfung zu überzeugen. Für die Beschäftigten von Gesundheitseinrichtungen gibt es zudem in den Einrichtungen selbst leicht zugängliche Informationsmöglichkeiten.
Rechtliche Beurteilung kann sich ändern
Der Gesetzgeber hat auch Ausnahmen bei medizinischer Kontraindikation vorgesehen und die Verhängung von Sanktionen zur Durchsetzung der Impfpflicht in das Ermessen der Gesundheitsämter gestellt. Für die Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht spricht nicht zuletzt, dass Menschen in Gesundheitsberufen eine besondere Verantwortung für die ihnen anvertrauten Patienten und Heimbewohner haben.
Allerdings kann sich die rechtliche Beurteilung der Impfpflicht ändern, weshalb der Gesetzgeber sie unter Kontrolle halten muss. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die Gefährlichkeit des Virus oder die Wirksamkeit der Impfstoffe nachlässt oder wenn umgekehrt eine Impfung zur Verfügung steht, die den Geimpften Vollimmunität verschafft. Auch wenn ein Medikament auf den Markt kommt, das einen schweren Krankheitsverlauf und Long Covid bei einer Corona-Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert und selbst keine schweren Nebenwirkungen hat, kann die Impfpflicht anders zu beurteilen sein. Der Gesetzgeber muss deshalb die tatsächlichen Entwicklungen und neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse fortlaufend berücksichtigen und prüfen, ob die einrichtungsbezogene Impfpflicht auch weiterhin verhältnismäßig ist. Ist dies nicht mehr der Fall, muss der Gesetzgeber die Impfpflicht anpassen oder aufheben.
Frauke Brosius-Gersdorf ist Inhaberin des Lehrstuhls Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungsrecht, an der Universität Potsdam.