Standpunkte Die klügste Wirtschaftsstrategie unserer Zeit - Investitionen in Frauengesundheit




Allein kleinere und vermeidbare gynäkologische Erkrankungen verursachen bei Frauen zwischen 15 und 49 Jahren eine größere Belastung als Malaria, Tuberkulose und HIV zusammen – erhalten aber nur rund ein Prozent der weltweiten Forschungsinvestitionen. Wieso sich Investitionen in Frauengesundheit auszahlen und warum Deutschland eine wichtige Rolle dabei zukommt, schreiben Nigina Muntean und Deepali Sood vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen im Standpunkt.
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Jetzt kostenfrei testenZu lange wurde Frauengesundheit als Nischenthema behandelt und nicht als zentrale Säule globaler Entwicklung. Zahlen belegen, dass die Investition in Frauen und Mädchen nicht nur moralisch richtig ist – es ist die klügste wirtschaftliche Strategie unserer Zeit. Auf der Internationalen Charité-Mayo-Konferenz in Berlin betonten Vertreter von führenden Institutionen ein zentrales Anliegen: Die Gesundheit von Frauen voranzubringen – als Menschenrecht und als wirtschaftlicher Motor.
Dass UNFPA, der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, sein erstes WomenX Collective-Zentrum in Deutschland eröffnet hat, ist kein Zufall. Deutschland ist seit langem ein internationaler Vorreiter der Frauengesundheit. Mit der Entwicklungspolitik setzt das Land Standards, nicht nur beim Zugang zu Gesundheitsversorgung, sondern auch in einer geschlechter- und diversitätssensiblen Medizin: von Endometriose und Menopause bis hin zu Fruchtbarkeitsbehandlungen. Deutschlands Engagement zeigt: Frauengesundheit ist ein Pfeiler von Resilienz, Sicherheit und wirtschaftlichem Wohlstand.
Weniger als ein Prozent der Forschungsgelder
Es gibt ermutigende Fortschritte: Seit dem Jahr 2000 ist die weltweite Müttersterblichkeit um 40 Prozent gesunken; erstmals gilt kein Land mehr als „extrem hoch“ von Müttersterblichkeit belastet. Aber das Tempo des Fortschritts hat sich verlangsamt – und deutliche Ungleichheiten bleiben bestehen. Frauen verbringen weiterhin 25 Prozent mehr Lebenszeit in schlechter Gesundheit als Männer. Erkrankungen wie Endometriose, postpartale Blutungen oder Gebärmutterhalskrebs und andere frauenspezifische Erkrankungen führen zu volkswirtschaftlichen Verlusten von über 86 Milliarden Dollar – erhalten aber weniger als ein Prozent der Forschungsgelder.
Die wirtschaftlichen Argumente sind eindeutig: Das McKinsey Health Institute stellt in der Studie „Closing the women’s health gap“ fest, dass jeder investierte US-Dollar in Frauengesundheit im Schnitt drei Dollar zurückzahlt – mit einem potenziellen Zuwachs der globalen Wirtschaftsleistung von einer Billion Dollar bis 2040. Dennoch bleibt die Finanzierung unzureichend, fragmentiert und oft politisch motiviert.
Anreize für Unternehmen und Regierungen
Ein Beispiel: Kleinere und vermeidbare gynäkologische Erkrankungen verursachen bei Frauen zwischen 15 und 49 Jahren eine größere Belastung als Malaria, Tuberkulose und HIV zusammen – erhalten aber nur rund ein Prozent der weltweiten Forschungsinvestitionen. Endometriose betrifft jede zehnte Frau, erhält aber praktisch keine Förderung bezogen auf die Krankheitsdauer. Start-ups mit Fokus auf Frauengesundheit erhalten nur zwei Prozent des globalen Risikokapitals, digitale Gesundheitslösungen für Frauen nur drei Prozent. Das ist nicht nur ein Forschungsdefizit – es ist ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Versäumnis.
In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen – die 54 Prozent der globalen Krankheitslast bei Frauen tragen – werden nur 23 Prozent aller klinischen Studien durchgeführt. Afrika verliert jährlich 2,4 Billionen US-Dollar aufgrund schlechter Gesundheitsversorgung und vorzeitiger Sterblichkeit. Es gibt daher einen starken wirtschaftlichen Anreiz für Unternehmen und Regierungen, aktiv zu werden. Gesunde Arbeitskräfte bedeuten weniger Produktivitätsverluste durch Fehlzeiten und geringere finanzielle Belastungen durch Behandlungen.
