Kürzlich stolperte ich beim Aufräumen meines digitalen Archivs über eine gut sechs Jahre alte Studie zu Best Practices im Bereich öffentlicher und urbaner Innovation. Aus Neugier folgte ich ein paar Links zu den darin hervorgehobenen Projekten und fand – nahezu nichts. Keine der zum Großteil mit öffentlichen Mitteln finanzierten Anwendungen waren noch online. In vielen Fällen fanden sich nicht mal mehr Spuren oder Hinweise, dass es die Projekte jemals gegeben hat. Auch wenn es immer heißt, das Internet würde nichts vergessen – auf Smart-City-Vorhaben scheint das nicht zuzutreffen.
Nun sind sechs Jahre in der digitalen Welt eine lange Zeit, in der sich vieles verändern kann. Und doch scheint mir hier ein strukturelles Defizit sichtbar zu werden, das nach wie vor ungelöst ist: Wir haben bis heute kein schlüssiges Konzept, um öffentlich geförderte Digitalprojekte in einen dauerhaften Betrieb zu überführen. In meiner Juni-Kolumne habe ich davon berichtet, wie aufwendig es sein kann, eine neue Fachanwendung in die IT-Infrastrukturen der öffentlichen Verwaltung zu integrieren. Mit Blick auf die durchaus heterogene Smart-City-Landschaft ist das Problem noch einmal deutlich größer, denn hier gibt es oftmals schlicht gar keine Infrastruktur, in die integriert werden könnte.
Warum die Leuchtturmprojekte oft zu Ruinen werden
Die großen IT-Dienstleister von Bund und Ländern sind in der Regel schon ganz gut damit ausgelastet, das Kerngeschäft der Verwaltung am Laufen zu halten und entsprechend wenig erpicht darauf, nebenbei noch irgendwelche kommunalen Beteiligungsplattformen oder smarte Straßenlaternen zu betreiben. Für viele Smart City-Projekte stellt sich deshalb spätestens nach Ablauf des Förderzeitraums die Frage, wo, und vor allem ob, sie ein digitales Zuhause finden.
Deutschland hat sich schon in der Smart City Charta von 2017 dazu bekannt, die Digitalisierung von Kommunen gemeinwohlorientiert zu gestalten. Das ist gut und richtig, es bedeutet aber auch, dass nicht mit jedem Smart-City-Projekt Profite erwirtschaftet werden können. Aus ebendiesem Grund fördert der Bund die Entwicklung von gemeinnützigen Innovationen im Rahmen der „Modellprojekte Smart Cities“, aber auch in zivilgesellschaftlich orientierten Programmen wie dem Civic Coding-Netzwerk oder dem Prototype Fund.
Nur leider fördert man eben ausschließlich die Entwicklung, nicht jedoch den in der Folge notwendigen Betrieb. Jeder Zuwendungsempfänger kennt dieses Problem: Kaum ist das Produkt fertig, ist auch das Geld alle. Wer nun darauf verweist, dass digitale Anwendungen nicht einfach „fertig“ sind, sondern im Betrieb laufende Kosten verursachen und Wartung erfordern, erntet Schulterzucken.
Das hat bekanntermaßen zu einer Förderlandschaft geführt, in der wir zwar fleißig immer neue kommunale Digital-Leuchttürme entwickeln, diese dann aber mangels Verstetigungsmöglichkeiten zu Ruinen verfallen lassen – Smart City als Geisterstadt.
Mögliche Wege aus der Geisterstadt
Aus dieser misslichen Lage werden wir nur herausfinden, wenn wir eine ganzheitliche Perspektive einnehmen und lernen, gemeinnützige Innovation als Ökosystem zu betrachten. Und wenn wir den politischen Willen aufbringen, dieses Ökosystem aktiv zu gestalten, statt lediglich nach dem Prinzip Hoffnung Fördergelder mit der Gießkanne auszuschütten.
Man könnte etwa mit einem Bruchteil der jährlichen Fördermittel ein zentrales Dev-Ops-Team oder eine kleine Institution aufbauen, die es sich zur Aufgabe macht, eine gemeinnützige Cloud-Infrastruktur für öffentliche Innovationen aufzubauen und zu betreiben. Aus den zahlreichen Förderprojekten könnte man jedes Jahr die vielversprechendsten auswählen, schrittweise skalieren und in einen Regelbetrieb überführen.
So gäbe es nicht nur einen klaren Verstetigungspfad für erfolgreiche Förderprojekte, sondern auch viele positive Nebeneffekte: Ein zentraler Betrieb und die technische Betreuung würden einzelne Projekte entlasten und zugleich deren Sichtbarkeit erhöhen. Nutzungszahlen könnten einheitlich erfasst und für weitergehende Evaluationen ausgewertet werden. Technische Standards und einheitliche Open-Source-Lizenzen ließen sich leichter etablieren. Und nicht zuletzt könnte man auf diese Weise ein systematisches, institutionell verankertes Lernen aus vergangenen Projekten ermöglichen.
Verantwortung für den Betrieb sichern
Durch den aktuellen KI-Hype ist der Bedarf nach zentraler Infrastruktur noch einmal dringlicher geworden. Denn ist es wirklich sinnvoll, dass jedes Förderprojekt erst einmal einen substanziellen Teil der Fördersumme darin investieren muss, eigene KI-Infrastruktur einzukaufen? Wieso erhält man mit dem Förderbescheid nicht einfach Zugang zu einer Auswahl an datenschutzkonformen KI-Modellen und weiteren niedrigschwelligen Werkzeugen, die kostenfrei genutzt werden können?
Dass die öffentliche Hand eigene technische Einheiten aufbaut, um die Entwicklung von Innovationen zu unterstützen, ist eine Idee, die mitunter noch auf Vorbehalte stößt. Aber Positivbeispiele wie die Fitko, der Digital Service oder das noch junge Zendis zeigen doch: Die wirklichen Fortschritte bei der öffentlichen Digitalisierung machen wir dort, wo technisch kompetente Teams an zentraler Stelle Verantwortung, neudeutsch „Ownership“, für den Betrieb digitaler Produkte und Infrastrukturen übernehmen. Auch für unsere Smart City-Landschaften wäre es eine sinnvolle Entwicklung.
Der promovierte Kultur- und Medienwissenschaftler Benjamin Seibel leitet das City Lab Berlin. Das 2019 gegründete Stadtlabor wird von der Berliner Senatskanzlei finanziert und der Technologiestiftung Berlin betrieben. Im City Lab arbeiten Teams aus der öffentlichen Verwaltung gemeinsam mit der Stadtgesellschaft und der Forschung an der Stadt der Zukunft.
Bisher von ihm in dieser Rubrik erschienen: „Irgendwas mit Digitalisierung?“, „Mein Besuch der Smart City Expo“, „Mut zu Risiko und gesundem Menschenverstand“, „Im Workshop-Hamsterrad“, „Wenn Labore erwachsen werden“, „Schriftliche Anfragen sind nur für analoge Verwaltungen ein Problem“, „Bürgeramt der Zukunft: Mehr als digital“, „Mit Open Data Berliner Weihnachtsmärkte finden“, „Conny hat gekündigt“, „Eine Strategie erwacht zum Leben“ und „Verwaltungsdigitalisierung – ein bürokratischer Albtraum“, „Open Source hat langsam Oberwasser“, „Ein Release ist nicht der Abschluss, sondern erst der Anfang , „Vom Prototypen zur Verstetigung“ sowie „Im mobilen Innovationslabor durch Berlin“ .