Während die einen noch diskutieren, ob ihre Nutzung einen Mehrwert bietet und sich die anderen im Ausschreibungssumpf und zwischen ISO-Normen verirren, ordern andere schnell, was sie noch kriegen können. Die Rede ist von Luftfiltern in den Schulen. Und es scheint, als habe den Diskurs um deren Einsatz nun endgültig der Wahnsinn ergriffen.
Seit Monaten ist das Thema umkämpft. Es könnte ein spannendes Tauziehen zwischen Politik, Behörden und Eltern sein – ginge es nicht um Gesundheitsrisiken und die Frage, ob wir Schulkindern einen weiteren „Corona-Winter“ mit Jacke, Schal und Mütze im Unterrichtsraum zumuten wollen (und dürfen), ob das Lüften bei durchschnittlich null Grad Celsius wirklich die einzige Option ist.
Bitte nicht falsch verstehen: Lüften ist gut und sinnvoll, aber wirklich niemand sollte das zum Dauerzustand in spätherbstlichen und winterlichen Klassenräumen erklären. Doch genau dort könnte es auch dieses Jahr wieder enden, selbst wenn die Politik endlich die Experten des Umweltbundesamtes ernst nehmen würde. Dessen Geschäftsführer der Innenraumlufthygiene-Kommission, Heinz-Jörn Moriske, stellte unlängst klar: „Natürlich helfen mobile Luftfilter gegen Viren – wenn es sich um geprüfte Geräte handelt und sie richtig im Klassenraum aufgestellt sind.“ Leider droht bei eben diesen geprüften Geräten ein Mangel. Sie sind nicht so rasch zu beschaffen, wie es nach dem langen Zögern nötig wäre.
Engpässe treiben die Preise
Selbst wenn alle Hersteller unter Hochdruck produzieren, hätten wir nicht mehr rechtzeitig genug Luftreiniger, um den Bedarf zu decken. Logistik-Engpässe und auch der Einbruch in der Herstellung der Schaltelektronik führen zu massiven Verzögerungen. Teilweise verlängern sich die Lieferzeiten für einzelne Komponenten von ursprünglich wenigen Tagen auf mehrere Wochen. Wie groß der Materialmangel ist, zeigen aktuelle Umfrageergebnisse des Ifo-Instituts über die gesamte Industrielle Fertigung hinweg: Bis Juli waren 63,8 Prozent der Industrieunternehmen betroffen. Dabei haben die Hersteller elektrischer Ausrüstungen, also auch diejenigen, die Luftreiniger bauen, in Bezug auf Halbleiter und Chips mittlerweile auch die Autobauer und deren Zulieferer überholt. Doch der Mangel trifft nicht nur auf komplexe Elektronik zu, sondern auch auf einfache Komponenten wie Lüfter.
Die Engpässe treiben die Preise. Um ihre Kalkulation dennoch aufrechterhalten zu können, mussten Hersteller schon vor Monaten von Luft- auf Seefracht umstellen. Nun ist jedoch auch der einst verlässliche Seeweg in Gefahr, da es neben der Knappheit an Leercontainern auch zu Rückstaus an großen Häfen und Umschlagplätzen kommt. Die Kosten sind hierbei analog zur Luftfracht explodiert. Im Displaybereich schlägt das bereits mit vielen Preissteigerungen durch – und weitere Branchen werden in den nächsten Monaten darunter leiden. Vermutlich hält diese angespannte Situation bis in das zweite Quartal 2022 an.
Die Not wird zu Lasten der Qualität gehen
Die entstehende Not wird zudem zu Lasten der Qualität gehen. Das hat zwei Gründe: Erstens werden jetzt, da sich die Debatte endlich um die Leistungsfähigkeit und Qualität der Geräte dreht, viele sagen: Egal was, Hauptsache noch ein Gerät bekommen! Das wäre jedoch fatal, denn längst nicht alle Geräte sind gleichermaßen für jeden Zweck geeignet. Die Gefahr ist, dass ungeeignete Geräte angeschafft werden, die am Ende ungenutzt im Keller stehen.
Ein Praxis-Beispiel dafür gab mir Katrin Schäfer, die Schulleiterin des Pankower Gymnasiums am Europasportpark, mit der ich vor kurzem zu dem Thema gesprochen habe: „Die Geräte, die wir bisher bekommen haben, kosten 5.200 Euro im Jahr an Wartungskosten“, sagte sie. „Wir müssten das aus einem bestimmten Topf bezahlen, der gerade einmal doppelt so hoch ist – für das ganze Jahr. Davon zahlen wir Tische, Stühle und solche Dinge.” Zudem sind die Geräte zu laut und zu schwer, nun stehen sie in Abstellräumen statt in Klassenräumen. Dazu kann es auch vorkommen, dass zum Beispiel ein Mangel von HEPA-Filtermaterial dazu führt, dass qualitativ minderwertige Filter verbaut werden.
Behörden-Pingpong und Misstrauen
Das Kernproblem bleibt jedoch die verzögerte Fertigstellung, weil etwa Steuerplatinen nicht da sind, die sich nicht ersetzen lassen. Bei ausreichend Vorlauf und langfristiger Planung ließen sich die Probleme beheben. Nicht aber, wenn die Politik wie aktuell wortwörtlich bis zur letzten Sekunde wartet, um Ausschreibungen zu vergeben: Für den Schulstart im August wurden diese teilweise erst im Juli veröffentlicht. Das ist jedoch viel zu kurz gedacht – allein schon, weil die Logistik sechs bis acht Wochen in Anspruch nimmt. Wenn dann noch für fast jede Ausschreibung unterschiedlichste Anforderungen und Qualitätsmerkmale ausschlaggebend sind, droht ein Ende im Chaos. Dabei gäbe es einheitliche Standards wie etwa die ISO 16000-36:2018. Und man könnte durchaus zentraler ausschreiben, um das Chaos zu bezwingen und Qualitätsstandards aufrecht zu erhalten.
Die Debatte ist genauso verfahren, wie sie auf den ersten Blick aussieht. Die Ursachen sind das andauernde Behörden-Pingpong und das offensichtliche Misstrauen der Politik. Dabei könnten wir, würden wir einmal über den nationalen Tellerrand schauen, schnell sehen, wie es besser gehen kann. Besonders Länder wie Südkorea, in denen das Thema Luftqualität schon wesentlich länger ein essentielles Thema ist, sind uns um Meilen voraus. Über das „ob“ wird dort längst nicht mehr diskutiert. Doch statt deren Expertise in diesem Bereich anzuerkennen und nachzuahmen, lassen wir die Möglichkeiten eines sicheren Präsenzunterrichts ähnlich ungenutzt, wie das Potenzial des E-Learnings zuvor.
Carsten Hermann ist CEO Europe und Co-Gründer der ScreenSource GmbH, die unter anderem Luftreiniger anbietet.