Der 128. Deutsche Ärztetag hat sich in einem Beschluss zur Rolle der Homöopathie im ärztlichen Berufsfeld positioniert. Er sieht diese als „in der Regel unvereinbar“ mit rationaler (also wissenschaftsorientierter) Medizin, dem Gebot der bestmöglichen Behandlung sowie einem „angemessenen Verständnis medizinischer Verantwortung und ärztlicher Ethik“ an.
Der Beschluss bezieht sich unter anderem auf eine Sentenz des ehemaligen Vorsitzenden der Gesellschaft für Innere Medizin, Professor Johannes Köbberling: „Die Wahrung der Wissenschaft in der Medizin stellt eine ethische Verpflichtung dar. Eine am Patientenwohl orientierte menschliche Medizin lässt sich nur durch die Wissenschaft realisieren.”
Ergänzend forderte der Ärztetag die Politik auf, die auf die Homöopathie bezogenen Abrechnungsmöglichkeiten in EBM und GOÄ zu streichen und die arzneimittelrechtliche Bevorzugung der Homöopathie zu beenden, die den Mitteln der Homöopathie den Arzneimittelstatus ohne wissenschaftliche Nachweise einer spezifischen Wirksamkeit zugesteht. Noch während der Beratung auf dem Ärztetag wurde dem damit begegnet: Man wolle ein „Berufsverbot“ installieren, hier werde lediglich von Seiten der nicht homöopathisch Tätigen eine „Neiddebatte“ geführt und man möge nicht „die Ethikkeule schwingen“ und das Patientenbedürfnis nach homöopathischer Behandlung nicht unberücksichtigt lassen.
Wissenschaftliche Grundsätze als Gebot
Angesichts der Beschlussformulierung und der Begründung im Beschlussvorschlag muss dies erstaunen. Selbstverständlich geht es nicht um ein „Berufsverbot“, was auch vor dem Ärztetag juristisch geprüft worden ist. Es geht vielmehr um die Frage der Vereinbarkeit mit dem Gebot, die ärztliche Profession nach wissenschaftlichen Grundsätzen auszuüben. Und um die ethischen Fragen, die eine Anwendung von Homöopathie jedenfalls dann aufwirft, wenn sie nicht als Offenes Placebo erfolgt. Die Unwissenschaftlichkeit der Homöopathie und ihren fehlenden Wirkungsnachweis setzt der Beschlussvorschlag dabei im Konsens mit der ganz überwiegenden Sicht der Wissenschaft voraus.
Um den in der Rezeption des Beschlusses hervorgehobenen finanziellen Aspekt („Streichung aus der GOÄ“) geht es im Beschlussvorschlag, wenn überhaupt, aber nur nachrangig. Es sei dazu hervorgehoben, dass eine nicht marginale und gar zumindest teilweise von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommene Therapie beim Patienten den Eindruck einer etablierten und wirksamen medizinischen Versorgung hervorrufen muss – was das Gegenteil dessen sei, was angesichts der verbreiteten Fehlinformationen zur Homöopathie anzustreben ist.
Dies wird man insgesamt als den zentralen Punkt des Ärztetagsbeschlusses ansehen müssen: als den Beitrag der Ärzteschaft zur Eindämmung der weithin in der Bevölkerung verbreiteten Überzeugung, „mit der Homöopathie eine bewährte, teils der ‚Schulmedizin‘ gleichwertige Option (‚Alternative‘) zur Verfügung zu haben“.
Patiententäuschung muss vermieden werden
Insbesondere eine hierauf beruhende „Beliebtheit“ der Homöopathie bezeichnet die Beschlussbegründung aus der Sicht rationaler Medizin nicht etwa als rechtfertigenden „Bonus“ der Methode, sondern – völlig zu Recht – als Hypothek für eine rationale und ethisch gegründete ärztliche Berufsausübung und gleichzeitig für die Gesundheitskompetenz der Patientenschaft, die sich nach wie vor hauptsächlich aus der Arzt-Patienten-Beziehung speist.
In mancher Reaktion auf den Beschluss klingt durch, dass die klaren Regeln der ärztlichen Ethik insbesondere bei der Anwendung von Placebotherapien nicht wirklich allgemein bekannt sind. Dabei ist eindeutig, dass jede Täuschung des Patienten, jeder Irrtum, gleich ob auf Therapeuten- oder auf Patientenseite, bei der gemeinsamen Therapieentscheidung unter allen Umständen vermieden werden muss. WHO und Weltärztebund sind derzeit sogar dabei, das Regelwerk zur medizinischen und ärztlichen Ethik noch weiter zu schärfen.
Kollegiale Toleranz und Verlegenheitsverschreibungen
Die Akzeptanz der Homöopathie in der Ärzteschaft ist zwar den Zahlen nach – nur einige tausend Ärzte verfügen über die „ärztliche Zusatzbezeichnung Homöopathie“ – gering, jedoch hat sich eine gewisse „kollegiale Toleranz“ gegenüber „komplementärmedizinisch“ tätigen Kollegen etabliert. Vor dem Hintergrund eines „Hilft's nicht, so schadet's nicht“ (was nicht zutrifft) bis hin zur Chance einer Verlegenheitsverschreibung bei bestimmten Patienten (was sehr problematisch ist), scheinen die vom Beschluss des Ärztetages fokussierten Aspekte bislang kaum ausreichend reflektiert worden zu sein.
Die Bedeutung des Beschlusses sollte also auch darin gesehen werden, diese Reflexion breiter als bisher in Gang zu bringen. Immerhin liegt hier eine mehrheitlich beschlossene fachliche und standespolitische Position vor, die zwar keine Verbote beinhaltet, aber zumindest eine Auseinandersetzung mit ihren Prämissen einfordert.
Auswirkungen auf die Politik?
Mit dem Beschluss vom 10. Mai 2024 setzt der Ärztetag nach der Streichung der Homöopathie aus der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer (2022) einen weiteren deutlichen Akzent. Zweifellos hatte auch die aktuelle Unentschlossenheit der Politik, die gerade erst ihren eigenen Vorstoß zum Ende der Erstattungsfähigkeit von Homöopathie in der gesetzlichen Krankenversicherung wieder zurückgenommen hatte, ihren Einfluss auf die Initiative aus der Ärzteschaft.
Möglicherweise hat der aktuelle Beschluss nun auch wieder Rückwirkungen auf die Politik. Zumindest ist der politischen Ebene das Argument nicht mehr zugänglich, die Ärzteschaft selbst toleriere ja die Homöopathie in ihren Therapiespektrum. Was ein gewisses Gewicht haben sollte.
Der HNO-Arzt Dr. Christian Lübbers (46) ist Sprecher des Informationsnetzwerks Homöopathie und einer der umtriebigsten Kritiker dieser Behandlungsform in Deutschland. Startschuss für sein Engagement war ein Vorfall in seiner Praxis im oberbayerischen Weilheim, als er einem vierjährigen Kind mit eitriger Mittelohrentzündung mehrere Globuli aus dem Ohr holen musste.