Die Weihnachtszeit, die oft als die festliche Jahreszeit der Freude und Zusammenkunft gefeiert wird, kann für viele Menschen auch eine Zeit der Einsamkeit und Isolation bedeuten. Während viele Familien und Freunde sich versammeln, um gemeinsam zu feiern, fühlen sich andere allein und abgeschnitten. Die Erwartungen an fröhliche Zusammenkünfte können den Kontrast zu den eigenen Gefühlen der Einsamkeit verstärken. Doch die Herausforderung der Einsamkeit erstreckt sich weit über die festlichen Zeiten hinaus.
Obwohl wir in einer Welt leben, die immer vernetzter ist, leiden dennoch viele Menschen unter Einsamkeit. Dies kann verschiedene Gründe haben, von beruflichem Stress und hoher Arbeitsbelastung bis hin zu persönlichen Veränderungen wie Umzügen oder dem Verlust von sozialen Bindungen. Einsamkeit ist dabei nicht allein auf physische Isolation beschränkt. So können sich Menschen selbst inmitten einer Menschenmenge einsam fühlen.
Die Situation in Deutschland
In Deutschland leiden Millionen Menschen unter Einsamkeit. Laut Deutschland-Barometer fühlen sich etwa 25 Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger sogar sehr einsam. Dabei sind nicht nur ältere Personen betroffen, sondern auch junge Erwachsene und Kinder. Die gesundheitlichen Auswirkungen von Einsamkeit sind dabei nicht zu unterschätzen. Menschen, die sich einsam fühlen, haben ein höheres Risiko für psychische Probleme, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und eine geschwächte Immunabwehr. Zudem verursacht Einsamkeit hohe Gesamtkosten, sowohl für die betroffene Person als auch die Gesellschaft insgesamt. Forscher der US-Universität Stanford haben durch ihre Berechnungen festgestellt, dass Menschen, die von Einsamkeit betroffen sind, jährlich etwa 1600 Dollar an zusätzlichen Krankenversicherungskosten verursachen. Obwohl es in Deutschland keine vergleichbare Studie gibt, dürfte der Befund ähnlich ausfallen.
Dazu kommen die individuellen Kosten, die durch Einsamkeit entstehen. Untersuchungen verdeutlichen, dass Jugendliche, die Einsamkeit erfahren, tendenziell schlechtere Bildungsergebnisse erzielen und eher dazu neigen, das Studium abzubrechen. Dies kann wiederum zu nachteiligen wirtschaftlichen Ergebnissen führen. Das Gefühl der Entfremdung und mangelnder Unterstützung am Arbeitsplatz kann zudem dazu beitragen, dass Jobzufriedenheit und Leistung sinken. Daraus ergibt sich, dass Investitionen zur Bekämpfung von Einsamkeit nicht nur wirtschaftlich sinnvoll sind, ganz zu schweigen von den positiven Auswirkungen auf das individuelle Wohlbefinden jeder betroffenen Person.
Vor diesem Hintergrund hat die Ampel-Regierung den Kampf gegen die Vereinsamung als eines der drängendsten Themen unserer Zeit erkannt und im Koalitionsvertrag verankert. Seit Juni 2022 wurde nun eine Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit erarbeitet. Sie umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen, die darauf abzielen, Einsamkeit zu verhindern und zu reduzieren. Bei all unserem Engagement dürfen wir aber nicht außer Acht lassen, dass beim Kampf gegen Einsamkeit nationale Anstrengungen allein nicht ausreichen. Einsamkeit ist ein globales Problem, das eine koordinierte Antwort erfordert.
Nicht nur ein nationales Problem
Einsamkeit hat sich zu einer stillen Pandemie entwickelt, die die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen auf der ganzen Welt bedroht. So fühlen sich weltweit zwischen 5 und 15 Prozent der Jugendlichen einsam. In Afrika sind 12,7 Prozent der Jugendlichen von Einsamkeit betroffen, im Vergleich zu 5,3 Prozent in Europa. Aufgrund der damit verbundenen weitreichenden Auswirkungen auf die Gesundheit der Weltbevölkerung hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Einsamkeit als ein globales Gesundheitsproblem identifiziert.
Die WHO unterstreicht die Bedeutung sozialer Verbindungen als grundlegendes menschliches Bedürfnis und weist darauf hin, dass Einsamkeit nicht nur Einzelpersonen betrifft, sondern auch Gemeinschaften und Gesellschaften. Daher wird im Zuge des Jahrzehnts des gesunden Alterns der Vereinten Nationen (2021-2030) Einsamkeit als eines der zentralen Themen behandelt. Zudem hat die WHO eine neue Kommission für soziale Verbundenheit angekündigt, um Einsamkeit als akute Gesundheitsgefahr anzugehen, soziale Verbundenheit als Priorität zu fördern und die Umsetzung von Lösungen in Ländern mit unterschiedlichen Einkommensverhältnissen zu beschleunigen.
