Ab 1. Januar 2022 erhalten gesetzlich Versicherte ihre Arzneimittelverordnungen in Form elektronischer Rezepte. Untersuchungen zeigen, dass digitale Kanäle an Bedeutung gewinnen. Zwischen 2018 und 2025 wird das Marktvolumen im Gesundheitsbereich online schätzungsweise um das 2,8-Fache anwachsen. Health & Beauty stehen bei den Präferenzen nach Büchern/Musik/Filmen, Elektronik/Computern, Kleidung/Schuhen und Spielzeug schon heute an fünfter Stelle. Deshalb stellt sich die Frage: Wie verändert sich der deutsche Markt, sobald E-Rezepte digitale Kanäle noch attraktiver machen?
Ein Blick auf Details. In vielen Ländern Europas hat sich der Versandhandel mit Arzneimitteln längst etabliert, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Verbraucher aus Deutschland können schon heute rezeptpflichtige (Rx), nicht verschreibungspflichtige (OTC) oder frei verkäufliche Präparate erwerben. Ähnlich sieht es in Österreich, in den Niederlanden, in Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland, Estland, Litauen, Großbritannien oder Portugal aus. Spanien, Griechenland, Frankreich, Lettland, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Bulgarien und weitere Balkanstaaten schränken den Versand auf OTCs, nicht apothekenpflichtige Medikamente und Medizinprodukte ein. In Albanien, Bosnien, Montenegro, Serbien, Kroatien, Rumänien erhalten Konsumenten nur Produkte ohne Apothekenpflicht über das Internet.
Länder mit Rx-Versand: Kaum Effekte durch das E-Rezept
Wir wollten wissen, ob sich in Ländern mit Rx-Versand der Versandhandelsanteil verschreibungspflichtiger Präparate seit Einführung des E-Rezepts verändert hat, gemessen am Rx-Gesamtmarkt. Nur in Schweden (2019: sieben Prozent, 2020: elf Prozent) und im Vereinigten Königreich (2019: 2,4 Prozent, 2020: 4,3 Prozent) gab es Trends nach oben. In anderen Ländern veränderten sich die Zahlen nicht. In Schweden ist der Anstieg auf die Pandemie zurückzuführen und im Vereinigten Königreich endet die Übergangsfrist von Papier auf Digital. Auch das oft prognostizierte Sterben etlicher Vor-Ort-Apotheken blieb aus; in einigen Nationen nahm deren Zahl sogar leicht zu.
Der Arzneimittelversand ist ohnehin keine feste Größe, wie folgender Vergleich beispielhaft zeigt. Verbraucher aus Schweden erhalten ihre Medikamente zwei bis 24 Stunden nach der Bestellung, je nach Wohnort und je nach Verfügbarkeit im Zentrallager. Zu den wichtigsten Akteuren zählen Apothekenketten, es gibt zehn relevante Anbieter. Kunden können weder die Verfügbarkeit ihrer Präparate vorab ermitteln noch bestimmen, welche Versandapotheke sie beliefern soll.
Innerhalb Deutschlands erhalten Patienten ihre Medikamente meist nach zwei bis drei Tagen. Die Zahl an Vor-Ort-Apotheken sinkt stetig, wobei es für dieses Phänomen keine einfache Erklärung gibt. Der Markt wird von 30 relevanten Versandapotheken dominiert. Apothekenketten gibt es nicht; neben der Hauptapotheke darf eine Inhaberin oder ein Inhaber maximal drei Filialen besitzen. Reine Versandapotheken mit Sitz in Deutschland erlaubt der Gesetzgeber nicht; sie müssen mindestens eine Betriebsstätte vor Ort haben.
Lösen Patienten ihre Verordnung ein, steht ihnen unabhängig vom Vertriebsweg eine App zur Verfügung. Damit können sie nicht nur eine Apotheke auswählen, sondern auch die Verfügbarkeit abfragen.
Was folgt daraus für Deutschland?
Ob E-Rezepte die Apothekenlandschaft grundlegend verändern werden, lässt sich kaum abschätzen. Mehrere Faktoren werden definitiv eine Rolle spielen.
Logistik, Lieferzeit und Beratung: Für Apothekenleiter wird es immer wichtiger, nicht nur vor Ort zu beraten, sondern digitale Formate anzubieten. Diese sogenannte Telepharmazie ist technisch längst ausgereift, hat sich – anders als bei Arztpraxen – aber kaum durchgesetzt. Und seit Covid-19 gehören Botendienste immer öfter zum Angebot. Alles in allem erhalten viele Patienten ihre Medikamente innerhalb weniger Stunden, maximal innerhalb eines Tages. Um dieses Level zu erreichen, benötigen Versender eine andere Logistik mit Lagern an zentralen Knotenpunkten. Same Day Delivery, die Lieferung am gleichen Tag, haben sie bislang nur im Rahmen regionaler Tests angeboten.
E-Rezept-App: Das Programm entwickelt sich für Patienten, die ein Rezept einlösen möchten, zur zentralen Schnittstelle. Sie werden eine Vor-Ort- oder Versandapotheke anhand der Verfügbarkeit von Präparaten, anhand der Entfernung, der Lieferzeit sowie der Beratung auswählen. Drittanbieter können den vollen Umfang noch nicht nutzen. Das geht nur über Umwege wie Fotos des E-Rezepts.
Die Zeiten ändern sich
Ein „Weiter wie bisher“ wird es für keinen Arzneimittelanbieter geben. Vor-Ort-Apotheken sind unter Zugzwang, ihre Beratungsleistung noch stärker zu digitalisieren als bislang. Die Pandemie hat aber auch gezeigt, dass – abhängig von politischen Entscheidungen – medizinische Dienstleistungen wie Antigen-Schnelltests oder PCR-Tests möglich sind. Impfungen gehören ebenfalls zu den denkbaren Szenarien, bislang aber nur im Rahmen eines Modellprojekts zu Influenza.
Aber auch bei Arzneimittelversendern muss sich einiges tun. Das beginnt beim Ausbau der Beratungsleistung. Firmen sollten auch versuchen, schneller als bislang zu liefern – spätestens am nächsten Tag. Und so mancher Online-Shop lässt sich ebenfalls verbessern. Nicht zuletzt helfen systematische Marktanalysen dabei, das strategische und das betriebswirtschaftliche Handeln zu optimieren.
Bleibt als Fazit: Die Rahmenbedingungen europäischer Länder sind unterschiedlich. Daher ist es schwer, eine Aussage zu treffen, ob sich das E-Rezept zum Game Changer entwickelt oder ob sich kaum etwas verändern wird. Neue Konzepte im Versandhandel wie auch in der Vor-Ort-Apotheke gehen mehr auf die Bedürfnisse der Patienten und Konsumenten ein. Letztlich bewegen wir uns stark in Richtung einer Omni-Channel-Welt: Vor-Ort- und Versandapotheken bieten Kunden gemeinsam das bestmögliche Erlebnis bei Themen rund um die Gesundheit.
Ulrike Krumbach-Dörr ist Director Supplier Relations Management bei IQVIA Commercial in Deutschland.