Krankenhäuser schreiben rote Zahlen. Ein Aspekt der Krankenhausreform ist daher die finanzielle Sicherung der stationären Gesundheitsversorgung. Leistungsunabhängig, also unabhängig von der Anzahl der behandelten Patienten, sollen nach aktuellem Diskussionsstand zwischen Bund und Ländern etwa 60 Prozent der Gesamtkosten eines Krankenhauses finanziert – oder besser gesagt – erstattet werden. Die restlichen, über die Patientenbehandlungen steuerbaren 40 Prozent der Kosten sollen weiterhin über das im Jahr 2004 eingeführte Fallpauschalensystem (DRGs) vergütet werden. Ein deutlicher Schritt zurück in Richtung des Selbstkostendeckungsprinzips aus dem Jahr 1972.
Krankenhäuser waren über die Selbstkostendeckung in ihrem Bestand gänzlich ungefährdet, es existierten jedoch weder Anreize für wirtschaftliches Handeln noch für die Verbesserung der Versorgungsqualität. Um nicht wieder in ein durch die Vergangenheit geprüft insuffizientes System zurückzuverfallen, sollte die Erstattung von Vorhaltekosten nur für sehr ausgewählte Bereiche Anwendung finden. Sinnvoll ist die Erstattung von Vorhaltekosten sicherlich für die Notfallambulanzen, Intensivstationen, Kindermedizin und Neonatologie. Für die Notfallambulanzen existiert allerdings bereits eine leistungsunabhängige Teilfinanzierung durch jährliche Vergütungspauschalen in Abhängigkeit zur infrastrukturellen und personellen Vorhaltung. Diese sollten auf Ihre hinreichende Höhe zu Kostendeckung nochmals überprüft werden und könnten vom Konzept her auch auf die Finanzierung von Intensivstationen übertragen werden. Der überwiegende Teil der Kosten sollte hingegen unbedingt durch leistungsabhängige Vergütung refinanziert werden. Leistungen eines Krankenhauses, die qualitativ hochwertig sind, werden häufiger durch die Patienten und Patientinnen in Anspruch genommen und sind so zugleich Quelle für einen wirtschaftlichen Betrieb. Die 60-Prozent-Kostenerstattung wird nicht dazu führen wird, dass ein relevanter Anteil der defizitären Einrichtungen gerettet wird – zumindest nicht, sofern das Gesamtbudget annähernd unverändert bleibt.
An der Patientenversorgungsqualität muss sich jede Regulatorik durch den Gesetzgeber messen lassen. Eine möglichst flächendeckende Versorgung sowie die Angemessenheit und Qualität der Behandlung sind hierbei die relevanten Zielparameter. Die angedachte Reform möchte durch Eingriff in die Krankenhausplanung zur Erhöhung der Versorgungsqualität beitragen. Kernhypothese im Rahmen der geplanten Reform ist, dass viele Leistungen und damit Patienten besser in Krankenhäusern höheren Levels (Maximalversorgern) zentralisiert versorgt sind. Das mag für komplexe Leistungen, die einer hohen Interdisziplinarität für eine hohe Versorgungsqualität bedürfen, durchaus stimmen. Unverständlich ist in diesem Zusammenhang dann, warum es Fachklinikkonzepten, die eben gerade nicht die Interdisziplinarität vorhalten, zugestanden werden soll, Herz- und Thoraxchirurgische Eingriffe durchzuführen, Eingriffe an Wirbelsäulen jedoch möglichst an Krankenhäusern eines höheren Levels politisch gewünscht sind.
