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Standpunkte Die Verwaltung muss Transparenz vorleben

Stefan Böhm, Chaos Computer Club Freiburg
Stefan Böhm, Chaos Computer Club Freiburg Foto: privat

Informationsfreiheitsgesetze reichen nicht aus, kritisiert Stefan Böhm vom Chaos Computer Club Freiburg. Vielmehr seien Transparenzgesetze nötig, die die Verwaltung automatisch zur Veröffentlichung von Daten und Informationen verpflichten. Zudem brauche es länderübergreifende, föderale Systeme und wirklich digitale Amtsstuben.

von Stefan Böhm

veröffentlicht am 06.10.2022

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Im Bund und den meisten Ländern (Ausnahmen: Bayern und Niedersachsen) existieren Gesetze zur Informationsfreiheit, Transparenzgesetze gibt es zusätzlich in Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen. Ein Transparenzgesetz hat den Vorteil, dass entsprechende Entitäten in allen Verfahren zur automatischen Veröffentlichung verpflichtet werden. Und genau dort müssen wir flächendeckend hin: freie, zugängliche Informationen als Standard – nicht erst auf Nachfrage! 

Transparenz braucht Digitalisierung

Natürlich kann und muss es Ausnahmen geben, die regeln, welche einzelnen Informationen zeitverzögert, erst auf Anfrage oder gar nicht veröffentlicht werden. Diese Ausnahmen müssen aber klar und eng definiert sein – eben Ausnahmen bleiben. Die existierenden Regelungen sind oft sehr weit und zu schwammig gefasst, gerade Unternehmensinteressen werden viel zu oft über die der Zivilgesellschaft gestellt. Das sorgt für große Unsicherheiten bei Anfragenden wie herausgebenden Stellen. Legitime Anfragen werden dann mit abstrusen Begründungen, aus Unsicherheit oder Unwissen, abgelehnt. Klarere gesetzliche Rahmenbedingungen – oder überhaupt einmal ein gesetzlicher Rahmen – in Sachen Informationsfreiheit und Transparenz sind dringend nötig.

Neben den gesetzlichen Vorgaben hapert es zudem am Fundament, um den Vorgaben nachkommen zu können: sinnvolle Digitalisierung innerhalb der Verwaltungen. Zu viel wird aktuell noch in Papierform verarbeitet, dazu ein Wust aus Word- und Excel-Dateien, als Bild eingescannten Dokumenten und Faxen ergeben einen schier unbeherrschbaren Haufen an Informationen. Und bei jeder Anfrage oder Veröffentlichung müssen Personen – auch liebevoll Bioschnittstellen genannt – manuell Daten von A nach B kopieren oder gar abtippen. 

Weg von den vielen Leuchttürmen

Dass dies völlig überholt ist, hat sich bei einigen endlich herumgesprochen und es sprießen diverse Projekte aus dem Boden, die sich des Datenhaltungsproblems annehmen. Weit verbreitet ist leider der „großer Leuchtturm“-Ansatz. Für ein bestimmtes Problem wird eine „So könnte es aussehen“-Lösung gebaut – beziehungsweise eigentlich immer eingekauft. Die sehen dann zwar meist oberflächlich schick aus und lösen bestenfalls einen Teil der Problemstellung. Quasi nie wird aber mitgedacht, wie bereits bestehende Systeme oder Leuchttürme in dieses System integriert werden könnten. Interoperabilität, Skalier- und Anpassbarkeit sind beinahe immer Fehlanzeige, oder aber man verweist auf fehlende eigene deutsche Datenstandards, anstatt auf bewährte bestehende Standards aufzusetzen.

Gerne gesellen sich zu den Leuchttürmen noch Datenräume oder Datenseen („Datalakes“), in denen sich oft der Wunsch nach einer singulären Plattform für alles widerspiegelt. Eine Anlaufstelle für alles wird allerdings bei all den unterschiedlichen Anforderungen, die eine moderne Verwaltung zu erfüllen hat, kaum sinnvoll möglich sein. Meine Melde- und Passdaten möchte ich keinesfalls auf der gleichen Plattform liegen haben wie die Livedaten zur Parkhausauslastung – um nur ein Beispiel zu nennen. Überhaupt wird der Datenbegriff oft beinahe willkürlich verwendet: Natürlich bestehen sowohl eine PDF-Akte als auch ein Parkhaus-Auslastungsdatum oder eine E-Mail, und meine Terminvereinbarung beim Amt alle aus Bits und Bytes. Sie sind aber sehr unterschiedlich verwendbar, verarbeitbar und gespeichert.

