Erweiterte Suche

Smart City

Werkstattbericht Citizen Science für smarte Städte nutzen

David Weber berichtet aus dem Alltag der Smart City Zürich.
David Weber berichtet aus dem Alltag der Smart City Zürich. Foto: privat

Bürgerinnen- und Bürgerforschung ist kein ganz neues Konzept. Naturforschende und naturbeobachtende Gesellschaften reichen in der Schweiz bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Für smarte Städte ist Citizen Science aber ein noch zu wenig genutztes Instrument mit großem Potenzial für die Datenerhebung, die Bürgerbeteiligung und die Vermittlungsarbeit, meint David Weber.

von David Weber

veröffentlicht am 08.08.2023

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Die Bevölkerung aktiv in die Stadtentwicklung einbeziehen und Daten in einem Ausmaß und einer Breite sammeln, wie es der eigenen Organisation allein nie möglich wäre: Citizen Science ist wie gemacht für smarte Städte. Wenn es unser Ziel ist, Betroffene und Nutzende von Beginn an in smarte Projekte einzubeziehen, dann ist partizipative Forschung ein ideales Werkzeug dafür. Sie ist auch in der Lage, genau jene Daten für den städtischen Raum zu generieren, die für kluge Entscheidungen nötig sind. Mit Citizen Science werden wir als Stadtverwaltung auch unserem Selbstanspruch an Transparenz gerecht. Wir zeigen, wo wir Wissenslücken haben und sensibilisieren für diejenigen Themen, die unserer Meinung nach so wichtig sind, dass wir sie vertieft und gemeinsam angehen sollten. Die Bevölkerungsforschung kommt gleichzeitig dem verbreiteten Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger entgegen, konkret an der Gestaltung ihrer Stadt mitzuwirken. Und zu guter Letzt zeichnen sich Citizen-Science-Projekte oft durch ein hohes Maß an Innovation und überraschende, spielerische Ansätze aus.

Mit Erdbeeren gegen Feinstaub

Trotz massiven Verbesserungen in den letzten Jahrzehnten ist die Luft in den Städten immer noch ein Gesundheitsrisiko. Eine Studie für das Jahr 2020 weist für die Stadt Zürich immer noch Gesundheitskosten von bis zu 1,3 Milliarden Franken pro Jahr aus. Für ein besseres Verständnis der Zusammenhänge bei den Luftschadstoffen im urbanen Raum sind wir auf mehr Daten und entsprechend möglichst viele Messpunkte angewiesen. Inspiriert von einem Versuch aus Belgien verteilte die Stadt Zürich deshalb in zwei Wohnsiedlungen 330 Erdbeerpflanzen an die Bevölkerung. Die rekrutierten Citizen Scientists hatten die Aufgabe, die Erdbeeren während 6 Wochen auf ihrem Balkon zu pflegen und die Blätter der Pflanze anschließend zurückzusenden. Im Labor ließ sich so die Feinstaubbelastung bestimmen. Dank der erfreulich hohen Rücksendequote der Erdbeeren von fast 75 Prozent entstand mit dem Projekt Luftbeeren eine Karte mit kleinräumlichen Messdaten in einem Stadtquartier.

Betroffene kartieren Hindernisse

Ein zweites, noch laufendes Projekt betrifft die Barrierefreiheit der Infrastruktur im öffentlichen Raum. Wo es in einer Stadt für mobilitätseingeschränkte Personen überall Hindernisse gibt, die das einfache und sichere Fortkommen einschränken, wissen die direkt Betroffenen am besten und meist haben sie auch konkrete und gute Ideen, wie sich die Hindernisse umgehen ließen. Dies macht sich das Pilotprojekt ZuriACT zunutze: Zürcherinnen und Zürcher mit altersbedingten Mobilitätseinschränkungen, Eltern mit Kinderwagen, Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige oder Betreuungspersonen erfassen und bewerten mithilfe digitaler Webanwendungen die Zugänglichkeit des öffentlichen Raums. Welche Kriterien dafür wichtig sind und worauf besonders beachtet werden muss, wird in Workshops und Gruppendiskussionen gemeinsam erarbeitet. Das Ziel von ZuriACT ist eine Datengrundlage, auf deren Basis bestehende Routingdienste und digitale Karten aufbauen und wirklich nützliche Orientierungshilfen und vollständige Routenvorschläge für mobilitätseingeschränkte Personen machen können, die die relevanten Informationen zu Neigungen von Gehsteigen, Rampen oder Möglichkeiten zur Überquerung  von Straßen enthalten.

Warum nicht mehr Citizen Science?

Wenn partizipative Forschung und Smart-City-Ziele so gut zusammenpassen und innovative Pilotprojekte auf hohe Resonanz stoßen, warum werden sie dann nicht viel häufiger eingesetzt? Tatsächlich zeigen unsere Erfahrungen, dass der Aufwand für die Durchführung nicht unerheblich ist. Die Organisation der Projekte muss auf eine erhöhte Zahl von Beteiligten Rücksicht nehmen, die teilweise freiwillig mitarbeiten und entsprechend reduziert verfügbar sind. Die Anforderungen an die Kommunikation und Vermittlungsarbeit in den Projekten und darum herum sind hoch. Das hat das Potenzial, die Vorhaben ressourcen- und zeitintensiv zu machen.

Auch die Skalierbarkeit und die Nachhaltigkeit sind bei Citizen-Science-Projekten keine Selbstverständlichkeit. Wenn nicht mehr nur zwei Wohnsiedlungen, sondern ein ganzer Stadtkreis mit Erdbeeren ausgerüstet werden soll, steigen die Herausforderungen in jeder Hinsicht, insbesondere, wenn es nicht bei einer einmaligen Aktion bleiben soll. Zudem stellen sich grundsätzliche Fragen: Inwieweit soll eine Stadt ihre Einwohnerinnen und Einwohner überhaupt zu Arbeiten animieren, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auch einfach von einer Verwaltung erwarten könnten, zum Beispiel korrekte, barrierefreie Routenvorschläge auf digitalen Karten? Ebenfalls ungeklärt ist, wo beim Einbezug der Bevölkerung die Wissenschaft aufhört und wo die klassische Mitwirkung beginnt. Schadensmeldungs-Apps wie Züri wie neu gehören klar in die zweite Kategorie und sind nicht mit Citizen Science zu verwechseln.

Allen Bedenken und Herausforderungen zum Trotz: Eine Stadt, das sind die Menschen, die in ihr wohnen und arbeiten. Eine smarte Stadt tut gut daran, sie auf allen Ebenen und möglichst umfassend einzubeziehen. Citizen Science ist ein gutes Mittel dafür. Weitere Tests und Pilotprojekte, um das noch brachliegende Potenzial zu nutzen, sind unbedingt empfehlenswert.

David Weber ist Leiter Smart City Zürich und hat diesen Teilbereich der Abteilung Stadtentwicklung in der Zürcher Stadtverwaltung ab 2020 aufgebaut. Zuvor war er Projektleiter der Wirtschaftsförderung der Stadt und beschäftigte sich dort unter anderem mit Sharing-Economy-Modellen. Weber organisierte zudem Open-Innovation-Projekte in der Schweiz und international. Er studierte in Zürich, Monterrey, Madrid und New York Geschichte, Wirtschaft, Politik und Innovationsmanagement.

Bisher von ihm in dieser Rubrik erschienen: „Die Arbeit an der smarten Stadt beginnt erst so wirklich“, „Nun sag', wie hast du's mit den E-Scootern?“

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen