Wir Ärzte in den Praxen haben bundesweit täglich 3,9 Millionen Patienten Kontakte. Wir behandeln daher die meisten Covid-19 Patienten. Das Problem: Viele Infizierte haben keine Symptome. Man sieht ihnen nicht an, dass sie hochansteckend sind. Der Patient, der mit einem Kreuzbandriß aus Ischgl kommt, kann sonst putzmunter wirken und trotzdem eine Gefahr für seinen Arzt und das Praxisteam darstellen. Deshalb wäre das Tragen von Schutzkleidung und Masken eigentlich unumgänglich.
Aber Schutzkleidung und Masken gibt es nicht. Obwohl es im nationalen Pandemieplan vorgesehen ist, wurden keine ausreichenden Vorratslager für Masken und Schutzanzüge angelegt. Gesundheitsminister Jens Spahn und sein Vorgänger haben es schlicht verpennt, sich darum zu kümmern. Von uns niedergelassenen Ärzte wird jetzt verlangt, auch ohne Schutzanzüge an vorderster Front zu arbeiten. Wir Ärzte tragen dabei ein hohes persönliches Risiko.
Denn ein Großteil der deutschen Ärzte ist älter als fünfzig. Sie gehören damit zu der Gruppe von Menschen, die eine erhöhte Sterblichkeitsrate durch Covid-19 haben. Viele von ihnen sind chronisch überarbeitet und nicht wenige haben auch Vorerkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes. Auch das sind weitere Risikofaktoren dafür, diese Epidemie nicht zu überleben. Und das gilt ähnlich für viele andere Beschäftigte im Gesundheitswesen wie Arzthelferinnen, Physio- und Ergotherapeuten, Pflegekräfte sowie Hebammen und Logopäden. Uns jetzt ohne ausreichende Schutzkleidung arbeiten zu lassen, ist unverantwortlich.
Ärzte könnten zu „Superspreadern" werden
Die Stützen des Gesundheitssystems werden dadurch in eine gefährliche Situation gebracht. Ein Ausfall der Behandler würde die medizinische Versorgung der Bevölkerung lahm legen. Zusätzlich werden Bewohner in Altersheimen gefährdet. Wenn ein Arzt sich mangels ausreichender Schutzkleidung mit dem Coronavirus infiziert hat und danach seinen wöchentlichen Rundgang durch ein Altenpflegeheim macht, wird er selbst zum „Superspreader“, zum Verteiler der Viren, deren Opfer vor allem die Alten und Schwachen werden.
Selbst als die Pandemie sich schon abzeichnete, kümmerte sich der Gesundheitsminister lieber um seine Digital-Vorlieben als um die nötigen Schutzmaßnahmen. Jens Spahn wurde schon Anfang Februar von Schutzmasken-Händlern auf Ausverkäufe und die drohende Mangelsituation hingewiesen. Damals hätte man noch kaufen können. Doch das Gesundheitsministerium handelte nicht. Nach Ansicht der Kanzlerin soll Jens Spahn „einen guten Job“ machen. In der Öffentlichkeit wurde er schon mit Gerhard Schröder verglichen. Aber was würde man heute über Schröder denken, wenn beim Elbehochwasser schon nach einem Tag die Sandsäcke gefehlt hätten?