Transparenz föderal umsetzen

Apropos Live-Daten: Hier möchten Kommunen gerne „Eigentümerin“ der Daten bleiben. Bei anfallenden Sensordaten der „Smart City“ kann ich keine urheberrechtlich relevante Schöpfungshöhe erkennen. Im Gegenteil: Es ist doch äußerst sinnvoll, diese Sensordaten zeitnah und ohne Einschränkungen zu veröffentlichen! Man stelle sich den Umkehrschluss vor: Wer einen Fakt der Natur zuerst vermisst, dem „gehört“ diese Information und bestimmt, wer damit was machen darf? So eine Welt ist alles, aber nicht „smart“. Noch sinnvoller (eigentlich ein Must-have) ist zudem, wenn neben den Live-Daten auch die historischen Daten zugänglich gemacht werden. Denn nur dann können Verwaltung und Zivilgesellschaft wirklich von diesen Daten profitieren!

Als föderaler Staat müssen solche Projekte föderiert – also verteilt – gedacht und gebaut werden. Das heißt, andere öffentliche Stellen mit ähnlichem Bedarf müssen sich dem Projekt anschließen und es nutzen können, ohne größeren Aufwand oder teure „Spezialanpassungen“ externer Firmen. Ebenso müssen sich solche Projekte in ein „großes Ganzes“ eingliedern lassen und Daten austauschbar sein. Es kann nicht sein, dass für die gleiche Dienstleistung X in Dorf A die App Y und in Stadt B das Portal Z zuständig ist – und diese dann untereinander inkompatibel sind und Daten weder austauschen noch gemeinsam nutzen können. 

Ein föderaler Ansatz für Software und Daten (!) in der Verwaltung bietet zudem eine deutlich größere Resilienz: Ausfälle bleiben begrenzt, ebenso die Menge betroffener Daten bei Datenverlusten oder -abflüssen. Lokale rechtliche Vorgaben können besser abgebildet und eingehalten werden.

Respekt und Augenhöhe gegenüber der Zivilgesellschaft

Die Techniken dafür sind vorhanden: Immer mehr Informationsfreiheits- und Transparenzgesetze werden verabschiedet (gerne mit mehr Zähnen, um die Verwaltung zu „fordern und fördern“!). Mit 5-Sterne-Open-Data lassen sich Informationen mit passenden Metadaten anreichern, um Anfragen und Veröffentlichungen gesetzes- und datenschutzkonform zu realisieren und verteilt und automatisiert zur Verfügung zu stellen. Föderale Netzwerke, in denen verschiedene Daten von verschiedenen Servern in verschiedenen Clients genutzt werden, können gebaut werden. Und mit dem elektronischen Personalausweis haben wir bereits eine sichere Lösung zur Identifizierung und Authentifizierung gegenüber der Verwaltung.

Bleibt am Ende die Umsetzung. Hier muss darauf geachtet werden, dass echte Kompetenz im Haus vorhanden ist und langfristig gehalten werden kann. Ansonsten wird der nächste „digitale Blockchainführerschein“ binnen weniger Stunden nach Veröffentlichung durch kurze Prüfung Ehrenamtlicher spektakulär platzen. Nur in Open Source umgesetzte Projekte bieten öffentlichen Stellen überhaupt die Möglichkeit Hoheit über die verwendete Software zu behalten und Projekte unabhängig von einzelnen Firmen oder Protagonisten weiterzuführen. 

Feedback, Kritik und Bedenken (insbesondere bei Datenschutz und Sicherheit) aus der Zivilgesellschaft sollten mit Respekt und auf Augenhöhe entgegen und ernst genommen werden – sonst verliert die Zivilgesellschaft den Respekt und das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung und den Staat.

Stefan Böhm beschäftigt sich seit Mitte der 90er privat wie beruflich mit IT-Systemen und Netzwerken. Beruflich ist er in einem Systemhaus für kleine und mittelständische Unternehmen in den Bereichen IT-Security und Datenschutz tätig. In seiner Freizeit ist er im Chaos Computer Club Freiburg aktiv und dort Teil des Vorstandes.

Bei den IFG Days in Freiburg diskutiert Böhm heute mit Stefan Brink (Landesdatenschutzbeauftragter Baden-Württemberg), Martin Horn (Oberbürgermeister Freiburg), Felix Reda (Gesellschaft für Freiheitsrechte) und Monika Heyder (ICLEI Europe) über die Frage „Was bedeutet Transparenz? Für die Verwaltung, für die Bürger_innen, für BW und für Europa“.

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