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Standpunkte Warum Deutschland eine Moonshot-Strategie für Longevity braucht

Emil Kendziorra ist Gründer und CEO von Tomorrow.Bio
Emil Kendziorra ist Gründer und CEO von Tomorrow.Bio Foto: privat

Für ein zukunftsorientiertes Gesundheitssystem sollte die nächste Bundesregierung Prävention, Technologie und Lebensqualität in den Mittelpunkt rücken, schreibt Emil Kendziorra. Der Gründer und CEO des Start-ups Tommorrow.Bio sieht eine große Chance darin, die Langlebigkeit zu fördern und verbessern. Dafür bedürfe es allerdings einer strategischen Vision und der Aufstockung finanzieller Mittel, um die gesamte Innovationskette fördern zu können.

von Emil Kendziorra

veröffentlicht am 12.02.2025

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Angesichts steigender Gesundheitskosten und einer alternden Gesellschaft stehen Deutschlands Gesundheitssystem und Wirtschaft vor enormen Herausforderungen. Gleichzeitig eröffnen Fortschritte in der Biotechnologie, Präventivmedizin und Longevity-Forschung bahnbrechende Möglichkeiten: Krankheiten könnten nicht nur behandelt, sondern verhindert und die Lebensqualität deutlich verbessert werden.

Eine Schlüsselfrage lautet: Wie können wir Forschung und Entwicklung so fördern, dass diese Innovationen schneller zur Anwendung kommen? Hier setzt die 2019 gegründete Agentur für Sprunginnovationen (SPRIND) an. Ihr Ziel ist es, Ideen mit bahnbrechendem Potenzial aus der Grundlagenforschung schneller in marktfähige Technologien zu überführen. Doch um die großen Zukunftsfragen wie Longevity zu adressieren, braucht es mutigere Schritte. Das Vorbild eines Apollo-Programms für Longevity, also Langlebigkeit, könnte helfen, die Idee von SPRIND auf das nächste Level zu heben.

Moonshot Longevity: Visionäre Ziele, messbare Ergebnisse

„Moonshot“-Projekte stehen für visionäre, ambitionierte Ziele, die wissenschaftliche und technologische Grenzen überschreiten. Ein Paradebeispiel ist die Entwicklung der mRNA-Technologie, die durch gezielte Investitionen von der Grundlagenforschung bis zur Marktreife gefördert wurde. Diese Technologie ermöglichte nicht nur die schnellen Covid-19-Impfstoffe, sondern hat das Potenzial, in vielen anderen medizinischen Bereichen Durchbrüche zu erzielen – von der Krebstherapie bis zur Prävention genetischer Krankheiten.

Die Longevity-Forschung könnte ähnliche Erfolge erzielen. Ihr Ziel ist es, den Alterungsprozess zu verzögern und altersbedingte Krankheiten zu verhindern. Dies würde nicht nur das individuelle Leben verbessern, sondern auch die Belastung der Gesundheitssysteme verringern. Deutschland hat hier eine historische Chance: Ein strategisches „Moonshot Longevity“-Programm könnte langfristig die Gesundheitsversorgung und Wettbewerbsfähigkeit des Landes sichern.

DARPA als Vorbild: Moderne Innovation gestalten

Ein entscheidender Faktor für den Erfolg solcher Moonshot-Projekte ist die gezielte staatliche Förderung nach dem Vorbild der amerikanischen DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency). Gegründet 1958, um technologischen Rückstand zu verhindern, finanziert sie risikoreiche, visionäre Projekte mit hohem Innovationspotenzial.

Ein herausragendes Beispiel ist die Förderung der mRNA-Technologie. Bereits 2013 unterstützte DARPA die Entwicklung des heute weltweit bekannten Biotech-Unternehmens Moderna mit mehreren Millionen Dollar. Diese Mittel wurden genutzt, um eine Plattform für mRNA-basierte Impfstoffe zu entwickeln, die später entscheidend für den Erfolg der Covid-19-Impfstoffe war. DARPA verfolgt dabei einen interdisziplinären Ansatz, der Wissenschaft, Industrie und Regierung zusammenbringt.

Das Modell zeigt, wie risikoaffine Förderprogramme den Weg für bahnbrechende Technologien ebnen können – auch in der Biotechnologie und Präventivmedizin. Ein ähnlicher Ansatz wäre für SPRIND denkbar, um gezielt Projekte im Longevity-Bereich voranzutreiben.

