Ein Datenraum kann eine ganze Industrie voranbringen, wenn alle Akteure mitziehen. Das gilt auch für den Europäischen Raum für Gesundheitsdaten (EHDS) der Europäischen Union. Er ist genau der richtige Ansatz, kann allerdings nur dann funktionieren, wenn es klare Richtlinien für alle Beteiligten gibt und der Patientennutzen im Mittelpunkt steht. Dabei gilt es insbesondere, Datenschutz, Sicherheit und Leitlinien des Datenraums zu gewährleisten und so Vertrauen zu schaffen. Denn gerade die Bereitschaft, hochsensible Daten zu teilen, setzt das voraus. Um die Daten im Vorfeld überhaupt erst verfügbar zu machen, ist die Umsetzung von Standards und Schnittstellen erforderlich sowie das Sicherstellen der Interoperabilität.
Zudem ist es wichtig, dass die beteiligten Patient:innen und Bürger:innen den Nutzen des Datenraums klar erkennen können. Wer seine Daten teilt, muss dafür auch einen Mehrwert erhalten. Und schließlich werden die relevanten Akteure wie Krankenhäuser und Praxen sowie Heil- und Hilfsmittelerbringer nur dann mitziehen, wenn die Benutzung anwenderfreundlich gestaltet ist. Die beste Plattform taugt nichts, wenn sie mit schlechtem Design abschreckt.
Dabei bietet der EHDS zahlreiche Chancen für das Gesundheitswesen und Patient:innen. Unter anderem kann er klinische Studien beschleunigen. Und je kürzer die Testzyklen sind, desto schneller sind im Anschluss wirksame Therapien und Medikamente verfügbar. Gerade bei chronischen Erkrankungen lassen sich über eine umfassende Datenauswertung zudem deutlich besser Risikofaktoren sowie Zusammenhänge erkennen. Das erleichtert die Prävention und ermöglicht präzisere Behandlungen. Die Korrelation der Informationen aus großen Datenmengen verbessert darüber hinaus die Diagnostik sowie Früherkennung von schweren Erkrankungen.
Woran hakt es noch?
Grundsätzlich geht die Regulierung den richtigen Weg: Um das notwendige Vertrauen der Patient:innen und Bürger:innen zu gewinnen, bezieht sie alle Beteiligten im Gesundheitssektor mit ein, schafft einheitliche Standards und setzt Datenschutzanforderungen um. Was momentan noch den Austausch und damit den Aufbau einer Datenbasis verhindert, ist die fragmentierte Datenlage und fehlende Interoperabilität zwischen den Stakeholdern im Gesundheitswesen sowie zwischen Anwendungen und Technologien.
Darüber hinaus dauert es häufig zu lange, bis innovative Lösungen im Gesundheitssystem bewertet und eingesetzt werden können. Ein denkbarer Weg, um das zu umschiffen, wäre die Opt-out-Regelung des EHDS – also die Notwendigkeit einer aktiven Entscheidung dagegen. Ein solches Vorgehen würde eine umfassendere Datenlage erlauben und somit innovative Versorgungslösungen unterstützen. Wir sehen allerdings in unterschiedlichen Diskursen derzeit – etwa der elektronischen Patientenakte (ePA) – dass Opt-out-Lösungen hierzulande auf Widerstand stoßen.
Vertrauen durch Pilotprojekte schaffen
Patient:innen sind in diesem Falle gegenüber der Erhebung, Auswertung und Nutzung ihrer intimsten Gesundheitsdaten skeptisch. Sie wissen nicht, was mit den Daten passiert und haben Angst davor, dass sie für die unterschiedlichsten Zwecke missbraucht werden könnten. Genau deshalb ist es wichtig, ihnen Nutzen und Sicherheit des EHDS zu demonstrieren, was im aktuellen Stadium noch eine anspruchsvolle Aufgabe ist. Erfolgreiche Pilotprojekte wie zum Beispiel eine europaweite Nutzung der ePA, länderübergreifende klinische Forschung oder eine verstärkte Zusammenarbeit von Forschungszentren könnten hier einen Grundstein des Vertrauens legen.
Eine hohe Hürde stellt darüber hinaus fehlendes Know-how dar, sowie mangelnde finanzielle und kapazitäre Ressourcen bei den beteiligten Institutionen, Kliniken, Unternehmen und Verbänden. Die strukturellen Probleme verhindern hier zu oft eine saubere Umsetzung der Anforderungen, insbesondere technischer und fachlicher Natur.
EHDS als Wegbereiter für KI-Einsatz
Gesundheitsdaten sind ein wertvoller Rohstoff. Aus ihnen lassen sich unterschiedlichste Anwendungsmöglichkeiten ableiten, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind – und der EDHS etabliert ist. Auf dem Weg dahin ist allerdings noch einiges zu tun: die umfassende Erhebung von Daten, deren digitale Abbildung, sowie die Standardisierung der Daten aus unterschiedlichen Bereichen der medizinischen Leistungserbringung. Nur wenn wir möglichst viele Daten zusammenführen und auswertbar machen, können umfassende Analysen, zum Beispiel in klinischen Studien, Mehrwerte für die Diagnostik und Behandlung bringen.
Das erlaubt dann auch den Brückenschlag zu Künstlicher Intelligenz (KI), denn in Analysen und Mustererkennung demonstriert die Technologie ihre größten Stärken. Laut einer Verbraucherumfrage von Capgemini glauben 68 Prozent der Befragten, dass medizinische Beratung durch generative KI hilfreich wäre. Und 63 Prozent begrüßen, dass generative KI bei der effizienten Entwicklung neue Medikamente helfen könnte. Doch bislang erkunden die Akteure des Gesundheitswesens das Potenzial von KI noch zu wenig und gehen bei der Erprobung und Umsetzung von Anwendungsfällen sehr zaghaft vor. Hier müsste noch einiges passieren, um den größtmöglichen Nutzen für alle Beteiligten zu ziehen.
So müssen die Voraussetzungen für wichtige KI-Anwendungsszenarien geschaffen und ausgebaut werden, denn um aus den Datenanalysen lernen zu können, ist ein breiterer KI-Einsatz vonnöten. Das hilft auch, Fragestellungen miteinander zu verbinden, effizientere Auswertungen zu ermöglichen und Ableitungen für die öffentliche Gesundheit zu treffen, beispielsweise bei Pandemien und im Rahmen klinischer Studien. Ohne eine valide und verwertbare Datenbasis stoßen die entsprechenden KI-Anwendungen bei der zweckgebundenen Datenverarbeitung an ihre Grenzen. Der EHDS ist daher ein sinnvoller Schritt in die richtige Richtung – denn nur mit hochwertigen, sicheren Daten lassen sich die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten mit KI gestalten.
Ulrike Volejnik ist Executive Vice President & Head of Industry Health und seit 2012 Mitglied der Geschäftsleitung der Telekom MMS. Seit Anfang 2023 verantwortet sie den Marktangang für die Health-Branche. In dieser Funktion unterstützt sie Akteure im Gesundheitswesen, wie zum Beispiel Kliniken und Versicherungen, auf dem Weg der digitalen Transformation.