Auch Entwicklungs- und Schwellenländer betroffen
Obwohl Einsamkeit oft als Problem in Industrienationen wahrgenommen wird, existiert es in ähnlichem Maße in Entwicklungs- und Schwellenländern. Diese unsichtbare Herausforderung betrifft Menschen weltweit, unabhängig von ihrer geografischen Lage, und verdient eine differenzierte Betrachtung, die über die Grenzen von Industrienationen hinausgeht. In Indien beispielsweise zeigte eine Studie aus dem Jahr 2022, dass 20,5 Prozent der Erwachsenen im Alter von 45 Jahren und älter in Indien von mäßiger Einsamkeit berichteten, während 13,3 Prozent von schwerer Einsamkeit betroffen waren. Die Untersuchungen belegten, dass aktuelle demografische Veränderungen und sozioökonomische Übergänge, wie beispielsweise eine rasche Industrialisierung, sich nachteilig auf das generelle Wohlbefinden und das Empfinden von Einsamkeit in verschiedenen Teilen der indischen Gesellschaft auswirken.
In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern spielen traditionelle soziale Strukturen eine entscheidende Rolle im Leben der Menschen. Doch rasche soziale Veränderungen und Urbanisierung, die zwar wirtschaftliche Chancen bieten, können zu Veränderungen in den sozialen Strukturen führen, was wiederum zu einem Gefühl der Entfremdung und Einsamkeit beitragen kann. Gemeinschaften, die von wirtschaftlichen Unsicherheiten, Konflikten oder Naturkatastrophen betroffen sind, erleben häufig den Verlust sozialer Bindungen durch Migration oder den Wandel von Gemeinschaftsstrukturen, was wiederum zu einem Anstieg von Einsamkeit führt.
Darüber hinaus sehen sich diese Länder oft mit erheblichen Herausforderungen im Gesundheitswesen konfrontiert. Denn in vielen Fällen sind grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, einschließlich mentaler Gesundheitsversorgung, nicht verfügbar. Es ist von entscheidender Bedeutung, maßgeschneiderte Strategien zu entwickeln, die den spezifischen Herausforderungen in Schwellen- und Entwicklungsländern gerecht werden. Die Förderung von gemeinschaftlichen Aktivitäten, die Bereitstellung von Zugang zu Bildung und Gesundheitsdiensten sowie die Stärkung sozialer Unterstützungsnetzwerke können einen bedeutenden Beitrag leisten, um die Auswirkungen von Einsamkeit zu minimieren.
Einsamkeit global und koordiniert angehen
Die Bewältigung der Einsamkeit erfordert koordinierte Anstrengungen auf nationaler und globaler Ebene. Nationale Regierungen können Maßnahmen ergreifen, um soziale Verbindungen zu fördern, den Zugang zur psychischen Gesundheitsversorgung zu verbessern und das Bewusstsein für das Thema zu schärfen.
International ist eine Zusammenarbeit zwischen Ländern notwendig, um bewährte Praktiken auszutauschen und gemeinsame Strategien zu entwickeln. Die WHO spielt bei der Förderung globaler Initiativen zur Bekämpfung von Einsamkeit eine zentrale Rolle. Durch gemeinsame Anstrengungen von internationalen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft kann das Bewusstsein für die globalen Auswirkungen von Einsamkeit geschärft und wirksame Lösungen gefördert werden.
Der Kampf gegen Einsamkeit ist nicht nur eine persönliche Angelegenheit, sondern eine gesellschaftliche Verantwortung. Die Anerkennung von Einsamkeit als eine Herausforderung auf nationaler Ebene in Deutschland und gleichzeitig als globales Gesundheitsproblem bietet dabei die Möglichkeit einer umfassenden Antwort. Eine koordinierte globale Anstrengung, die Ressourcen, Forschungsergebnisse und bewährte Praktiken teilt, kann zu bedeutenden Fortschritten bei der Bewältigung dieses globalen Problems führen. Denn nur wenn wir gemeinsam und koordiniert gegen Einsamkeit vorgehen, können wir nicht nur das individuelle Wohlbefinden fördern, sondern auch eine gesündere, produktivere und chancengleiche Gesellschaft schaffen.
Andrew Ullmann ist gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Vorsitzender des Unterausschusses Globale Gesundheit und UNITE-Vorsitzender für die Region West- und Zentraleuropa. Sein Mitautor Amar Patnaik ist Mitglied im indischen Parlament und UNITE-Vorsitzender für die Region Indien.