SPRIND: Zeit für den nächsten Schritt

Die Gründung von SPRIND war ein wichtiger Schritt, um Innovationsförderung in Deutschland neu zu denken. Die Agentur zielt darauf ab, die Lücke zwischen Grundlagenforschung und marktfähigen Anwendungen zu schließen. Projekte, die bisher von der Agentur unterstützt wurden, zeigen das Potenzial dieses Ansatzes. Doch gerade im Bereich Biotechnologie und Präventivmedizin gibt es noch ungenutzte Chancen.

Für einen nachhaltigen Erfolg bedarf es einer strukturellen und finanziellen Weiterentwicklung von SPRIND. Eine mögliche Maßnahme wären thematische Cluster, etwa in den Bereichen Biotechnologie, Präventivmedizin und digitale Gesundheit. Solche spezialisierten Teams könnten die Entwicklung von Longevity-Projekten gezielter vorantreiben. Vorbild dafür könnte das amerikanische DARPA-Modell sein, das durch flexible Strukturen und mutige Investitionen eine schnelle Umsetzung ermöglicht. Dies wird mit ARPA-H, dem Advanced Research Projects Agency for Health in Amerika, gerade vor gemacht.

Das Beispiel der mRNA-Technologie illustriert, wie wichtig es ist, die gesamte Innovationskette – von der Grundlagenforschung über die Entwicklung bis zur Markteinführung – zu fördern. SPRIND könnte eine ähnliche Rolle spielen und Deutschland so in der Longevity-Forschung weltweit sichtbar machen. ARPA-H unterstützt transformative Durchbrüche in der Biomedizin und im Gesundheitswesen mit mehr als hundert Millionen pro Themengebiet und jeweils geleitet durch einen Experten des Felds.

Politischer Rahmen: Neue Innovationskultur schaffen

Mit Blick auf die Bundestagswahl in der kommenden Woche steht die nächste Bundesregierung vor einer entscheidenden Aufgabe: die Innovationskultur in Deutschland neu zu definieren. Während SPRIND bereits wichtige Grundlagen geschaffen hat, braucht es nun eine langfristige Strategie, die auf verstärkte staatliche Investitionen, flexiblere Strukturen und eine stärkere internationale Vernetzung setzt.

Ein Longevity-Moonshot wäre ein erster Schritt. Um das volle Potenzial zu entfalten, bedarf es jedoch einer signifikanten Aufstockung der finanziellen Mittel und einer strategischen Vision, die sich an den Best Practices erfolgreicher Modelle wie DARPA und ARPA-H orientiert. Neben direkten Förderungen braucht es auch steuerliche Anreize, vereinfachte regulatorische Prozesse und den Abbau bürokratischer Hürden.

Die gesellschaftliche Dringlichkeit ist offensichtlich: Präventivmedizin und Longevity könnten nicht nur die Gesundheitskosten senken, sondern auch die Arbeitskraft älterer Generationen erhalten und so die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sichern. Es ist an der Zeit, mutige Entscheidungen zu treffen.

Deutschlands Sprung nach vorn

SPRIND hat in den vergangenen fünf Jahren gezeigt, wie Innovationsförderung in Deutschland funktionieren kann. Doch die Herausforderungen der Zukunft – insbesondere im Bereich der Longevity-Forschung – erfordern ambitionierte Schritte über den Status quo hinaus. Die nächste Bundesregierung hat die Chance, die Weichen für ein zukunftsorientiertes Gesundheitssystem zu stellen, das Prävention, Technologie und Lebensqualität in den Mittelpunkt rückt.

Ein staatlicher Longevity-Moonshot könnte nicht nur die Innovationskultur Deutschlands transformieren, sondern auch einen globalen Beitrag zur Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit leisten. Jetzt ist der Moment, die Grundlage für eine längere, gesündere und nachhaltigere Zukunft zu schaffen.

Dr. Emil Kendziorra ist der Gründer und CEO von Tomorrow.Bio, einem Berliner Start-up, das 2019 mit dem Ziel gegründet wurde, die Biostase-Forschung (auch bekannt als Kryonik) zu unterstützen und die Kryokonservierung von Menschen anzubieten. Dabei beschäftigt sich Kendziorra mit dem Thema Longevity.

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