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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Regeln für Kinderwunschbehandlung überdenken

Rudolf Seufert, Ärztlicher Leiter des TFP-Kinderwunschzentrums Wiesbaden
Rudolf Seufert, Ärztlicher Leiter des TFP-Kinderwunschzentrums Wiesbaden Foto: TFP

Künstliche Befruchtungen führen in etwa 20 Prozent der Fälle zu Mehrlingsgeburten und bergen damit ein gesundheitliches Risiko. Dabei gäbe es Mittel und Wege, die Rate zu senken, schreibt der Gynäkologe Rudolf Seufert.

von Prof. Dr. Rudolf Seufert

veröffentlicht am 13.01.2022

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Die deutliche Mehrheit der jungen Deutschen, das zeigen alle einschlägigen Umfragen, wünscht sich Kinder. Doch bleibt dem Bundesfamilienministerium zufolge fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren in Deutschland ungewollt kinderlos. Für diese ist eine Kinderwunschbehandlung oft der letzte Ausweg. Dies geschieht in der Regel auf dem Weg von Kinderwunschtherapien, die bis zur künstlichen Befruchtung reichen können. Die hier häufig zum Einsatz kommenden Methoden sind unter anderem die so genannte In-vitro-Fertilisation (IVF) oder das ICSI-Verfahren, bei dem Eizellen entnommen und mit dem aufbereiteten Sperma des Partners in einem Reagenzglas zusammengebracht werden. Die dort befruchteten Eizellen werden dann wieder in den Uterus eingesetzt.

Doch nicht selten folgt auf die große Freude eine oft unerwünschte Überraschung: Statt des ersehnten Wunschkindes wachsen Zwillinge oder gar Drillinge heran. Das sind keine Einzelfälle: 2019 entfiel laut dem Deutschen IVF-Register in der Bundesrepublik fast ein Fünftel der auf künstlicher Befruchtung basierenden Geburten auf Mehrlinge. Das ist etwa fünfmal so hoch wie der Anteil von Mehrlingsgeburten an der Gesamtzahl der Schwangerschaften in Deutschland (2020 etwa vier Prozent).

Knackpunkt Finanzierung

Zwar sind die Ursachen hierzu komplex, doch wird dies unter anderem durch die geltenden Vorschriften in der Reproduktionsmedizin in Deutschland zum Teil verursacht. Das erste Problem ist im Grunde die Finanzierung. Nicht jede IVF-Behandlung ist erfolgreich, weshalb meist mehrere Behandlungszyklen durchgeführt werden müssen. Die Krankenkassen bezahlen allerdings lediglich drei Zyklen – und das in der Regel auch nur zur Hälfte. Um trotzdem eine möglichst hohe Erfolgsaussicht gewährleisten zu können, entscheiden sich viele Paare für den riskanten Weg, nicht nur einen, sondern bis zu drei (die vom Embryonenschutzgesetz erlaubte Höchstzahl) Embryos zu transferieren.

Damit steigt aber auch die Chance, dass mehr als ein Embryo heranwächst. Dies ist ein gesundheitliches Risiko, denn Mehrlingsschwangerschaften führen viel öfter zu Komplikationen. Wer dies reduzieren will, muss es sich leisten können, pro Zyklus nur eine befruchtete Eizelle in die Gebärmutter zu transferieren (sogenannter Single Embryo Transfer) und notwendige ggf. zusätzliche Versuche selbst zuzuzahlen. So hat die höhere Chance, mit Mehrlingen schwanger zu werden, sicher auch eine soziale Komponente.

PID könnte Erfolgsaussichten verbessern

Hinzu kommt ein zweites, gesetzliches Problem: Deutschland verfügt über ein äußerst strenges Embryonenschutzgesetz, das viele Untersuchungen befruchteter Embryos bis auf spezielle Einzelfälle verbietet. Dabei könnten mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik (PID) die Überlebenschancen von Embryos vergleichsweise zuverlässig ermittelt werden. Dies wiederum würde die Erfolgsaussichten auf eine Schwangerschaft deutlich verbessern. Doch die Gesetzeslage in Deutschland verhindert in den allermeisten Fällen, diese sichere Methode einzusetzen. 

Mit dem erwähnten Single Embryo Transfer ließe sich das Problem einfach lösen. Damit kann in der Regel – mit Ausnahme eineiiger Mehrlinge – nur ein Baby entstehen. In Ländern, die solche Limits nicht haben – insbesondere eine andere Finanzierung – ist der Anteil von Mehrlingsschwangerschaften erheblich geringer. Deshalb ist es notwendig und sinnvoll, die bestehenden Regeln zur Reproduktionsmedizin in Deutschland an die Lebensrealität sowie die medizinischen und diagnostischen Möglichkeiten der Gegenwart anzupassen.

Embryonenschutzgesetz nicht mehr zeitgemäß

Krankenkassen sollten möglichst die deutlich risikoärmeren Behandlungen unterstützen. Im Fall der künstlichen Befruchtung ist das der Single Embryo Transfer. Eine Möglichkeit wäre, vier oder mehr Zyklen zu finanzieren, wenn die Patientin sich für den Single Embryo Transfer entscheidet. Das würde die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs erhöhen und Patientinnen ermutigen, diese Methode zu wählen.

Aber auch die Politik hat Nachholbedarf. Das 30 Jahre alte Embryonenschutzgesetz hinkt hinter dem wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritt deutlich hinterher und verhindert den Einsatz von Innovationen. Darauf haben praktisch alle zuständigen Fachgesellschaften schon seit vielen Jahren hingewiesen.

Wer Kinderwunschbehandlungen in Anspruch nimmt, sollte kein unnötiges Risiko eingehen müssen und damit schlechter gestellt sein als Paare, die auf natürlichem Wege ihren Kinderwunsch erfüllen können. Die bestehenden Regelungen müssen darauf überprüft werden, ob sie diesem Anspruch heute gerecht werden.

Prof. Dr. Rudolf Seufert ist Ärztlicher Leiter des TFP-Kinderwunschzentrums Wiesbaden.

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