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Standpunkte Radikaler Umbau der Vergütungssystematik nötig

Nicola Buhlinger-Göpfarth ist Co-Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes
Nicola Buhlinger-Göpfarth ist Co-Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Foto: HÄV/Marco Urban

Im Grunde können sich alle relevanten Akteure der Gesundheitspolitik darauf einigen, dass es in der ambulanten Versorgung mehr Steuerung braucht. Darüber haben sich Union und SPD auch in den Koalitionsverhandlungen ausgetauscht. Doch über das Wie wird immer noch viel diskutiert.

von Nicola Buhlinger-Göpfarth

veröffentlicht am 27.03.2025

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Patientensteuerung war jahrzehntelang ein Thema, das die Politik in Hintergrundrunden zwar immer mit hoher Priorität diskutiert hat, das auf offener Bühne aber mit großer Zurückhaltung behandelt wurde. Ein Grund dafür war, dass primärärztliche Versorgung in der Öffentlichkeit häufig mit der Einschränkung der freien Arztwahl verwechselt wurde. Diese (falsche) Sicht der Dinge, das lässt sich vor dem Hintergrund des zurückliegenden Wahlkampfs sagen, hat sich gewandelt. Zu dieser notwendigen Verschiebung des Diskurses haben die politisch Verantwortlichen einen wichtigen Beitrag geleistet.

Im Grunde können sich heute alle relevanten Akteure der Gesundheitspolitik, auch öffentlich, darauf einigen, dass auch in der ambulanten Versorgung mehr Steuerung zwingend notwendig ist. Das gilt auch für die Kassenärztlichen Vereinigungen und viele Krankenkassen. Das ist zunächst einmal eine gute Nachricht. Gleichzeitig muss man auch feststellen, dass das Thema häufig unterkomplex diskutiert wird – weniger von der Politik selbst als von den übrigen Playern im gesundheitspolitischen Zirkus.

Patientensteuerung – Mehr als Überweisungen

Einer der größten Irrtümer in dieser Diskussion ist, dass Patientensteuerung nichts anderes bedeutet, als immer zuerst zu einer Hausärztin oder einem Hausarzt zu gehen. Zweifellos ist die Frage, welche Versorgungsebene wann in Anspruch genommen werden kann, eine zentrale, aber nicht die alles entscheidende Frage in diesem Zusammenhang. Um es überspitzt auszudrücken: Wer glaubt, Patientensteuerung beschränkt sich darauf, Überweisungen am Tresen auszulegen und Befunde zu sammeln, der hat das Thema nicht verstanden.

Gute Patientensteuerung in einem Primärarztsystem lebt davon, dass die Primärärzte – sprich, die Hausärztinnen und Hausärzte sowie die Kinderärztinnen und Kinderärzte – den allergrößten Teil der medizinischen Anliegen abschließend behandeln. Dafür braucht es zum einen hohe Qualitätsanforderungen an die Primärärztinnen und -ärzte, aber auch entsprechende strukturelle Rahmenbedingungen. Eine entscheidende dabei ist das Vergütungssystem.

Voraussetzungen für ein Primärarztsystem

Mit dem EBM-System, das im Wesentlichen auf Abrechnungsziffern für jeden Handgriff fußt, ist dies nicht vernünftig und effizient umsetzbar. Stattdessen braucht es zwingend ein insbesondere auf Pauschalen fußendes System, das den Hausarztpraxen zum Beispiel die Möglichkeit eröffnet, effizient und nach medizinischer Notwendigkeit zu entscheiden, ob ein Patient fünfmal oder nur einmal im Quartal oder auch Jahr in die Praxis kommen muss. Ansonsten werden die zusätzlichen Aufgaben, die mit einem Primärarztsystem einhergehen, nicht zu bewältigen sein.

Das gleiche gilt für die Delegation von Leistungen an nicht-ärztliche Fachkräfte. Auch hier nimmt das enge Korsett des Kollektivvertrages den Praxen die Flexibilität, die sie brauchen, um eine gute Primärversorgung sicherzustellen. Noch immer braucht es beispielsweise im Kollektivvertrag zwingend einen Arzt-Patienten-Kontakt. Die Liste an kollektivvertraglichen Hürden für ein Primärarztsystem ließe sich schier unendlich weiterführen.

