Die von Karl Lauterbach im Dezember 2022 angekündigte „Revolution“ stand eine Zeit lang unter keinem guten Stern. Von Beginn an gab es vonseiten der Länder Widerstand gegen die Vorschläge der Regierungskommission zur Neugestaltung der Kliniklandschaft. Die Länder-Ressortchefs wollten sich nicht in ihre Krankenhausplanung hineinreden lassen. Es folgte ein monatelanges Ringen zwischen Bund und Ländern, dessen Ausgang bis zum Schluss ungewiss blieb.
Mit dem im Juli vorgestellten Eckpunktepapier schien dann endlich der große Durchbruch gelungen zu sein. Kurz vor der Sommerpause sah es so aus, als sei der „Revolution“ wieder neues Leben eingehaucht worden. Die Politik feierte sich für ihren Erfolg. Klinikgeschäftsführer jedoch starteten mit vielen Fragezeichen, großer Unsicherheit und noch größeren finanziellen Sorgen in die Sommerferien.
„Kalte“ Strukturbereinigung wirkt positiven Effekten entgegenDie durch den bisherigen Verlauf der politischen Diskussion zutiefst verunsicherte Kliniklandschaft hofft, dass der Referentenentwurf am Ende des Sommers mehr Klarheit für die Zukunft bringen wird. Denn von Planungssicherheit kann bei den allermeisten Krankenhäusern aktuell keine Rede sein. Viele Kliniken ächzen unter der Last von steigenden Kosten, Inflation und neuen Tarifabschlüssen, sodass bei einigen offen ist, ob sie überhaupt bis zum Tragen der Reform durchhalten. Eine unkontrollierte Insolvenzwelle, vor der die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) lautstark seit Monaten warnt, würde den erhofften positiven Effekten der Krankenhausreform entgegenwirken. So würde sie etwa eine bessere und bedarfsgerechte Umverteilung der knappen personellen Ressourcen erschweren. Eine gut geplante Anpassung der Kliniklandschaft hätte dazu geführt, Personal regional dorthin zu verteilen, wo es gebraucht wird. Fachkräfte, deren Klinik insolvent geht, folgen jedoch ihren eigenen Regeln.
Hinzu kommt die Befürchtung, die die bayerischen Landrätinnen und Landräte an Karl Lauterbach in einem offenen Brief äußerten: „Es droht eine willkürliche Schließung von Krankenhäusern in der Fläche, bei denen wir später nach der Anpassung der Krankenhausplanung erkennen, wie notwendig ihre Existenz gewesen wäre.“ Natürlich handelt ein jeder Landrat, eine jede Landrätin auch im Eigeninteresse, wenn sie vor Klinikschließungen warnen. Wer möchte diese schon seinen Wählern verkaufen müssen? Doch die Politiker haben hier einen Punkt: Strukturen, die einmal verschwunden sind, lassen sich im Nachhinein nicht einfach wieder aus dem Hut zaubern. Wenn der Staat eine wohnortnahe, qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung sicherstellen will, darf er dies nicht dem Zufall überlassen. Dies heißt, dass er noch einmal Geld in die Hand nehmen müssen wird, um die Liquidität der Kliniken zu sichern.
Kooperations- und Fusionsmöglichkeiten auslotenDass es eine Überversorgung in Deutschland gibt, zeigen die Vergleiche mit den europäischen Nachbarn. Laut OECD hatte Deutschland im Jahr 2021 7,8 Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner. In Frankreich lag der Wert bei 5,7 (Jahr 2020), in Dänemark bei 2,5 und in den Niederlanden bei 2,9. Um qualitätsorientierte Schwerpunkte in der Versorgung zu schaffen, wird daher nicht jeder weitermachen können wie bisher. Abwarten und nichts tun, bis sich die Mühlen der Politik bewegen, ist für Kliniken in der jetzigen Situation aber keine Option. Kliniken müssen ins Handeln kommen und die Planung zum Teil selbst in die Hand nehmen.