Gut funktionierende Teams lösen sich auf
Kleine und mittelgroße Krankenhäuser übernehmen aktuell etwa 50 Prozent der Patientenversorgung und werden zu einem großen Teil von Patienten mit planbaren Behandlungen und damit sehr bewusst ausgewählt. Mit einer Leistungsverlagerung zwischen den Krankenhäusern unterschiedlichen Levels werden sich eingespielte, gut funktionierende Team auflösen und damit besteht die Gefahr eines Qualitätsverlusts. Mit den Mindestmengenregelungen haben wir bereits ein sehr gutes Instrument, um unabhängig von der Krankenhausgröße Qualität zu steuern. Empirisch ist für eine Vielzahl von Indikationen nachgewiesen, dass die Qualität der Versorgung in direktem kausalem Zusammenhang mit der Häufigkeit der Behandlung steigt. So sollte dieses Steuerungsmittel auf eine breite Gruppe von Behandlungen Anwendung finden. Zudem ist überlegenswert, nicht die Organisation in den Mittelpunkt zu rücken, sondern auf der Ebene des Behandlers zu messen. Es macht einen Unterschied, ob ein Operateur 30 Speiseröhren-OPs infolge eines Karzinoms pro Jahr durchführt oder eine Abteilung mit vier Operateuren sich in dem Erfahrungswert die 30 Operationen teilen. Strukturqualität lässt sich zudem präziser durch relevante behandlungsspezifische Zertifizierungen wie zum Beispiel „Onkozert“ sicherstellen als schlicht durch die Größe und Ausstattung eines Krankenhauses.
Einsparung schwerlich möglich
Ein Blick auf die OECD-Daten macht deutlich: Die Kosten pro stationären Fall sind in Deutschland so niedrig wie in keinem anderen Land. Es gibt – abgesehen von der Sachkostenoptimierung, dem Personalbereich und einigen Prozessverbesserungen, nicht zuletzt im Zuge der Digitalisierung – wenig verbliebene Potenziale zur Kosteneinsparung. Ein offensichtlicher, schon seit Jahrzehnten diskutierter, aber leider bis jetzt de facto wenig erfolgreich bedienter Hebel, um die Kosten im System zu reduzieren, stellt die Ambulantisierung dar. Die Krankenkassen gehen davon aus, dass sich 20 bis 30 Prozent der heute stationär erbrachten Leistungen ambulant erbringen ließen. Doch weder die ambulant tätigen Praxen noch die Kliniken verfügen aktuell über den strukturellen Rahmen (personell und infrastrukturell), 20 bis 30 Prozent der Patienten in einem ambulanten Setting zu behandeln. Bund und Länder müssten für diese massive Strukturreform investive Mittel zur Verfügung stellen.
Zudem bedarf es einer Vergütung der Leistungen, die die Versorgung zumindest kostendeckend zulässt, andernfalls werden die Leistungen nicht mehr angeboten oder – wie in den vergangenen Jahren – möglichst stationär gehalten. Die Hoffnung auf eine Verbesserung der Vergütung von heute stationären Leistungen, die medizinisch vielleicht auch ambulant erbracht werden können und damit eine relevante Weichenstellung zur Ambulantisierung darstellt, kam bereits mit den Pilotprojekten zu sogenannten Hybrid-DRGs auf.
Fest steht: Der deutsche Gesundheitssektor steht vor einer gravierenden, unabwendbaren Transformation. Aber um die Leistungserbringer optimal aufzustellen und zu begleiten, adressiert die Krankenhausreform neue Regelungen, anstelle die guten Maßnahmen, die bereits erprobt sind, besser zu nutzen. Die notwendigen Hebel für die Transformation sind bereits vorhanden:
- Um weitere Insolvenzen zu verhindern oder zu überwinden, ist es von elementarer Bedeutung, die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser sicherzustellen
- Vorhaltekosten müssen stark profiliert und maßvoll eingesetzt werden, um weiterhin Anreize für Qualitätsverbesserungen und eine Erhöhung der Wirtschaftlichkeit zu bieten
- Eine Optimierung der Mindestmengen und behandlungsspezifische Zertifizierungen sichern Patientenversorgungsqualität gegenüber Leistungsverschiebungen zwischen Krankenhäusern unterschiedlichen Levels.
- Und zuletzt: Eine hybride, sektorübergreifende Behandlung im stationären und ambulanten Bereich im Rahmen einer hinreichend hohen Vergütung über Hybrid-DRGs könnte die notwendige Übergangsperiode für die voranschreitende Ambulantisierung einleiten.
Dr. Benjamin I. Behar verantwortet seit August 2023 als CEO die Vivecti Group, einem Verbund aus spezialisierten Dienstleistungsunternehmen für den Gesundheitsmarkt. Aktuell betreut die WMC, eines der aktuell neun Unternehmen der Vivecti Group, fünf Klinikinsolvenzen, darunter das St. Vincenz-Krankenhaus Paderborn und die DRK Krankenhausgesellschaften Rheinland-Pfalz mit vier Häusern.