Was haben die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS), der Rollator und die Diabetes-App MySugr gemeinsam? Alle drei wurden von Patient:innen bzw. deren Angehörigen initiiert, um das Leben mit der Erkrankung zu verbessern. Der health innovation hub (hih) des Bundesgesundheitsministeriums hat nun einen Aufruf gestartet, um Patient:innen und deren Angehörige systematisch an der Entwicklung von innovativen (digitalen) Lösungen zu beteiligen.
Viele Patient:innen sind Expert:innen für ihre Erkrankung und kennen die Probleme und Fallstricke im Alltag, die das Leben mit einer Erkrankung mit sich bringt. Diese Expertise wird jedoch heute viel zu selten systematisch erfasst und noch kaum bei der Entwicklung von Innovationen in der Gesundheitsversorgung genutzt. Dabei ist der Wandel zum:r mündigen Patient:in allgegenwärtig. Patient:innen nehmen zunehmend eine aktivere Rolle im Behandlungsprozess ein und fordern mehr Mitspracherecht und Transparenz bei Gesundheitsentscheidungen. Diese Entwicklung wird auch durch die weitere Verbesserung des Zugangs zu digitalen Technologien und die gestiegene Prävalenz chronischer Erkrankungen befördert.
Studien belegen Innovationspotenzial der Patient:innen
International wird dieses wertvolle Wissen bereits vereinzelt genutzt, um unter Einbeziehung von Patient:innen und deren Angehörigen innovative Lösungen zu entwickeln, die echte Bedürfnisse stillen und die das Potential haben, das Leben mit einer Erkrankung ein Stück weit zu verbessern. Eine Vielzahl von Studien belegt, dass ein signifikant hoher Anteil erfolgreicher Innovationen auf das Wissen, die Erfahrung und das Innovationspotenzial einzelner Nutzer:innen zurückgeht.
Innovative Nutzer:innen sind in der Lage, selbst (technische) Lösungen für ihre eigenen Problemstellungen zu entwickeln, wenn am Markt noch keine Produkte verfügbar sind. Der MIT-Professor Eric von Hippel war einer der ersten, der zur systematischen Identifikation dieser innovativen Nutzer:innen forschte. 2014 haben die beiden Professoren Pedro Oliveira (Copenhagen Business School, Dänemark) und Helena Canhão (NOVA Medical School, Portugal) die Patient:innen-Community www.patient-innovation.com ins Leben gerufen, bei der Patient:innen erstmalig Versorgungslücken aus ihrem Alltag posten und dafür gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Community Lösungen entwickeln konnten.
hih startet Umfragen um Versorgungslücken zu indentifizieren
Um dieses Thema auch in Deutschland anzustoßen, führt der health innovation hub (hih) des Bundesgesundheitsministeriums noch bis zum 6. Dezember 2020 eine Umfrage durch, zu der Patient:innen und deren Angehörige Probleme und Herausforderungen im Alltag mit ihrer Erkrankung einreichen können. Ziel ist es, in Zukunft die Gesundheitsversorgung noch besser an den Bedürfnissen von Patient:innen und deren Angehörigen auszurichten.
Mit diesem Aufruf möchte der hih bisher unbeachtete Versorgungslücken und ungelöste Probleme identifizieren, die im Anschluss von einer Jury unter dem Vorsitz der Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Frau Prof. Dr. Schmidtke, bewertet werden. Ab Februar 2021 sollen dann für die relevantesten Patientenbedürfnisse im Rahmen der Digital Medicine Week des hih Lösungen entwickelt werden – möglichst gemeinsam mit den Ideengeber:innen.
Mit der Digital Medicine Week ist die Initiative jedoch noch nicht beendet. Vielmehr soll der Aufruf dazu dienen, eine „Landkarte der Unterversorgung“ zu erstellen und dann 2021 weitere mögliche Kooperationspartner:innen zur Weiterentwicklung einzelner Lösungen zu gewinnen. Wir rechnen damit, dass bis Ende 2021 eine Reihe von Patientenbedürfnissen als (digitale) Innovationen unter Einbeziehung der Ideengeber:innen ihren Weg in den Alltag der Patient:innen und Angehörigen finden werden.
Moritz Göldner hat seine Dissertation zum Thema „Innovative Patient:innen“ verfasst und arbeitet als Innovationsberater bei www.innovatinghealth.care. Julia Hagen ist Director Regulatory & Politics beim health innovation hub.