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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Schluss mit Präsenz!

Laura Dornheim, Kommunikationschefin bei Eyeo
Laura Dornheim, Kommunikationschefin bei Eyeo Foto: Privat

Die Wirtschaftsinformatikerin und Grünen-Politikerin Laura Dornheim versteht nicht, warum Deutschland noch immer strikt an der Präsenzkultur festhält. Gerade in Pandemie-Zeiten liegen die Vorteile von Homeoffice und Meetings per Videoschalte auf der Hand, sagt sie.

von Laura Sophie Dornheim

veröffentlicht am 13.03.2020

aktualisiert am 28.12.2022

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Videokonferenzen sind schon lange keine neue Technologie mehr und trotzdem sind sie immer noch kaum verbreitet. Ähnlich wie bei der Diskussion um ein Recht auf Homeoffice tut sich seit Jahren nicht viel. Es gibt keine Zahlen dazu, wie viele Unternehmen hierzulande standardmäßig bereits Videokonferenzen nutzen, vermutlich weil es so wenige sind. Dabei appellieren Ärztinnen und Ärzte angesichts der Ausbreitung des Coronavirus, ja sie beknien Bevölkerung und Politik geradezu, sämtliche sozialen Kontakte zu vermeiden. Alle, die nicht in lebensnotwendigen Bereichen tätig sind, sollen zuhause bleiben. Und dennoch sind die meisten Büros derzeit noch voller Menschen, Veranstaltungen und Versammlungen werden nur zögerlich oder noch gar nicht abgesagt.

Noch immer geben sich zu viele Menschen betont gelassen, wollen nicht der vermeintlichen „Panikmache“ aufsitzen und stattdessen mit demonstrativer Teilnahme an Veranstaltungen, inklusive Küsschen-Küsschen, beweisen, wie immun sie gegen die Angst vor Corona sind. Dabei ist es einem pandemischen Virus herzlich egal, wer sich für wie immun hält.

Falsche Freude an der Präsenzkultur

Gerade wenn es um Büroarbeit geht, gilt in Deutschland nach wie vor das Paradigma der Präsenzkultur. Wer am längsten am Schreibtisch sitzt, gilt als besonders fleißig. Dieser falschen Logik nach gilt als arbeitsscheu, wer nicht im Büro auftaucht. Expertinnen und Experten für „New Work“ plädieren seit Jahren für eine Abkehr dieser nicht effizienten Arbeitskultur. Selbst ich habe Monate gebraucht, um mein schlechtes Gewissen abzuschütteln, wenn ich morgens den Rechner am Küchen- statt am Schreibtisch aufklappe. Bei den meisten Unternehmen ist Homeoffice immer noch die Ausnahme und muss – wenn es überhaupt zugelassen wird – beantragt und begründet werden. Ich habe seit vier Jahren die Möglichkeit, im Büro, im Café, von zu Hause oder unterwegs zu arbeiten. Es geht problemlos, aber die meisten anderen Führungskräfte, denen ich davon erzähle, kontern sofort mit ihren Bedenken.

Bedenken, die in Wahrheit Angst vor dem Kontrollverlust sind. Erst neulich wurde ich wieder gefragt, woher ich denn wisse, wie viel meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten. Ich weiß es natürlich nicht. Aber es ist auch egal, denn es zählt nicht, wie viele Stunden sie vor ihrem Computer sitzen, sondern welche Ergebnisse sie dabei erzielen. Und die sehe ich sehr wohl. Die Idee, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontrollieren und überwachen zu müssen, hat in einer modernen Wissensgesellschaft nichts verloren.

Die Präsenzkultur im Berufsleben, aber auch in vielen anderen Bereichen, war schon immer ein Problem für alle, die weniger mobil sind, die weniger Zeit oder noch andere Verpflichtungen haben. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich in einer Videokonferenz einen Kollegen mit seinem Kind auf dem Schoß sehe, sei es, weil die Kita Schließtag hat oder der Kleine hustet. Es ist Alltag und hat, wenn überhaupt, einen positiven Effekt auf unsere Arbeit, denn glückliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind produktiver.