Dass es auch anders geht, beweisen die Verträge zur Hausarztzentrierten Versorgung, welche speziell für die koordinierte Versorgung der Patientinnen und Patienten aufgebaut wurden. Knapp zehn Millionen Patientinnen und Patienten nehmen inzwischen bundesweit teil. Knapp jeder Fünfte der über 65-Jährigen, also der Patientinnen und Patienten, die von einer besseren Koordination besonders profitieren, sind eingeschrieben. Der Fokus der Verträge liegt schon lange nicht mehr allein auf Süddeutschland. Länder wie Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen oder auch Hamburg sind heute ebenfalls HZV-Hochburgen. Die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten, aber auch der Hausärztinnen und Hausärzte mit diesem System ist extrem hoch. Die wissenschaftlichen Evaluationen sprechen ebenfalls eine eindeutige Sprache: Chroniker werden besser versorgt, Kosten gespart und Krankenhauseinweisungen vermieden.

Erfolgsfaktoren der HZV

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor der HZV ist der radikale Umbau der Vergütungssystematik. Diese fußt auf Pauschalen und unterscheidet sich damit fundamental von der EBM-Logik. Auch die Abkehr vom starren Arzt-Patienten-Kontakt und die Umsetzung eines Praxis-Patienten-Kontakts wurden in der HZV bereits realisiert. Gleichzeitig wurden Qualitätskriterien festgelegt, die Hausärztinnen und Hausärzte erfüllen müssen, um steuern zu dürfen. Nur, wer sich spezifisch fortbildet, verfügt über die notwendigen Qualifikationen, um als Primärarzt zu fungieren. Gleichzeitig macht das Vertragskonstrukt auch die Einführung von Innovationen, wie beispielsweise dem HÄPPI-Konzept (Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell), deutlich einfacher.

Diese Ausrichtung des HZV-Systems auf die Erfordernisse der Primärversorgung war möglich, weil das System von Null aufgebaut wurde. Demgegenüber erscheint es realitätsfremd anzunehmen, dass ein komplexes und so fein verästeltes System wie der Kollektivvertrag in absehbarer Zeit so umfassend reformiert werden könnte, dass in ihm eine vernünftige Primärversorgung möglich wäre. Die Erfahrungen der letzten Jahre sprechen jedenfalls dagegen. Das hat weniger mit mangelndem Willen zu tun, sondern schlicht mit der Tatsache, dass das kollektivvertragliche System fast zwangsläufig in eine reformatorische Sackgasse manövriert wurde. Es hat nicht die Beinfreiheit, die es für eine solche Reform braucht.

Aus politischer Perspektive muss man folglich sagen: Wer das Ziel hat, eine effiziente und qualitativ gute Patientensteuerung möglichst schnell und möglichst flächendeckend umzusetzen, der wird zwingend auf den selektivvertraglichen Bereich setzen müssen. Das ist der Bereich, in dem die strukturellen Voraussetzungen vorhanden sind, bzw. wo sie realistischerweise, umgesetzt werden können. Das ist die zentrale Message, die wir als Hausärztinnen und Hausärzte den zukünftigen Koalitionären mit auf den Weg geben.

Aber können selektivvertragliche Lösungen – und speziell die HZV – weiter skaliert werden? Die Antwort lautet eindeutig: Ja! Die HZV erreicht viele Millionen Versicherte, ohne dass die Politik für die Patientinnen und Patienten oder die Krankenkassen spürbare monetäre Förderungen eingeführt hätte. Das Potenzial ist also noch riesig und kann mit verhältnismäßig kleinen Förderungsmechanismen stark ausgebaut werden. Dafür braucht es weder komplexe Reformen mit unabsehbaren Folgen noch jahrelange Diskussion zwischen verschiedenen Playern. Die Lösung liegt vielmehr gewissermaßen auf dem Silbertablett. Die zukünftigen Koalitionäre müssen nur noch zugreifen.

Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth ist Co-Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes.

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