Partnerschaften und Renditeziele
Doch es gibt Lösungen. Innovative, kosteneffektive Ansätze retten Leben und transformieren Gesundheitssysteme. Für viele Systeme sind diese Ansätze oft nicht umsetzbar. Um das zu ändern, braucht es mutige, katalytische Investitionen: öffentliche und private Mittel im Zusammenspiel, das Abfedern von Risiken bei der Skalierung von Innovationen und die Unterstützung von Projekten mit messbarem Gesundheitseffekt und echtem wirtschaftlichem Nutzen.
Hier setzt UNFPA’s WomenX Collective an. Von Berlin aus – in Partnerschaft mit der Charité und dem Berlin Institute of Health (BIH) – fördert WomenX gezielt die Skalierung von Innovationen für Frauengesundheit in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Im Juni 2025 wird das nächste Zentrum in Nairobi eröffnet. Das Ziel: Eine sozioökonomische Rendite von sieben Dollar pro investiertem Dollar durch effektive Gesundheitsversorgung und gesunde Frauen, die aktiv zum Wohlergehen ihrer Familien und Länder beitragen.
Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es, das volle Potenzial technologischer Innovationen auszuschöpfen. Fortschritte in prädiktiven Modellen, KI-gestützter Präzisionsmedizin und Telemedizin eröffnen enorme Chancen für Frauen und medizinische Fachkräfte in abgelegenen Regionen – also, Technologien bei denen Charité und das BIH bereits heute führend sind. Das Weltwirtschaftsforum schätzt, dass die personalisierte, digitalisierte Gesundheitsversorgung bis 2030 weltweit bis zu elf Milliarden Dollar einsparen kann.
Deutschlands Rolle ist zentral
Innovation allein reicht nicht. Maßnahmen müssen koordiniert sein: von Regierungen mit mutiger Politik und nachhaltiger Finanzierung, von Investoren mit Weitblick für skalierbare Lösungen und von Stiftungen mit langfristiger Perspektive.
Deutschland spielt dabei eine zentrale Rolle. Mit Initiativen wie der German Health Alliance und dem World Health Summit bringt Deutschland wichtige Perspektiven und Stakeholder aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zusammen. Die neue Bundesregierung setzt auf konkrete Schritte für eine gender- und diversitätssensible Medizin, investiert verstärkt in Frauengesundheit und forciert den Abbau von Datenlücken. Mit seiner starken Gesundheitswirtschaft, globalen Netzwerken und innovativen Ansätzen der Finanzierung zeigt Deutschland: Frauengesundheit zu fördern ist eine moralische und strategische Notwendigkeit – zum weltweiten Vorteil von Frauen, Gesellschaften und Volkswirtschaften.
Auf der Internationalen Charité-Mayo-Konferenz 2025 bekräftigten zahlreiche Institutionen und Forscher:innen erneut ihren Einsatz für die Gesundheit von Frauen. Grund für Optimismus. Mit einem klaren Bekenntnis von Partnern in Deutschland und der Welt ist der Weg klar. Gemeinsam schaffen wir eine gerechtere Welt für Frauen – denn gesunde Frauen stehen für eine gesunde Welt.
Dr. Nigina Muntean ist Leiterin der Innovationsabteilung von UNFPA, der Organisation der Vereinten Nationen für sexuelle und reproduktive Gesundheit. Muntean konzentriert sich auf Innovationen, die die Chancengleichheit für Frauen und Mädchen verbessern. Sie ist unter anderem Mitbegründerin des Equalizer, des UNFPA Accelerator Fund, einer Investitionsfazilität, die Technologie und Fachwissen verbindet, um Ungleichheit zu beseitigen und Rechte und Wahlmöglichkeiten für alle zu gewährleisten, indem sie in Innovationen von Frauen, für Frauen und mit Frauen investiert.
Deepali Sood leitet als WomenX Collective Global Coordinator von UNFPA die Aktivitäten des Programms. Dabei konzentriert sie sich auf den Aufbau einer soliden Pipeline von wirkungsvollen Lösungen, die Mobilisierung von Ressourcen, gemischte und innovative Finanzierungen sowie die Förderung der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen, um die Gesundheit von Frauen und Mädchen zu verbessern.
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