Auch als Person, die sich politisch einbringen will, wünsche ich mir grundsätzlich mehr digitale Möglichkeiten. Und in Zeiten von Corona besonders: Denn während mein Arbeitgeber bereits alle verpflichtend ins Homeoffice geschickt hat, bin ich immer noch zu zwei politischen Veranstaltungen am Wochenende eingeladen, die bisher nicht abgesagt wurden. Gleiches gilt für Arzttermine: Trotz der Möglichkeiten der Telemedizin muss ich hustend in einem vollen Wartezimmer auf meine Krankschreibung warten.

Kommt jetzt der Durchbruch?

Es ist leider typisch deutsch, dass Videokonferenzen sich nur extrem langsam durchsetzen. Noch immer wird eine latente Technikfeindlichkeit hochgehalten, gerade in bildungsbürgerlichen Kreisen. Ich möchte Sie hiermit wachrütteln: Weder Smartphones noch Videokonferenzen werden uns „verdummen“ oder empathielos machen, sicher aber wird das Coronavirus unser Gesundheitssystem und unsere Gesellschaft an den Rand des Abgrunds bringen, wenn wir nicht rasch handeln. Im beruflichen Kontext wird die Absurdität dieser Technikskepsis noch deutlicher: Während im Wohnzimmer zu Hause Siri oder Alexa auf Kommandos warten, gilt ein Mitarbeitergespräch per Videokonferenz als Ding der Unmöglichkeit. Zu unpersönlich, zu unsicher, zu unerprobt. Doch genau jetzt ist die Zeit, eigene Erfahrungen zu sammeln und sich darin zu üben, auch per Videoschalte persönlich zu werden.

How to Videokonferenz – eine Anleitung

Was ich Ihnen deshalb anbieten kann, sind ein paar simple Tipps für produktive Videokonferenzen, die Spaß machen. Ja, wirklich! Es gibt diverse Anbieter, die stabile und sichere Verbindungen per Mausklick ermöglichen. Noch vor einigen Jahren war ein aufwendiges Set-Up erforderlich, heute ist jeder Rechner mit Internetverbindung, jedes Smartphone Videokonferenz-fähig und virtuelle Meetings sind genauso schnell angelegt wie ein Outlook-Termin.

Nutzen Sie ein Headset oder Kopfhörer, um die Tonqualität zu verbessern, und schalten Sie sich stumm, wenn Sie gerade nicht sprechen, so bleiben Hintergrundgeräusche außen vor. Beginnen Sie jede Videokonferenz mit einer kurzen Runde in der alle einmal zu Wort kommen. Eine Vorstellungsrunde oder eine Eröffnungsfrage, die nicht unbedingt thematischen Bezug haben muss. So stellen Sie sicher, dass alle sprechen und hören können und nicht nur die „üblichen Verdächtigen” zu Wort kommen. Vor allem schaffen Sie das, was sonst in der Teeküche passiert: Soziale Interaktion und damit Zusammenhalt. Ein aktuelles Beispiel für so eine offene Frage: „Welches Lied eignet sich am besten zum 20-sekündigen Händewaschen?”

Eine vorbereitete Agenda und eine gute Moderation sind grundsätzlich für alle Meetings mehr als sinnvoll. Mit einer klaren Agenda und wenn notwendig Zeitbegrenzungen für einzelne Punkte oder Redebeiträge steigt die Wahrscheinlichkeit, dass alle am virtuellen Konferenztisch sitzen bleiben und das Fenster nicht wegklicken, weil es sich vielleicht unproduktiv anfühlt. Das Potential digitaler Kollaboration lässt sich noch weiter ausschöpfen: In einem Cloud-basierten Dokument können alle gemeinsam die Notizen und Ergebnisse festhalten, mit virtuellen Whiteboards, Post-Its und Abstimmungstools können selbst interaktive Workshops per Videokonferenz umgesetzt werden.

Also: Bleiben Sie zuhause und laden Sie ab sofort nur noch zu Meetings per Videokonferenz ein. Bleiben Sie gesund!

Laura Sophie Dornheim ist Managerin beim Softwareunternehmen Eyeo und leitet dort ein internationales, dezentrales Team – meist per Videokonferenz. Als ehrenamtliche Digitalpolitikerin bei den Berliner Grünen befasst sie sich mit der Schnittstelle von Digitalem und Sozialem.

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