Mit einem konstanten Frauenanteil von mehr als 75 Prozent ist das Gesicht der Gesundheitsversorgung weiblich. Doch das spiegelt sich in den Führungspositionen der Gesundheitswirtschaft bislang nicht wider. Nicht einmal jede fünfte Stelle (17 Prozent) im Topmanagement ist mit einer Frau besetzt. Dabei hätten qualifizierte und motivierte Frauen, an denen es in den Unternehmen und Kliniken nicht mangelt, gute Chancen, auf Ebene der Geschäftsführung die Gesundheitsversorgung entscheidend voranzubringen.
Organisationen, die in ihren Strukturen geschlechtliche Vielfalt berücksichtigen, performen ökonomisch nachweislich besser. Allerdings erst, wenn mindestens 30 Prozent aller Führungsrollen und strategischen Positionen in weiblicher Hand sind. Sich dafür auf den Effekt des Zweiten Führungspositionengesetzes (FüPoG II) zu verlassen, das börsennotierte Unternehmen mit mehr als drei Vorstandsmitgliedern zur Beteiligung von Frauen im Gremium verpflichtet und sie als Teil der Unternehmensführung auch für Körperschaften des öffentlichen Rechts wie den gesetzlichen Krankenkassen vorschreibt, reicht nicht aus.
Diversität ist ein Wettbewerbsvorteil
Gleichwohl ist die Quote ein wichtiger Wegbereiter. Am Ende dieses Wegs muss die paritätische Besetzung aller Führungsebenen das angestrebte Ziel sein. Überall dort, wo öffentliche Gelder ausgegeben werden, muss die Politik Parität in Führungsebenen durchsetzen. Der „Runde Tisch Frauen im Gesundheitswesen“ hat mit einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung die Politik sowie Unternehmen und Organisationen der Gesundheitsbranche dazu aufgefordert, Personalentwicklung, Kultur und Strukturen zu reformieren.
Warum? In der noch oft als Herausforderung titulierten Dynamik einer weiblichen Workforce bietet sich die Chance, unsere Gesundheitsversorgung grundlegend zu verändern. Eine Fokussierung auf „weiblich“ assoziierte Aspekte wie Zusammenarbeit im Team, Kooperation zwischen den Gesundheitsberufen, flache Hierarchien, aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Aufwertung von Pflege und Care-Arbeit etc. liegt das Potenzial, Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen auf der einen Seite und die Versorgungsabläufe auf der anderen Seite substanziell zu verbessern. Dazu gehört das Aufbrechen von Versorgungssilos, mehr Patient:innenzentrierung, mehr Fokus auf gendergerechte Medizin sowie eine stärkere interprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit aller an der Versorgung und Pflege Beteiligten – was letztlich die Chance bietet, ein Gesundheitswesen zu schaffen, dass sich an Bedürfnissen von PatientInnen und der dort Beschäftigten orientiert.“
Wer die Weichen stellt für mehr Frauen in Entscheidungsfunktionen des Gesundheitswesens, stellt gleichzeitig die Weichen für eine nachhaltige Weiterentwicklung des Systems.
Aufstiegschancen bauen und zielorientierte Anreize schaffen
Was Frauen wiederum brauchen, sind nicht allein durch Quoten „freiwerdende“ Chefsessel, sondern eine neue Unternehmenskultur. Eine Kultur, die sich daran ausrichtet, welche Vorteile Frauen in Führungspositionen und gemischte Teams generieren. Eine Kultur, die neben familienfreundlichen Terminregeln flexible Arbeitszeiten und -orte kennt. Eine Kultur, die Müttern und Vätern gleichermaßen erlaubt, ihre Erziehungszeit flexibler als bisher zu gestalten. Für Männer und Frauen muss Job-Sharing auch in Top-Positionen möglich sein. Bislang scheitert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch allzu oft an mangelnden strukturellen Voraussetzungen in den Unternehmen der Gesundheitsbranche.
Fort- und Weiterbildung ebnen den Weg an die Spitze. In der Pflege kann eine Professionalisierung neue Karrieremöglichkeiten schaffen und zugleich die Attraktivität des Berufsfelds steigern. Durch Weiterqualifizierung können wir gleichzeitig den großen Herausforderungen immer komplexer werdender Versorgungsbedarfe besser begegnen. Wo es mehr Perspektiven gibt und die Möglichkeiten vielfältiger werden, da entfaltet sich Potenzial und erwächst neue Kreativität. Von der wachsenden Attraktivität als Arbeitsgeber auf einem hart umkämpften Personalmarkt ganz zu schweigen. Darüber hinaus muss auch über finanzielle Anreize gesprochen werden, um die weibliche Workforce im Gesundheitswesen zu halten. Eine Angleichung von Verdiensten, Gehältern und Renten hat deshalb Priorität. Und auch unser Sozial- und Steuersystem gehören auf den Prüfstand. Beide fußen auf tradierten Rollenbildern, die Geschlechtergerechtigkeit geradezu konterkarieren.
Cornelia Wanke, Geschäftsführerin von Wanke Consulting, ist im Vorstand der Healthcare Frauen (HCF) e.V. und gehört zu den Gründerinnen des Vereins Spitzenfrauen Gesundheit, dessen Co-Vorsitzende sie ist. Johanna Nüsken ist Geschäftsführerin des Bundesverbands Managed Care e.V. (BMC), deren mehr als 230 Mitglieder nahezu die gesamte Bandbreite der Akteure im Gesundheitswesen repräsentieren.