Einzelne Klinikgeschäftsführer beginnen bereits, sich mit ihren Kollegen in der Region zusammensetzen und Kooperations- oder auch Fusionsmöglichkeiten ausloten. In Regionen, in denen sich Angebote mehrerer Klinikstandorte überschneiden, werden aktuell Geräte doppelt vorgehalten und das knappe Personal ineffizient aufgeteilt – das ist weder wirtschaftlich noch patientengerecht. Die Zentralisierung eines Leistungsbereichs auf einen oder wenige Standorte in einem Landkreis und einer Region sorgt automatisch dafür, dass dort die Qualität der Behandlungen steigt, da Fachwissen, Routine und interdisziplinäre Zusammenarbeit gebündelt werden.
Konfrontationen werden sich häufenDass dies eigentlich im Sinne der Patienten ist, ist in der Praxis vor Ort allerdings immer wieder schwer vermittelbar. Hier liegt ein wesentlicher Punkt, der über das Gelingen der Krankenhausreform am Ende mitentscheiden wird. Kommunal- und Landespolitiker müssen den Mut haben, auch unpopuläre Entscheidungen durchzuziehen. Die Beispiele Imland-Kliniken und Weilheim-Schongau zeigen, wie selbst von Lokalpolitikern und Klinikgeschäftsführern einvernehmlich getroffene Strukturveränderungen durch Bürgerentscheide abgeschmettert werden. Während das Land Bayern den Bürgerentscheid zu den Kliniken in Weilheim und Schongau allerdings als bindend ansieht, reagierte das Gesundheitsministerium in Schleswig-Holstein anders. Es überstimmte den Bürgerentscheid zum Erhalt der Krankenhausstandorte der Imland-Kliniken in Rendsburg und Eckernförde.
Konfrontationen wie diese werden sich häufen. Die Umsetzung der Krankenhausreform wird zwangsläufig mit Zumutungen und Unannehmlichkeiten einhergehen. Zu ihnen gehört auch die Wahrheit, die bisher so deutlich selten ausgesprochen wird: Einige Krankenhäuser werden in Zukunft keine mehr sein. Die Bezeichnung „Level-1i Krankenhaus“ ist im Grunde genommen ein kluger Etikettenschwindel von Karl Lauterbach, denn die Bezeichnung „Krankenhaus“ bleibt erhalten und suggeriert dem Bürger eine weiterhin existierende stationäre Versorgung, obwohl diese mit der bisherigen Krankenhausversorgung nichts mehr zu tun haben muss. Laut Deutschem Ärzteblatt könnten deutschlandweit 350 Kliniken diesem Level zugeordnet werden. Häuser, die mutmaßlich dazu gehören, müssen sich im Grunde genommen jetzt dieser Herausforderung stellen und mit der Planung ihrer zukünftigen Leistungen und Ausstattungen beginnen. Doch dazu gibt es noch viel zu viele Fragezeichen hinsichtlich der Organisation und Aufteilung von stationärem und ambulanten Bereich sowie der Finanzierung dieser Häuser.
Der Zeitplan für die Umsetzung der Reform ist sportlich: Zum 1. Januar 2024 soll das Gesetz in Kraft treten. Ab 2026 sollen die geplanten Vorhaltebudgets ausgezahlt werden. Dazwischen liegen noch zahlreiche ungeklärte Fragen. Eine davon ist, wie sehr die Kliniklandschaft bis dahin durch eine Welle von Insolvenzen, die durch die unzureichend geklärte Finanzierung ausgelöst wird und schon im Gange ist, ausgedünnt wird und wer überhaupt noch an den neuen Entwicklungen teilhaben wird. Auch wenn insgesamt nicht so viele Kliniken insolvent gehen werden, wie viele befürchten. Im Sinne einer flächendeckenden und qualitativ hochwertigen Patientenversorgung in der Zukunft sollten die größten Unsicherheiten von der Politik besser heute als morgen ausgeräumt werden.
Prof. Dr. med. Djordje Nikolic ist Vorsitzender der Geschäftsführung von consus.health und Professor für Klinikmanagement.